«Highly welcome»?
Der Slogan der SVP "Masseneinwanderung stoppen" richte sich nicht gegen TouristInnen, die "herzlich willkommen sind in unserem wunderschönen Land", erklärte Nadja Pieren, Vize-Präsidentin der SVP Schweiz, angesprochen auf die SVP-Plakate im Flughafen Bern- Belp gegenüber Telebärn. "Sie dürfen sich die Schönheit der Schweiz gerne ansehen." Nicht dass die kürzlich lancierte Initiative der SVP nicht absurd genug wäre, skurril ist aber darüber hinaus, dass einige Tage nach Pierens Statement und kurz nach ihrer Rede am SVP- "Familienfest" auf dem Bundesplatz am 13. September 2011 ein Tourist willkürlich angehalten, zwecks Personenkontrolle gefesselt und auf die Polizeiwache gebracht wurde.
Augustin Dufatanye, ein Mann aus Ruanda, der seit einigen Jahren in Island wohnt, kam einen Tag vor dem SVP-Fest in die Schweiz, um seine Freundin zu besuchen. Neugierde trieb ihn auf den Bundesplatz, um die öffentliche Veranstaltung vor Ort mitzuverfolgen. Als er wie Tausende Andere den Reden der SVP-PolitikerInnen zuhörte, wurden er und fünf weitere Personen, darunter auch Sosf-Sekretär Moreno Casasola, von etwa einem halben Dutzend PolizistInnen aus der Menschenmenge ausgesondert und zwecks Personenkontrolle abgeführt. Obwohl sich bei der Personenkontrolle vor Ort kein Verdachtsmoment ergab, legte die Polizei ihnen Kabelbinder-Handschellen an und brachte sie auf die Wache. Gründe für das Festhalten der sechs – und vielen anderen – Personen konnten die zuständigen PolizistInnen während der gesamten Prozedur nicht angeben. Schliesslich erklärte die Polizei dem Touristen bei der Befragung, dass er festgehalten wurde, weil er "zur falschen Zeit am falschen Ort" war. Damit erhielt Augustin Dufatanye an diesem Nachtmittag tatsächlich Einblick in etwas, das den meisten TouristInnen vorenthalten bleibt, aber viele MigrantInnen in der Schweiz immer wieder erleben. Er lernte einige zentrale Dimensionen des "wunderschönen Landes" kennen: Rechtspopulismus, Diskriminierung und Repression.
Der Beitrag von Jacqueline Kalbermatter ist der Dezember-Ausgabe des Bulletins von Solidarité sans Frontières www.sosf.ch entnommen. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Den Iraker zum Syrer machen
Am 31. Januar soll ein 59jähriger irakischer Physiker und ehemals anerkannter Flüchtling nach 14 Jahren in der Schweiz nach Syrien ausgewiesen werden – dem Land, wo zurzeit täglich Menschen vom Regime Baschar Al-Assad umgebracht werden. Das Basler Migrationsamt scheue vor keiner Drohung zurück, um den Physiker A.S. loszuwerden, schreibt augenauf in ihrem Bulletin
Seit zwei Jahren kämpft der ehemals anerkannte Flüchtling A.S. gegen eine Kaskade von rechtsstaatlich skandalösen Entscheiden, die dem 58-jährigen Iraker alles genommen haben, was möglich ist: Zuerst wurde seine dokumentierte irakische Nationalität in eine syrische umgewandelt. Dann wurde sein Flüchtlingsstatus aberkannt. Seine Niederlassungsbewilligung widerrufen. Und schliesslich das laufende Einbürgerungsgesuch sistiert. Nun soll der stellenlose Physiker, der seit 14 Jahren in der Schweiz lebt, bis zum 31. Januar 2012 in sein Geburtsland nach Syrien ausgewiesen werden. Syrien brennt, und die Schreibtischtäter im Basler Migrationsamt (BM) scheuen vor keiner Drohung zurück, nur um einen Sozialhilfe empfangenden Flüchtling weniger im Kanton zu haben.
