Das Buch «Closeby» lädt dazu ein, die Welt vor der eigenen Haustüre kennenzulernen, um auf Flüge und unnötig weite Reisen zu verzichten. Der Twist dabei: Die Autorinnen Karin Rey und Maja Haus haben Orte in der Schweiz ausfindig gemacht, die den berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Welt ähneln. Die Idee ist an sich nichts Neues. Jedoch verpacken Rey und Haus gleichzeitig ihre Kritik am globalen Sightseeing subtil und geschickt im Buch: Sie kommt in Form von attraktiven Wandervorschlägen daher. Was eine tolle Abwechslung zum Genörgel an der Fliegerei oder zu den unzähligen Klageliedern an Insta-Selbstinszenierungs-Tourismus darstellt. Wir haben vor der Buchvernissage Im Januar mit Karin Rey gesprochen.

Matteo Baldi: Ihr habt 15 Sightseeing-Ikonen aus der ganzen Welt in der Schweiz ausfindig gemacht. Wie findet man den Horseshoe Bend oder den Mount Fuji in der Schweiz? 

Karin Rey: Da Closeby von Anfang an ein Projekt war, an dem viele Menschen beteiligt waren, erreichten uns einige Hinweise von Beteiligten – zum Beispiel dem Fotoclub Brown Boveri aus Baden, der die Bilder fürs Buch machte. Es ist ja häufig so: Wenn man sich einer Sache annimmt, kommen irgendwann Menschen auf einen zu. Aber natürlich sind Maja und ich begeisterte Wanderinnen und so kannten wir auch schon einige Orte.

MB: Die Fotos im Buch sind alle so hübsch. Wenn ich mich in Italien befinde und ein Foto des Vollmonds über dem Meer mache, sieht das am Schluss immer enttäuschend aus. Wie viel Fotoskills braucht man, damit die präsentierten Orte so schick daherkommen? 

KR: Ich habe bis auf eine Destination im Buch alle selbst besucht. Die Atmosphäre im Ort und der Weg dorthin sind sehr fotogen. So sind die Fotos im Buch nur minimal bearbeitet, deshalb sollte man mit einer handelsüblichen Handykamera schon zurechtkommen. Und falls nicht, haben wir ja hinten im Buch die Postkarten angehängt. Sozusagen als analoge Alternative, damit man das Handy auch ganz getrost im Rucksack lassen kann.

MB: Da spielst du drauf an, dass Closeby Verhaltensänderungen anstossen soll. 

 KR: Selbst die Menschen, die nachhaltigkeitsaffin sind, sind ständig mit den «faraway»-Bildern konfrontiert und nicht mit denen, die «closeby» gemacht wurden. Wir möchten diesem Umstand Alternativen entgegenhalten.

MB: Naive und hoffnungsgetragene Frage: Geht das? 

KR: Klar werden wir’s mit dem Buch nicht schaffen, Menschen, die häufig fliegen, davon zu überzeugen, die nächsten fünf Jahre aufs Flugzeug zu verzichten und stattdessen in der Schweiz wandern zu gehen. Aber wenn jemand nur einmal auf einen Flug verzichtet, um es auszuprobieren, haben wir ja auch schon einen wichtigen Grundstein gelegt.

MB: Also richtet sich das Buch nicht an jene, die ohnehin schon wandern gehen? 

KR: Doch auch an sie ist das Buch gerichtet. Besonders ins Auge gefasst haben wir aber Leute, die Wandern mit einer öden Schulreise verbinden. Und das ist etwas, was man vielleicht gar nicht so merkt: Viele Leute haben keinen Zugang zum Wandern. Also Menschen, die in ihrer Freizeit nicht auf die Idee kämen, oder es sich nicht zutrauen, einen Wanderausflug in der Schweiz zu machen; hingegen aber keine Probleme damit haben, einen Städtetrip in Europa zu organisieren.

Wiedlisbach oder Provence? ©RotpunktverlagLinks ein Lavendelfeld in Wiedlisbach (SO), rechts eines in der Provence. Oder war es doch umgekehrt? © Rotpunktverlag

MB: Was bedeutet das fürs Buch?

