
Gottes eigener Weiler
Einige Haushalte im Dorf Thrikkaippatta im Bezirk Wayanad finden in ihrer Post regelmässig Briefe, Fotoalben und Geschenke aus dem Ausland. Dabei haben diese Familien keine auswärts arbeitenden Familienmitglieder. Vielmehr zeugt die ausländische Post vom engen Band, das die Familien mit jenen Touristen verbindet, die in dem hübschen Weiler die Gastfreundschaft einer Familie genossen haben.
Nach einer schweren Landwirtschaftskrise in Wayanad lancierte die NGO Kabani die Idee, Tourismus in Gastfamilien anzubieten, um den Bäuerinnen und Bauern im Einklang mit der Natur wieder auf die Beine zu helfen. Man beriet sich mit Uravu, einer Organisation, die indigene Technologien, etwa Innovationen im Bambus-Anbau, fördert. Kabani-Koordinator Sumesh Mangalasserry sagt: "Als wir die Möglichkeiten für verantwortungsvollen Tourismus untersuchten, schien die Leistung von Uravu ideal zu passen, und so suchten wir Thrikkaippatta aus. Uravu förderte den grossflächigen Bambus-Anbau rund um das Dorf, einige Gruppen ernteten Bambussprossen, legten Gemüse sauer ein, züchteten Bienen und mästeten Kühe. Das wollten wir für die Tourismusinitiative nutzen."
1’000 mit Uravu vernetzte Familien aus drei Bezirken von Thrikkaippatta wurden in das 2008 lancierte Projekt einbezogen. Eldo und seine Frau Mary boten als erste eine Homestay-Möglichkeit an. Der Standardtarif für ein Paar liegt bei 2’000 Rupien pro Tag inklusive Essen. Die Zahl der Gäste wuchs von 44 im 2008 auf 150 im vergangenen Jahr an. Die Mehrzahl der Gäste kommt aus dem Ausland. Die Gastfamilien müssen dafür sorgen, dass ihre Investitionen nicht die Summe von 30’000 Rupien übersteigen. K.V. Daniel, Mitbegründer des Bambus-Tourismus und Anbieter eines Gästezimmers, erklärt: "Ausser einem sauberen und bequemen Schlafzimmer mit einem Bad brauchen die Gastgeber keine pompösen Einrichtungen. Schliesslich will der Gast vor allem unsere normale Familienatmosphäre mit uns teilen."
Köstliche Mahlzeiten biologisch angebauter Produkte sind die Hauptattraktion. Zudem lautet die Devise der Gastfamilien: "Es gibt jederzeit Essen." "Wir servieren den Gästen Früchte und Gemüse von unseren eigenen Feldern", sagt Mary. Ein Besuch in Uravu, wo Gäste Gegenstände aus Bambus kaufen können, ist ein weiteres Highlight. Ausserdem werden Ausflüge an pittoreske Orte in Wayanad arrangiert. Während Wanderungen rund um den Weiler und über die Hügel haben die Gäste Gelegenheit, mit ihren Guides in Kontakt zu kommen. Mittags wird den Gästen in so genannten Mittagshäusern für zehn Rupien pro Person ein opulentes vegetarisches Gericht auf Bananenblättern serviert. "Diese Dorfspaziergänge gefielen mir am besten", sagt Nicole Winter. Die Schweizer Touristin blieb zehn Tage im Dorf. "Es ist gar nicht leicht, die pure Freude zu beschreiben, die es für mich bedeutet, ohne Terminplan an Bächen, über Felder und durch Wälder zu gehen."
Bambus zu pflanzen ist eine weitere Aktivität in Thrikkaippatta. Die Gäste können in der Uravu-Baumschule einen Bambustrieb kaufen und an einer Flussbank einpflanzen. Das Bäumchen trägt einen Zettel mit dem Namen des Gasts, der ihn setzte. Das ist gleichzeitig sehr nützlich, sagt Daniel: "Das Bambusdickicht an den Ufern hilft, die Bodenerosion zu verhindern. Ausserdem erhalten die Pflanzen die Gesundheit der Bäche und garantieren die Versorgung mit Rohmaterial für die Uravu-Produkte."
Interessanterweise gibt es keine Sprachbarrieren zwischen Dorfbewohnern und Besuchern. "Sobald die Gäste merken, dass wir Gastfreundschaft als Teil unseres Alltags anbieten, werden sie locker", sagt Reena, Daniels Frau.
Während die meisten Gäste im Durchschnitt drei Tage im Dorf verbringen, bleiben einige länger. Rosalie Geiger aus Frankreich hält den Rekord: Sie blieb 16 Tage. "Das Dorf übt eine magnetische Anziehungskraft aus, die es dem Gast schwer macht, von hier wegzugehen", sagt sie. Und das, obwohl Alkohol aus dem Ort verbannt wurde. Die Gastfamilien haben bisher 550’000 Rupien (5,50 lakh) erwirtschaftet. "Der Anbau von Obst und Gemüse steigerte sich seit der Gründung der Homestays", sagt Daniel.
Die Hauptaktivisten vom Bambus-Tourismus-Dorf wollen, dass die Initiative dem Konzept des verantwortungsvollen Tourismus entspricht. Nirmal Joy von Kabani sagt: "Auch wenn im Tourismus Flaute herrscht, soll das Leben der Landwirte im Dorf weitergehen. Deswegen streben wir eine nachhaltige Dorfentwicklung in den Bereichen Landwirtschaft und Handarbeit an, die auch ohne Touristen florieren kann." Die Touristen hören nicht auf, Thrikkaippatta zu besuchen – dafür sorgen diejenigen, die die spartanische Gastfreundschaft genossen haben, mit Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Briefe der einstigen Gäste sind dafür ein hinreichender Beweis.
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