Hansruedi Müller: Tourismus und Ökologie
Mitten in die von den Klimaberichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) angeheizten Klimadebatte, dem Schmelzen der Gletscher und dem Ausbleiben vom Schnee in den Skigebieten kommt die dritte Auflage des Grundlagenwerks zu Tourismus und Ökologie. Es lotet das Spannungsverhältnis aus zwischen dem Interesse an einer intakten Umwelt – dem Hauptkapital des Tourismus – und einem profitorientierten Tourismus, welcher die Umwelt und damit die eigene Zukunft gefährdet. Hansruedi Müller, Professor an der Universität Bern und seit 18 Jahren Leiter des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus, führt mit Ansätzen aus dem vernetzten Denken und der Systemtheorie an die komplexe Materie heran. Ein weites Panorama von Aspekten, die für den Tourismus ebenso von Bedeutung sind, wie sie vom Tourismus auch wiederum beeinflusst werden, wird aufgetan: Das Umweltverhalten in der Gesellschaft in seinen Bedingtheiten, Siedlung- und Verkehrsentwicklung, Landwirtschaft, Industrialisierung, Flora und Fauna, Luft, Wasser, Klima, Energie und Abfall. Aktuell zur Klimadebatte fliessen auch die Erkenntnisse aus derKlimastudie fürs Berner Oberland (vgl. Newsletter März 2007) in die überarbeitete Ausgabe ein. Dort wurde errechnet, dass ein Verzicht auf Massnahmen, welche die Klimaerwärmung verzögert, teure und schwerwiegende Folgen nach sich ziehen könnte. Wichtig daher, zu wissen, wo die Handlungsfelder für einen Tourismus liegen, von dem auch die nächste Generation profitieren kann. Müller stellt auch hier ganz im Sinne einer Grundlage eine Reihe von Ansätzen, ökonomischen und politischen Instrumenten mit ihren Vor- und Nachteilen vor: Ethische Denkmöglichkeiten der Manager, Umwelt-Management-Systeme und Standardisierungsnormen, Labels, Information der Reisenden. Der Stand der Umsetzung der möglichen Massnahmen, so die zitierteStudie von Rolf Gurtner, ist eher ernüchternd: Zwar sei einiges in der richtigen Richtung eingeleitet worden, womit die gesetzten Ziele aber nur bedingt errecht würden: „Es brauche verbindlichere Strategien und Massnahmen“. Aber welche? Bei der Vorstellung der politischen Lenkungsmöglichkeiten beschränkt sich Müller auf die Raumplanung, den Verkehr und die Umweltverträglichkeitsprüfung. Hier hätte auch interessiert, wo die Forcierung des touristischen Angebots mittels Subventionen beim Bau touristischer Infrastrukturen und Angebote zur Verschärfung der Umweltproblematik beigetragen haben und beitragen.
Ganz im Sinne seines Plädoyers für eine ganzheitliche und interdisziplinäre Erforschung der Wechselwirkung von Tourismus und Ökologie schliesst Müller mit der Zukunftsvision einer Ballonfahrt im Jahr 2030 über das Berner Oberland. Sie ist gespickt mit viel Optimismus: Werden dann tatsächlich keine Motorboote mehr auf dem Thunersee fahren? Werden lokale Versorgungsnetze die Lösung gegen zunehmenden Verkehr sein und das Autofahren nur noch ein Spleen komischer Käuze? Werden die Überkapazitäten abgebaut und mit „Total Quality Management“ verbesserte Leistungen für Gäste angeboten, von denen gleichzeitig die Einheimischen mehr profitieren und die Natur geschont wird? Die Ballonfahrt ist erfrischend, zeigt auf, wie die Schweiz aussehen könnte, wenn heute die richtigen Weichen gestellt werden – und macht Lust darauf.
Hansruedi Müller: Tourismus und Ökologie. Wechselwirkungen und Handlungsfelder. 3. überarbeitete Auflage, Oldenbourg, München 2007, 245 Seiten, SFr. 55.00, Euro 32.80, ISBN 978-3486583366