KR: Es sind alles sehr belohnende und einfache Wanderungen, die immer ein Highlight beinhalten.  Ich denke, dass wir damit ein Türchen zu der ganzen Wander-Sache öffnen können, die sich ja nicht allen intuitiv erschliesst. Deshalb auch die bildlichen Vergleiche: Die Menschen verstehen sofort, um was geht.

MB: Ihr benutzt also einen Trick: Ihr holt die Menschen bei ihrer Sehnsucht nach Sightseeing-Ikonen ab und zeigt ihnen dann Alternativen auf.

KR: Es ist ja so, dass wir in unserer Gesellschaft dafür belohnt werden, wenn wir möglichst weit weg und möglichst abenteuerlich verreisen. Werbeslogans wie „niemand interessiert sich, wie deine Ferien auf Balkonien waren“ unterstreichen dieses Bild zusätzlich.  Und genau da will Closeby einen Impuls setzen: Wenn man so sehr damit bombardiert wird, dass die Reise an Gehalt gewinnt, umso weiter weg sie führt, ist das nicht in Ordnung. Da wollen wir entgegenhalten!

MB: Bestärkt das Buch nicht auch gewisse negative Verhaltensweisen – dass beispielsweise Reisen nur wegen des Fotowerts unternommen werden?

KR: Bei den Closeby-Wanderungen steht das ganz bewusste Erleben im Vordergrund: Mit jedem Schritt kann ich schöne und eindrückliche Alternativen zu Reisezielen in aller Welt entdecken. Am Ende meiner Wanderung kann ich die entsprechende Postkarte, die hinten im Reiseführer angefügt ist, ganz gezielt an einen mir wichtigen Menschen schicken. Die Postkarten machen das Handyfoto unnötig, um den Ort mit anderen zu teilen. Sie zeigen: Ich kann meine Freude auch ohne Social Media teilen.

MB: Warum gelten nur Reisen in die Ferne als postenswert?

KR: Vielleicht denkt man, dass die Nähe nichts Spezielles zu bieten hat. Wenn ich also davon erzähle, dass ich meinen Urlaub wandernd in der Schweiz verbracht habe, stösst das auf weniger Interesse als eine Reise für die ein langer Flug notwenidg war. Woran das genau liegt, weiss ich leider nicht. Vielleicht gilt es als Zeichen dafür, dass man etwas erreicht hat und man es sich leisten kann, soweit wegzugehen. Und den Mut dazu hat.

MB: Braucht es dazu Mut? Denn meistens haben die grossen Sightseeing-Stätten ja nichts mehr Abenteuerliches an sich, da sie touristisch einfach durchoperationalisiert sind.

KR: Ich finde, dass Reisen in die Ferne ein Mythos anhaftet, der in der heutigen Zeit aufgebläht wirkt. Von daher stimme ich diesem Bild nicht zu oder würde die Gegenfrage stellen: Braucht es nicht viel mehr Mut, sich das Besondere in der Nähe zu suchen? Die Wanderungen in closeby habe ich mit Maja erwandert. Hierbei haben wir alles erlebt, was man sonst nur mit fernen Destinationen in Verbindung bringt: Wir trugen unseren gesamten Haushalt auf dem Rücken, mussten uns die Routen durchdenken, wir verständigten uns in mehreren Sprachen und teilten uns unseren Proviant ein.

MB: Was sind deine Lieblingsoruten aus dem Buch?

KR: Mir gefallen die kurzen Wanderungen sehr. Beispielsweise dauern die zum Berglistüber oder diejenige rund um Solothurn nur zwei Stunden. Letztere könnte man auch locker nach dem Feierabend noch unternehmen. Auch das ist das Schöne an der Schweizer Wanderrouten: Sie liegen vor der Tür.

Karin Rey, Autorin von Closeby

Karin Rey

Karin Rey ist Autorin und begeisterte Wanderin. Zusammen mit ihrer jahrelangen Freundin Maja Haus hat sie den Wanderführer Closeby geschrieben, der vom Rotpunktverlag verlegt wird.
Sie hat literarisches Schreiben am Literaturinstitut in Biel/Bienne abgeschlossen, beobachtet gerne Nachtkerzen und ist wohnhaft in Windisch. Sie hat mehrere mehrere Texte publiziert.