Geteilte Verantwortung
Das Dilemma ist real: Auch verantwortungsbewusste Tourismusanbieter im Globalen Süden müssen damit umgehen, dass ein grosser Teil ihrer internationalen Gäste über lange Strecken und oft mit dem Flugzeug anreist. Dabei entstehen erhebliche Treibhausgasemissionen. Um den ökologischen Fussabdruck so gering wie möglich zu halten, sollen Flugreisende ihre durch An- und Abreise verursachten Emissionen kompensieren. In Peru hilft das Sozialunternehmen Nature Services Peru mit seinem Projekt Regenera lokalen Unternehmen, Mitverantwortung zu übernehmen und durch Naturschutzprojekte Ausgleich zu schaffen.
Das Amazonasgebiet wird auch "grüne Lunge der Erde" genannt. Wenngleich der Begriff nicht ganz akkurat sein mag, weist er doch auf die enorme globale Bedeutung der Regenwälder dieser Region hin. Denn sie binden grosse Mengen an CO2, helfen das Klima zu stabilisieren und beherbergen eine enorme biologische Vielfalt. Die verheerenden Brände dort haben in den vergangenen Wochen weltweit grosse Besorgnis ausgelöst.
Auch in Peru wächst das Bewusstsein, wie wichtig es ist, diese einmaligen Ökosysteme zu erhalten. Durch Projekte, wie sie die peruanische Initiative Regenera koordiniert und durchführt, können intakte Wälder vor Abholzung und Brandrodung besser geschützt werden. Regenera arbeitet mit lokalen Gemeinschaften zusammen, die "Guardianes" (Hüter) genannt werden. Durch die prekäre finanzielle Situation vor Ort sehen sich die Menschen oft gezwungen, Bäume zu roden, um das Holz zu verkaufen und die Flächen landwirtschaftlich zu nutzen.
Regenera unterstützt die "Guardianes" dabei, ihr Land produktiv und verantwortungsbewusst zu bewirtschaften, zum Beispiel durch organischen Anbau und Pflanzung heimischer Arten zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt. Somit haben die Projekte nicht nur einen globalen Klimaschutzeffekt, sondern auch einen sozioökonomischen Effekt für die lokale Bevölkerung. Der Kompensationsarbeit von Regenera liegt das transnationale ‹Greenhouse Gas Protocol› zugrunde. Ausserdem arbeitet Regenera in Übereinstimmung mit den Emissionsäquivalenten des Nationalen Programms zur Erhaltung der Wälder des peruanischen Umweltministeriums. Um diese Projekte zu finanzieren, ermöglicht Regenera verantwortungsbewussten Unternehmen in Peru, die von ihnen verursachten CO2-Emissionen auszugleichen. Ziel ist es, den negativen Auswirkungen der emittierten Treibhausgase etwas Positives entgegenzusetzen. Denn die einmal ausgestossenen Treibhausgase können natürlich nicht einfach wieder rückgängig gemacht werden.
Finanzierung durch lokale Unternehmen
Der nachhaltigkeitszertifizierte peruanische Reiseveranstalter Andean Lodges ist eines der Unternehmen, die mit Regenera zusammenarbeiten, um so einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Zu Beginn des Kompensationsprozesses misst Andean Lodges alle Emissionen, die entstehen. Von den Bürotätigkeiten über die erbrachte touristische Dienstleistung bis hin zu den indirekten Emissionen des Unternehmens, die bei der An- und Abreise der Gäste innerhalb Perus entstehen, werden alle Treibhausgase berücksichtigt. Um die Berechnungen durchzuführen werden Durchschnittswerte verwendet, die mit der Anzahl der jährlichen Kunden multipliziert werden.
Indem das Unternehmen dann seine CO2-Emissionen kompensiert, verbessert sich seine CO2-Bilanz. "Wir kaufen CO2-Anleihen proportional zu den Tonnen an Treibhausgasen, die wir generieren. Mit diesem Beitrag finanzieren wir nachhaltige Projekte zum Schutz des Urwaldes. Auf diese Weise werden die von uns verursachten Emissionen durch diejenigen ausgeglichen, die wir durch den Schutz des Waldes vermeiden", erklärt Juan Carlos Flores, Geschäftsführer von Andean Lodges, das Vorgehen. Bei den unterstützen Projekten handle es sich hauptsächlich um Schutz- und Wiederherstellungsprojekte für die empfindlichen Ökosysteme im peruanischen Amazonasgebiet.
Sensibilisierung durch TourCert
Andean Lodges wurde im Rahmen der Zertifizierung durch TourCert für den Umwelt- und Klimaschutz sensibilisiert. Denn im Rahmen des Zertifizierungsprozesses müssen Tourismusunternehmen ihre CO2-Emissionen messen. Bei Unterkünften wird daraus die Kennzahl der ‹CO2-Emissionen pro Übernachtung› gebildet. Bei Reiseveranstaltern in den Entsendeländern werden die CO2-Emissionen der verkauften Reisen gemessen und daraus die Klima-Kennzahl ‹CO2-Emissionen pro Gast/Tag› ermittelt. Dabei werden alle Transportmittel für die An- und Abreise eingerechnet. Die Emissionen werden unabhängig davon erhoben, ob der Reiseveranstalter die Flüge selbst verkauft oder nicht.
Viele der von TourCert zertifizierten europäischen Reiseveranstalter haben in den letzten Jahren entweder die CO2-Kompensation über Atmosfair, Myclimate oder die Klima-Kollekte bereits in den Reisepreis eingerechnet oder übernehmen einen Teil davon. Andere Anbieter versenden mit den Buchungsunterlagen entsprechende Informationsmaterialien.
Langsames Umdenken
Es ist zu erkennen, dass auch auf dem südamerikanischen Kontinent ein Wandel stattfindet. Nachhaltigkeit – vor allem in Verbindung mit dem Tourismus – wird immer stärker berücksichtigt. Regenera ist jedoch immer noch eine von wenigen Vorreiterinnen, die das wachsende Bewusstsein in konkretes Handeln umsetzen. Ihre Botschaft zum anstehenden Klimagipfel in New York ist eindeutig: Alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Grösse und ihrem Einfluss, müssen Verantwortung übernehmen. Besonders wichtig seien die tatsächliche Einsparung klimaschädlicher Treibhausgase und der Erhalt natürlicher Ökosysteme.
Andean Lodges zeigt, wie die Verantwortung zwischen Reiseveranstaltern, Reisenden und lokalen Anbietern geteilt werden kann. Der Reiseveranstalter, bei dem die Reise gebucht wird, müsse die Reisenden informieren und sensibilisieren, damit sie verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen können. Dazu gehöre auch die Vermeidung von Kurzstreckenflügen vor Ort.
Andean Lodges hat ein zunehmendes Interesse an verantwortungsbewusstem und nachhaltigem Reisen festgestellt. Jedoch reiche die Nachfrage noch längst nicht aus. Aber auch auf Angebotsseite gäbe es noch deutlich Luft nach oben. "Die Veranstalter müssen sich dem Wandel anpassen und Verantwortung für die Umsetzung nachhaltiger Praktiken übernehmen", so Flores.
Angela Giraldo leitet den Bereich Training und Consulting bei TourCert.