Mitte November 1996 nahm der Deutsche Bundestag einen Antrag der Regierungsfraktionen zum Tourismus in die Dritte Welt gegen das Votum von SPD und Bündnis 90/Die Grünen an. Dieser Antrag, der ein Jahr lang durch die verschiedenen Ausschüsse wanderte, wurde bis auf einen kurzen Ergänzungssatz in seiner ursprünglichen Form verabschiedet. Mit der Verabschiedung des Antrags erhielten eine Reihe von Mären über den Tourismus in der Dritten Welt erneut Auftrieb: Der Tourismus habe für die Länder der Dritten Welt grosse wirtschaftliche Bedeutung. Der Nachweis wird dadurch geführt, dass ein Sinken der touristischen Nachfrage zu erheblichen Problemen führe. Der internationale Tourismus biete vor allem denjenigen Ländern eine grosse Chance, die in anderen Wirtschaftsbereichen ein geringes Entwicklungspotential hätten. Tourismusausgaben im Ausland seien zu den Entwicklungshilfezahlungen hinzuzuzählen. Ausserdem diene der Tourismus der Erhaltung der Naturpotentiale. Hinzu kommt ein ganzer Forderungskatalog voller vager Appelle. So soll  die Bundesregierung die deutschen Reiseunternehmen zu einer besseren Schulung von ReiseleiterInnen veranlassen. Effektiver wären sicher verbindliche Richtlinien für die Reiseleiterausbildung, wie sie für andere Berufe auch gelten. Die globalen Entwicklungen,  die derzeit den internationalen Tourismus  erheblich beeinflussen, werden in den Leitlinien gar nicht erst erwähnt. Eine Umorientierung des internationalen Tourismus, die eine Reduzierung der Flugreisen wegen ihrer akuten Klimagefährdung anstrebet, ist nicht vorgesehen. Dieses Problem sei in den Leitlinien nicht aufgegriffen worden, da es nichtkurzfristig lösbar sei. Fraktionen von CDU/CSU und FDP hatten leichtes Spiel bei der Ablehnung jeglicher Kritik und Änderungen, da sich die Oppositionen nicht zu einem gemeinsamen Handeln durchringen konnten. Derweil bestanden durchaus Chancen für Änderungen, zumindest was die Abschnitte zu Kinderprostitution und Sextourismus betrafen. Denn nach den bemerkenswerten Weltkongress gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern in Stockholm vom August 1996 war die Öffentlichkeit für diese Themen sensibilisiert, worauf sich die Bundesregierung in dieser Frage zur Zusammenarbeit mit den Hilfswerken, Kinderschutzgruppen und Menschenrechtsorganisationen veranlasst sah. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Koalitionsfraktionen mit diesem nun verabschiedeten Antrag eine Wende in der Tourismusförderung der Dritten Welt verhindern wollten, damit das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Tourismusindustrie weiterhin einen umweltzerstörerischen und unsozialen Tourismus fördern können – doch nun unter den massgeschneiderten Deckmäntelchen eines „verantwortungsbewussten Dritte-Welt-Tourismus“, mit dem sie sich wirksam gegen Kritik gefeit glauben.
Mechtild Maurer