Die Wegweisungsverfügung nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt steht dem Beschluss des Bundesamtes für Migration (BFM) vom Juli dieses Jahres entgegen. Dort wurde festgehalten, vorläufig keine negativen Asylentscheide mit Rückführungsanordnungen nach Syrien zu fällen. Die Basler Migrationsbehörde negiert, dass Syrien ein Unrechts- und Folterstaat ist und macht sich damit zu dessen aktivem Handlanger in der Schweiz. Nun wendet sich augenauf Basel in einem offenen Brief an die Regierungsrätinnen und Regierungsräte des Kantons Basel und appelliert, dass sie ihre politische und moralische Verantwortung wahrnehmen und die skandalöse Praxis der Basler Migrationsbehörde sofort stoppen sollen.
Am Schicksal von A.S. ist auch gut zu sehen, wie beim BFM rechtsstaatliche Grundsätze ausser Kraft gesetzt werden. Denn es stützt sich bei Wegweisungen auf Informanten aus den Herkunftsländern. Die Identität dieser Leute gibt das BFM nicht preis. Die Betroffenen können sich deshalb in keiner Weise wehren. Willkommen im Reich der Willkür.
Der Familiennachzug hatte katastrophale Folgen
Seit 1997 lebt der gebürtige Syrer A.S. in der Schweiz; seit 1999 als anerkannter irakischer Flüchtling. A.S., der bereits als junger Mann Syrien verlassen und im Irak gelebt hatte, verfügt über die irakische Nationalität. Er hatte im irakisch-iranischen Krieg gekämpft. Aus politischen Gründen musste er den Irak verlassen und fand in der Schweiz Asyl. Sein Geburtsland Syrien hat er 34 Jahre lang nicht mehr besucht. Sein syrischer Geburtsort war den Beamten des BFM aber immer bekannt. Als der promovierte Physiker für erneuerbare Energien aus beruflichen Gründen 2007 erstmals wieder nach Syrien an einen wissenschaftlichen Kongress reiste, musste er sich dort täglich beim Geheimdienst melden. Die Einreise war aufgrund seiner irakischen Staatsangehörigkeit nur mit einem Visum möglich. Das BFM bestätigte ihm, dass diese Reisen legal waren. 2008 heiratete A.S. eine Syrerin, die er während seines Syrien-Aufenthaltes kennengelernt hatte. Er beantragte bei den Basler Migrationsbehörden den Familiennachzug.
Der Familiennachzug hatte eine katastrophale Kettenreaktion zur Folge. Weil auf seiner Heiratsurkunde "Syrer" stand, beantragte der Basler Migrationsbeamte ein Verfahren zur Aberkennung von A.S. Flüchtlingsstatus. 2009 wurde A.S. der Status aberkannt. Die Aberkennung wurde vom BFM damit begründet, dass A.S. – in Syrien geboren – jederzeit einen syrischen Pass beantragen, nach Syrien reisen und sich dort aufhalten und arbeiten könne.
Die Aussagen, die zählen, stammen von den Schergen Asads
All dies wurde von A.S. und seinem Anwalt bis zum Bundesverwaltungsgericht angefochten. Alle Begehren, selbst jenes auf unentgeltliche Rechtspflege in einer offensichtlich juristisch höchst komplexen Frage, wurden vom Bundesrichter Fulvio Haefeli, einem Hardliner der SVP, abgelehnt. Dabei widerspricht die Aberkennung einer mit einem Pass dokumentierten Nationalität zugunsten einer auf blossen Mutmassungen basierenden neuen Staatsbürgerschaft auch den Richtlinien des BFM, wie sie augenauf Basel schriftlich mitgeteilt wurden. Demnach entscheidet bei doppelter Staatsbürgerschaft das Vorliegen eines Reisepasses. Es verletzt zudem das Menschenrecht auf Datenschutz und Privatsphäre, einem ausländischen Staatsbürger seine dokumentierte Nationalität gegen dessen Willen abzuändern. So wird A.S. nun in der Schweiz in allen Datensätzen als Syrer geführt, obwohl alle seine Dokumente Studienabschluss, Doktorat etc.) andere Angaben enthalten. Völlig fatal und unhaltbar ist schliesslich, davon auszugehen, A.S. sei in Syrien nicht bedroht, wenn er sich dort länger aufhalten und wenn er nicht mehr als Iraker unter dem Schutz des Schweizer Flüchtlingspasses in das Land einreisen würde. Syrien akzeptiert keine doppelte Staatsbürgerschaft. Und Syrien ist in keiner Weise erbaut über Leute, die wie A.S. in fremden Kriegen und für fremde Mächte gekämpft haben.
