Gütesiegel im Tourismus: Wie Sand am Meer
Im Tourismus gibt es eine Vielzahl von Gütesiegeln. Ein allgemeines Label für faire Tourismusangebote gibt es aber noch nicht – und wird es vielleicht auch nie geben.
Immer reichhaltiger wird das Angebot an Konsumgütern, die mit den glaubwürdigen Gütesiegeln des Fairen Handels ausgezeichnet sind: Die Schweizer Max Havelaar-Stiftung belabelt rund 200 Produkte, die Importorganisation claro fair trade ag führt rund 1’700 Artikel im Sortiment. Teppichhändler bürgen mit dem von der Organisation STEP verliehenen Siegel für faire Produktionsbedingungen und den Verzicht auf Kinderarbeit. Faire Fußbälle sind bereits auf dem Markt, und das Label für faire Textilien ist auf gutem Weg. Zwar hat der Faire Handel noch immer eine verschwindend geringe Bedeutung im gesamten Welthandel. Max Havelaar verzeichnete jedoch im vergangenen Jahr für seine Produkte Zuwachsraten von bis zu vierzig Prozent, und weltweit legten Produkte aus dem Fairen Handel um 31 Prozent zu. Profiteure sind schätzungsweise 800’000 Familien oder rund fünf Millionen
Menschen, die zu benachteiligten Bevölkerungsgruppen gehören – für sie liegen Welten zwischen dem Fairen und dem konventionellen Handel: Im Fairen Handel erwirtschaften sie bis zu fünfzig Prozent mehr für ihre Erzeugnisse.
Von Steinböcken und blauen Flaggen
Warum also nicht die Erfolgsgeschichte der Gütesiegel oder Label auf den Tourismus ausdehnen? An Labels fehlt es in der Tourismusindustrie nicht − von der Blauen Flagge über die goldene Silberdistel, von klitzekleinen grünen Bäumchen in Reisekatalogen über internationale Zertifizierungsausweise mit unverständlichen Kürzeln wie ISO oder Green Globe bis hin zum urchigen Steinbock. Zu all den neuen Initiativen gibt es die alt hergebrachten Sterne-Auszeichnungen, «Qualitäts-Q’s» oder «Michelin-Pneus». Ein gemischter Salat also an öliger Sauce. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist eine griffige Orientierung für die Reisenden, was eigentlich das Ziel von Labels sein sollte. Allzu oft bleibt für Konsumentinnen und Konsumenten unklar, was eigentlich überprüft wird. Und kritische Begutachter/-innen im Tourismus rätseln, wer eigentlich was überprüft und wie unabhängig die Kontrollen durchgeführt werden.
Havelaar-Gütesiegel für Tourismusangebote?
Ein Label steht und fällt mit seiner Glaubwürdigkeit und seiner Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Transparenz über die Kriterien einer Auszeichnung, der Nachweis einer unabhängigen Kontrolle sowie eine entsprechende Informationspolitik tut Not. Zum Beispiel mit regelmäßigen öffentlichen Berichterstattungen und überzeugenden Marketingstrategien. Damit müssen die Bemühungen, die hinter einem Label stehen, ausgewiesen und der Öffentlichkeit schmackhaft gemacht werden. Dies sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren, um ein Gütesiegel bei den Konsument/innen effektiv auch gewinnbringend bekannt zu machen. Da herrscht aber allenthalben Notstand im Tourismus. Dies hängt sicher auch damit zusammen, dass in diesem komplexen Dienstleistungsbereich, wo ein «Produkt» − Im Gegensatz zum Beispiel zum klar vorgegebenen Weg einer Banane vom Strauch zu den Kundinnen und Kunden − letztlich nur durch das Zusammenwirken verschiedenster Akteure zu Stande kommt. Da sind die Reisenden selbst, der Transportgesellschaften, die Reisevermittler, die Beherbergung − sie alle sind in einem komplizierten System von Geschäftsbeziehungen mit einander verflochten. Ob je ein so komplexes Dienstleistungsangebot wie ein ganzes Ferienarrangement mit einem einfachen griffigen Label, das den Konsument/-innen eine gute Orientierungshilfe bietet, auf faire Kriterien ausgezeichnet werden kann, steht noch in den Sternen. Paola Ghillani, die Geschäftsführerin der Max Havelaar-Stiftung Schweiz, schätzt, dass ein Label mit der hohen Glaubwürdigkeit von Havelaar für den Tourismus in frühestens sieben bis zehn Jahren entwickelt werden könnte. Der Basler arbeitskreis tourismus & entwicklung vermutet sogar auf Grund seiner langen Erfahrung mit der Arbeit zur Qualifizierung des Tourismus, dass ein Label, wie es für andere Konsumgüter tauglich ist, als allgemeines «Kennzeichen» für eine besondere Qualität im Tourismus schlicht und einfach unzulänglich ist.
Die Pioniere kommen aus Südafrika
Hingegen macht es heute durchaus Sinn, dass einzelne Bestandteile einer Ferienreise – Beherbergung, Essen, Ausflugsangebote etc. – auf umwelt- und sozialverantwortliche Kriterien überprüft und ausgezeichnet werden. Dabei nimmt die Gütesiegel-Organisation «Fair Trade in Tourism South Africa» (FTTSA) eine Pionierfunktion ein. In enger Anlehnung an die Anforderungen für Fair Trade-Produzent/-innen in anderen Branchen hat FTTSA Kriterien erarbeitet, die Tourismusbetriebe in Südafrika gemäß den Mindestanforderungen des Fairen Handels auszeichnen kann. FTTSA ist die erste und bislang einzige Labelorganisation weltweit, die sich explizit auf die Fair Handels-Bewegung bezieht und damit auch an dessen Erfolge bei den KonsumentInnen in den Industrieländern anknüpft. Auch hierzulande werden ganze Gemeinden als Ferienanbieter mit Gütesiegeln ausgezeichnet und positionieren sich damit im Markt. Die glaubwürdige Überprüfung von unabhängiger Seite wird aber immer sehr aufwändig bleiben. Und das Verhalten der Reisenden selbst, eine doch sehr wichtige Gruppe von Akteuren im Tourismus, wird selbstverständlich nie mit einem Gütesiegel ausgezeichnet werden können. Gerade auch im Hinblick auf den Aufbau des Fairen Handels im Tourismus führt der Weg deshalb vorerst über die Information und Sensibilisierung der Reisenden sowie die verbindliche Einhaltung von ökologischen und sozialen Standards durch die Tourismusbranche. Diese ist den Reisenden und der Öffentlichkeit gegenüber mit einer transparenten Deklaration der Angebote und Offenlegung der verantwortlichen Unternehmensführung auszuweisen.
Christine Plüss, arbeitskreis tourismus & entwicklung
Beitrag für „Wendekreis“ Nr. 3, Schwerpunktheft „Reisen mit Respekt“, März 2005