Heute vor 40 Jahren, nämlich am 10. Januar 1969, überreichten die InitiantInnen der Erklärung von Bern EvB ihr Manifest mit über tausend Unterschriften dem SP-Bundesrat Willy Spühler – der sich freute, eine Eingabe aus dem progressiven Teil der Bevölkerung zu erhalten. Im Gedenken an dieses Ereignis geben wir Adrian Portmanns Ansprache* wieder, die er anlässlich der Buchpräsentation von "Entwicklung heisst Befreiung. Erinnerungen an die Pionierzeit der Erklärung von Bern" mit Regula Renschler und Anne-Marie Holenstein am 27.11.08 in Basel gehalten hat. 
Punktgenau zum 40. Geburtstag der Erklärung von Bern (EvB) ist Ende 2008 im Chronos Verlag ein Buch erschienen, das unter dem Titel „Entwicklung heisst Befreiung“ an die Pionierzeit der Erklärung von Bern erinnert. Verfasst haben das Buch Regula Renschler, Anne Marie Holenstein und Ruedi Strahm, die in den zur Diskussion stehenden Jahren für die EvB gearbeitet haben und die auch später in den Debatten über Entwicklungspolitik und Nord-Süd-Beziehungen präsent waren und dies bis heute sind, als Medienschaffende und Autor/innen, als Vermittler/innen und Expert/innen, in der Politik und in Hilfswerken.
Das Buch, ich gebe es gerne zu, hat mich richtig gehend gefesselt. Aus dem Versuch, mich der Zeitnot gehorchend mit einem mehr oder weniger schnellen Querlesen zu begnügen, ist nichts geworden: Von Anfang bis Ende musste ich das Buch lesen und habe zwischendurch selbst das Kaffeetrinken und die Rauchpausen vergessen. Es geht also um ein ausgesprochen gelungenes, um ein spannendes und bemerkenswertes Buch. Oder genauer: Es geht um mindestens drei Bücher in einem.
Es ist zunächst die Geschichte der EvB von den Anfängen um 1968 bis Mitte der Achtzigerjahre. Es ist die Zeitspanne, in der die beiden Autorinnen und der Autor für die EvB gearbeitet haben, und mehr noch: in der sie das Gesicht der EvB  geprägt und ihr Profil gegeben haben. Erzählt wird, wie es zur Gründung kam, wie aus einem Manifest, aus einem ethischen Appell von vornehmlich reformierten Theologen wie André Bieler, Max Geiger und Lukas Vischer mit der Zeit ein Verein und eine entwicklungspolitische Organisation wurde. Erzählt wird, wie aus einem mehr oder weniger improvisierten, aber nichts desto trotz effizienten Sekretariat in einem Wohnzimmer eine professionelle Geschäftsstelle mit mehreren Angestellten geworden ist. Erzählt wird, wie sich Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund in der EvB zusammen fanden, kirchliche Menschen mit eher bürgerlichem Hintergrund etwa und radikalere Geister aus der 68er-Bewegung, was nicht ohne Konflikte, aber doch ohne die anderswo unumgänglichen grossen ideologischen Grabenkämpfe abging. Und vor allem wird erzählt, mit welchen Themen sich die EvB im Lauf dieser Jahre beschäftigt hat, welche Aktionen und Kampagnen unternommen wurden und welche Perspektive auf das Verhältnis der Schweiz zu den Ländern des Südens sich hier herausgebildet hat; zudem werden nationale und internationale Vernetzungen nachgezeichnet und auch die Konflikte, die auszustehen waren. Dabei zeigt sich eine erstaunliche Vielfalt, nicht nur der Mittel, mit denen gearbeitet wurde, sondern auch der Themen: Wirtschaftliche und finanzpolitische Fragen stehen neben Themen der Kultur und der Bildung, Ernährungsfragen neben Diskussionen des Lebensstils und des Tourismus.
Das alles ist quasi das erste Buch. Zugleich aber geht es auch um die Geschichte der entwicklungspolitischen Szene der Schweiz. Dass diese hier mehr oder weniger en passant dargestellt werden kann, hat einen guten Grund: Viele der NGOs, die diese Szene bis heute prägen, wurden im Lauf der Jahre von der EvB angestossen oder mitbegründet. In nicht wenigen Fällen waren es Arbeitsbereiche der EvB, die irgendwann ausgegliedert wurden und auf eigene Füsse zu stehen kamen: Die heutige Fair-Trade Organisation claro etwa, die Aktion Finanzplatz oder der Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung, der Kinderbuchfonds Baobab oder die heutige Fachstelle zu Frauenmigration und Frauenhandel FIZ.
Und schliesslich gibt es noch ein drittes Buch zwischen diesen beiden Buchdeckeln. Hier erzählen die beiden Autorinnen und der Autor von ihrem familiären und sozialen Hintergrund und von prägenden Erlebnissen in früheren Jahren. So wird deutlich, was sie bewegt und beschäftigt hat und wie und weshalb sie zur EvB gekommen sind. Mit eben diesem subjektiven und persönlichen Blick erzählen sie dann auch ihre eigene Geschichte mit der EvB. Und gerade diese Verschränkung scheint mir ein Charakteristikum des vorliegenden Buches zu sein.
Und vielleicht haben wir sogar noch ein viertes Buch in den Händen: Da es nämlich über weite Strecken zwei Frauen sind, die da erzählen, hält das Buch eine ganze Reihe von Beobachtungen bereit, die sich zu einer kleinen Geschlechtergeschichte der sozialen Bewegungen in der Schweiz verdichten. Was da nicht alles selbstverständlich war – oder umgekehrt: wie viele Fragen da noch nicht mal am Horizont auftauchten, so etwas wie Mutterschaftsurlaub zum Beispiel. Aber auch andere Dinge gehören in dieses Kapitel, die tragende Rolle von Frauen in vielen Gruppen oder die Kampagnen zur Ernährung, von denen sich viele Frauen ansprechen liessen.
Für nicht wenige Leser/innen wird die EvB eine alte Bekannte sein, einige werden sich an die Anfänge erinnern und in dem Buch vielen Menschen, Episoden und Themen wieder begegnen, die sie selber erlebt haben. Für andere wird die Begegnung mit der EvB erst zu einem Zeitpunkt stattgefunden haben, der in diesem Buch gar nicht mehr vorkommt. Ich selber gehöre zu diesen – und genau deshalb war für mich die Lektüre des Buches so erhellend: Weil sie mir zeigte, wie die entwicklungspolitische Szene gewachsen ist, bevor ich selber für einige Zeit ein kleiner Teil von ihr wurde. Aber wie auch immer: Uns allen kann das Buch zeigen, dass viele Fragen nach wie vor ungelöst sind und viele Missstände nach wie vor weiter bestehen, auch nach vierzig Jahren. Und genauso kann es uns zeigen, dass Sachkenntnis und Phantasie, dass Beharrlichkeit und Engagement doch vieles bewegen können.
Abgerundet wird das Buch mit einem Nachwort des Historikers Konrad Kuhn sowie einem kurzen Ausblick auf die heutige Erklärung von Bern.

Anne Marie Holenstein, Regula Renschler, Rudolf Strahm: Entwicklung heisst Befreiung. Erinnerungen an die Pionierzeit der „Erklärung von Bern“, Zürich: Chronos Verlag 2008

*Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Adrian Portmann