Der syrische Konsul in Genf sagte im Mai 2011 gegenüber dem BFM, A.S. könne vermutlich gegen Bezahlung mehrerer Tausend Franken einen syrischen Reisepass beantragen. Dieser sei dann jeweils ein Jahr gültig, und der Mann könne wohl, da mit einer Syrerin verheiratet, auch im Land wohnen. Auf solche Vermutungen stützen sich das BFM und das Basler Migrationsamt. Vermutungen, ausgesprochen von Repräsentanten eines Regimes, das zu dieser Zeit auf die eigene Bevölkerung schiessen lässt und wahllos Männer, Frauen, Jugendliche und sogar Kinder foltert.
Die Ehefrau hat in der Zwischenzeit aus Syrien flüchten müssen
Ebenso unsicher sind die Angaben des syrischen Vertrauensanwalts, die das BFM via Schweizer Botschaft in Damaskus auf schriftlichem Weg erhielt. augenauf Basel weiss, wer dieser Anwalt ist. Dass er mit dem Regime auf gutem Fuss stehen muss, versteht sich von selbst. Schliesslich sollte er Kenntnisse haben, über die eigentlich nur der Staat respektive dessen Geheimdienste verfügen. Das Konzept eines solchen unabhängigen Vertrauensanwaltes ist in sich paradox: Er weiss immer entweder zu viel oder zu wenig, ist also dem Regime zu nahe oder zu fern. In beiden Fällen gefährdet er das Leben des Betroffenen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Ehefrau von A.S., eine Lehrerin, mittlerweile in Syrien ihre Stelle verloren hat, weil sie einen Ausreiseantrag für die Schweiz gestellt hat. Wie durch viele Organisationen (u.a. Amnesty International) belegt ist, behandelt Syrien Staatsangehörige, die ins Ausland ziehen wollen oder flüchten, als nicht loyale bzw. feindliche BürgerInnen. Vor diesem Hintergrund ist die Ehefrau von A.S. nun aus Syrien geflüchtet und hat in der Schweiz einen Asylantrag gestellt.
Basel als Handlangerin eines Folterregimes
Dass all das in Syrien möglich ist, erstaunt nicht angesichts dessen, was in diesem Land derzeit täglich passiert. Die Weltöffentlichkeit klagt das syrische Regime mittlerweile der Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Nur das Basler Migrationsamt verfügt zum gleichen Zeitpunkt die Wegweisung von A.S., als ob es sich um einen Routineakt handeln würde. Es ist skandalös, einen anerkannten, beinahe sechzigjährigen Flüchtling, der seit 14 Jahren in der Schweiz lebt, aktiv zum Sans-Papiers zu machen, indem ihm seine dokumentierte irakische Nationalität entzogen, eine syrische aufgezwungen und seine Wegweisung in das von Gewalt erschütterte Syrien angeordnet wird. Dass das Migrationsamt diese ganze Prozedur unverhohlen und explizit mit der Einsparung der bescheidenen Fürsorgeleistung von ca. 2000 Franken monatlich begründet, zeigt schmerzlich, bis zu welchem Grad die Basler Ausschaffungs-Bürokratie bereit ist, aus finanziellen Überlegungen fundamentale Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit zu verletzen. augenauf Basel kämpft politisch und juristisch weiter, damit die Rechte von A.S. respektiert werden.
Der Beitrag erschien in der September-Ausgabe des augenauf-Bulletins www.augenauf.ch. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung
In diesen Tagen hat die Basler Grossrätin Sibel Arslan eine Interpellation zur Ausweisung nach Syrien gemacht, die mit einer nicht veröffentlichten mündlichen Antwort erledigt wurde.
Wer gerne reist, tut gut daran, auch im eignen Land Offenheit zu pflegen. Die Eidgenössische Kommission für Rassismus warnt, dass in der Schweiz Asylsuchende von Behörden diskriminiert werden (Medienmitteilung vom 21.10.2011); Auch das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge warnt vor der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit. Amnesty International schliesslich äussert sich in seinem Menschenrechtsbericht besorgt über den Umgang der Schweizer Behörden mit Ausländern und Asylsuchenden. Die Menschenrechtsorganisation hat eine Petition lanciert, die sich gegen die so genannten Level IV-Ausschaffungen (gefesselt und geknebelt) wendet. Sie seien unverhältnismässig, unmenschlich und gefährlich. Diese Petition können Sie online unterzeichnen.