Basel, 16.01.2011, akte/ Spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts, als der erste Zug rauchend und dampfend im neu erbauten Luzerner Bahnhof einfuhr, war das Zeitalter des Fremdenverkehrs in Luzern definitiv angebrochen. Bereits strömten Gäste aus ganz Europa und gar Amerika auf die Rigi, um dem Naturspektakel des Sonnenaufgangs beizuwohnen. In Luzern begriff man schnell, dass der solventen Gästeschar standesgemässe Unterkunft, Verpflegung und "Divertissements" geboten werden mussten, wollte man sie nicht an die aufblühenden Fremdenverkehrsorte wie Lausanne, Montreux oder das Berner Oberland verlieren. Das "natürliche" Potenzial musste in Wert gesetzt werden. So wurde die sumpfige Allmend am rechtseitigen Seeufer zu einer prunkvollen Seepromenade aufgeschüttet.

Ein Palast für Adel und Grossbürgertum auf neuer Vergnügungsreise
An dieser aussichtsreichen Lage liess die neu gegründete Baugesellschaft aus der ehrwürdigen Luzerner Familie Segesser und weiteren Grand Hotellerie-Pionieren zwischen 1868 und 1870 einen monumentalen Palastbau – das "Hôtel National" – errichten. 1879 nahm Cäsar Ritz als junger Direktor im "Hôtel National" seine glorreiche Hotelier-Karriere auf und führte zusammen mit dem Meisterkoch Auguste Escoffier das Haus zu weltweitem Ruhm. Kaum 25 Jahre nach seiner Eröffnung wurden Räumlichkeiten und Ausstattung des Prunkbaus bereits zu knapp. Noch vor der Jahrhundertwende erhielt die mittlerweile zum "Grand Hôtel National" aufgestiegene Nobelherberge einen eleganten neuen Speisesaal in einem ersten Anbau. Wenige Jahre später wurde das "Grand Hôtel National" durch den prachtvollen "Nationalhof" erweitert, der mit allem Komfort und modernsten technischen Schikanen wie Bäder, Toiletten, Kalt- und Warmwasser-, Lüftungs- und Heizungsanlagen sowie Zimmertelephon und elektrischer Klingel- und Beleuchtungseinrichtung ausgerüstet war. Zur Eröffnung im Juli 1900 waren Pressevertreter sogar aus England geladen, die euphorisch über das "Grand Hôtel National" und dessen prestigiöse Innenausstattung neuesten Standards berichteten. Das "Grand Hôtel National" erstrahlte im vollen Glanz zur "Belle Epoque" – den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, als in Grands Hotels europaweit Luxus und unbeschwerter Müssiggang ausgiebig genossen wurden. Der Fremdenverkehr war inzwischen zur professionell organisierten Tourismusindustrie gewachsen. So wartete Luzern mit einem extravaganten Unterhaltungsprogramm auf: mehrere Konzerte täglich, Variétéspektakel, Feuerwerke, Pferderennen, Golf- und Tennisplätze für Sportbegeisterte und von 1910 bis 1914 gar das Luftschiff "Ville de Lucerne", das als besondere Attraktion zu fast täglichen Passagierflügen über Luzern in die Höhe hob.

Grand Hotel National als Spiegelbild der modernen Tourismusentwicklung
In der Geschichte des "Grand Hôtel National" finden sich sämtliche Ingredienzen wieder, welche die moderne Tourismusentwicklung bis heute prägen: Natur wird inszeniert und in Wert gesetzt, Verkehrswege werden erschlossen, prunkvolle Beherbergung und Verpflegung sorgen dafür, dass die Gäste ihren Status pflegen und Prestige gewinnen können. Für die stete Unterhaltung und reibungslose Beförderung der Kundschaft sorgt eine immer professionellere Organisation. Für die gewinnträchtigen Geschäfte werden Finanzkonsortien gegründet, es wird rege investiert und spekuliert. Die Historikerin Sibylle Birrer zeichnet im schönen Bildband "Grand Hotel National Luzern" Entstehungsgeschichte und Werdegang dieses Palace Hotels minutiös nach, bringt für Architekturliebhaber Details bis zu den Renovationen in jüngster Zeit zur Geltung und stellt dabei immer wieder den Bezug zur Entwicklung der Grand Hotellerie und des Tourismus insgesamt her. Hier und dort im Buch hätte eine konzeptuelle Straffung der verschiedensten Einschübe und Kästen nochmals hilfreich verdeutlichen können, welche Pionierrolle solche Palastbauten wie das "Grand Hôtel National" in Luzern einerseits bei der Einführung von innovativen Technologien wie Badezimmer und Toiletten in allen Zimmern, fliessend kaltem und heissem Wasser, Elektrizität etc. spielten, wie andererseits das "Grand Hôtel National" zur Professionalisierung des gesamten Tourismus rund um Luzern beitrug. So oder so macht der Bildband Lust darauf, bald nach Luzern zu pilgern, um sich gediegen im Grand Hotel National verwöhnen zu lassen.

Sibylle Birrer: Grand Hotel National Luzern. Luxus und Gastlichkeit seit 140 Jahren. Verlag hier+ jetzt 2010, Bildband 120 Seiten, SFr. 58.-, Euro 38.80, ISBN 978-3-03919-169-7