Hansruedi Müller, Martin Flügel: Tourismus und Ökologie. Wechselwirkungen und Handlungsfelder
Die herausragende Bedeutung der Umwelt für den Tourismus und die Bedrohung des Tourismus durch den Tourismus selbst sind Dauerbrenner in Debatte und Praxis rund um die Ausgestaltung des Fremdenverkehrs. Naturereignisse wie der unerwartete Schneereichtum in den Alpen mit den Lawinenkatastrophen und den Versorgungsproblemen Tausender eingeschlossener UrlauberInnen haben diesem spannungsgeladenen Beziehungspaar eben wieder höchste Brisanz verliehen. Umso willkommener die kritische Bestandesaufnahme zur Problematik, die das Autorenteam – der ausgewiesene Experte Hansruedi Müller, Professor an der Universität Bern und seit zehn Jahren Leiter des FIF, sowie Martin Flügel, Assistent am FIF – auf fundierte und übersichtliche Art und Weise vorlegt. Der Komplexität der Materie rücken die beiden Forscher mit methodischen Ansätzen aus dem vernetzten Denken bzw. der Systemtheorie zu Leibe, die den Wechselwirkungen zwischen natürlichen Prozessen und menschlichen Eingriffen umfassender Rechnung zu tragen vermögen. Klar gegliedert werden die wichtigsten Wechselwirkungen zwischen Tourismus und Umwelt in Bezug auf Landschaft und Boden, Flora und Fauna, Luft, Wasser und Klima sowie die Belastungen durch Energieverbrauch und Abfall dargestellt, dokumentiert anhand einer Fülle von Studienergebnissen, nicht zuletzt aus dem Fundus der institutseigenen, regen Forschungstätigkeit. Über die Konfliktpunkte in den Tourismusgebieten hinaus schlagen die beiden Experten den Bogen zu weiterreichenden Fragen des Spannungsverhältnisses zwischen Gesellschaft und Umwelt, etwa im Bereich Landwirtschaft und Industrie, Siedlung und Verkehr sowie den Diskrepanzen zwischen Wissen und Handeln im Umweltbereich. Auf ein generelles Fazit der Ausführungen verzichten die Autoren angesichts der vielschichtigen Realität. Auch ihre Handlungsvorschläge beschränken sich auf den Unternehmensbereich und politische Massnahmen in der Raumplanung, für den Verkehr sowie Umweltverträglichkeitsprüfungen. Schade, wurde hier die Gelegenheit nicht genutzt, den Katalog zu ergänzen durch griffige Massnahmen zur Stärkung von nachhaltigen Initiativen oder schwächer gestellten Gemeinschaften sowie für eine konsequente Informationspolitik, insbesondere auch gegenüber den Reisenden. Gar nicht angesprochen werden die neuen politischen Prozesse des Dialogs und der Zusammenarbeit von Umweltverbänden mit Tourismusbehörden und -unternehmen, deren Einschätzung gerade von Seiten des FIFs interessant wäre. Ganz eigenartig mutet an, dass die Publikation des auf Volks- und Betriebswirtschaft ausgerichteten FIF einzig die Nachfrageseite, das stetig steigende Bedürfnis der Reisenden, als Boomfaktor des Tourismus ausmacht. Gerade die Betrachtung der Wechselwirkungen zeigt doch, dass Tourismus als Hoffnungsträger vielerorts aktiv gefördert wird, Betten, Seilbahnen und andere aufwendige Infrastrukturen oft genug mit Steuergeldern subventioniert erstellt werden, die zu Überkapazitäten, schlechter Auslastung, Verschuldung führen und Gemeinden nicht selten in Zugzwang bringen, den Tourismus auf Teufel komm raus weiter auszubauen. Dass das spekulative, auf kurzfristigen Gewinn angelegte Denken den langfristigen Bemühungen, die zur nachhaltigen Nutzung von Ressourcen vonnöten sind, entgegensteht, ist zwar als Einsicht nicht neu, aber noch keineswegs so überholt, dass sie nicht in die Prämissen einer Studie zu Tourismus und Ökologie gehört. Und dieses Spannungsverhältnis müsste sich auch in den Handlungsfeldern für Tourismusverantwortliche aus Wirtschaft und Politik wiederspiegeln. Da gibt’s also durchaus noch Stoff und vielversprechende Themen für die nächsten Publikationen des FIF!
Berner Studien zu Freizeit und Tourismus, Band 37, Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus Bern (FIF), 1999, 310 Seiten, Fr. 32.-, ISBN 3-9521214-3-6