Hanna Mina: Sonne an bewölktem Tag. Roman aus Syrien
(as-Sams fî yaumin ghâ’im, 1973. Aus dem Arabischen von Regina Karachouli)
Lenos Verlag, Basel 2003
276 Seiten; Fr. 39.80; € 22,50
ISBN 3-85787-337-X
Der verwöhnte junge Mann hat das monotone Luxusleben satt. Seine Familie ist hoch angesehen und pflegt Kontakte mit den höchsten Kreisen der Stadt. Seine Schwester ist mit einem Verwaltungsdirektor verlobt, sein Vater arbeitet im Palast des französischen Gouverneurs. Casinobesuch und Tango gehören zu den Statussymbolen.
Er ist der missratene Sohn, der keine Geduld für den Musikunterricht hat. Fleissig wechselt er die Instrumente und die Lehrer. Ein Bekannter führt ihn zu einem Flickschneider, der ihm das Geigenspiel zeigen soll. Aber nicht das Musizieren bringt er ihm bei, sondern den „Dolchtanz“. Beim Tanzen muss man auf die Erde stampfen, damit sie erwacht und aufbricht. Das erste Mal erfährt der Junge, was es heisst, im Leben etwas leidenschaftlich und mit Begeisterung zu tun. Bei seinem ersten Auftritt stampft er sich in Trance und sieht das bezaubernde Lächeln einer Frau.
Die Nachricht über seinen fantastischen Dolchtanz verbreitet sich schnell und sein Vater ist sehr empört. Ausgerechnet sein Sohn lernt dieses „Gehopse“ bei einem Schneider. Er versucht, ihn davon abzuhalten. Unbeirrt sucht der Junge die schmutzige Gasse und das armselige Zimmer des Schneiders in der oberen Etage auf. Unten befindet sich ein Kellergewölbe. Er begegnet dort einer Frau in einem lila Hemd. Ihr koketter, verführerischer Blick aus dunkelschwarzen Augen trifft ihn ins Herz. Durch diese Begegnung beginnt er, sich existentielle Fragen zu stellen.
Warum sind auf der einen Seite Paläste, auf der anderen Hütten? Muss er weiterhin tun, was seine Eltern wollen? Wird er erkennen, dass der Himmel hinter den Wolken immer blau ist? So wird der Dolchtanz zum Tanz des Lebens.
Romantik, Mystik und Realität wechseln sich ab. Spannend und blumig wird das Leben des jungen Mannes beschrieben und die eingeflochtenen Lebensweisheiten stimmen nachdenklich. Vieles steht zwischen den Zeilen.
Hanna Mina ist ein bedeutender Schriftsteller der arabischen Welt. Er wurde 1924 in Latakîja geboren, kurz nachdem Frankreich Syrien und Libanon übernahm. Er ging nur vier Jahre zur Schule, hat als Hafenarbeiter und Coiffeur gearbeitet. 1954 erschien sein erster Roman in Syrien.
Hartmut Fähndrich erwähnt im Nachwort, dass Hanna Mina in all seinen Romanen nie die politische Botschaft ausser Acht gelassen hat. In einem Interview erklärt er: „Es geht ganz einfach um den Kampf zwischen der Feudalklasse und der neugeborenen Bourgeoisie, dem Kleinbürgertum, das da und dort zwar die Macht übernehmen, nicht aber den Feudalismus ausrotten und eliminieren konnte.“
Ulrike Emmenegger
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