Am Ende gelte es, ein neues Narrativ zu etablieren. Einen Aufschlag hierfür versuchen der Menschenrechtsaktivist und Geschäftsführer der Hilfsorganisation „medico international“, Thomas Gebauer, und der preisgekrönte Bestsellerautor Ilija Trojanow in ihrem gemeinsamen Buch „Hilfe? Hilfe!“ „Es ist wichtig, wie wir Welt erzählen, umso wichtiger, wenn wir sie verändern wollen.“ Dass dies ihr Anliegen ist, darüber lassen die beiden (auch für dieses Buch) weit gereisten Autoren keinen Zweifel. Mit Akribie und kritischem Blick nehmen sie die vielfältigen Formen und Motivationen, Menschen in Not zu helfen, unter die Lupe.

    Und die sind häufig keineswegs so altruistisch wie sie in Gestalt von Hilfsorganisationen, Regierungen, Konzern-Stiftungen, Banken oder Fonds daherkommen – und nachhaltig sind sie häufig schon gar nicht. Im Gegenteil: Vor allem dort, wo Hilfe den gängigen kapitalistischen, interessegeleiteten Marktmechanismen unterworfen wird, wo es um Rendite und Gewinnstreben, um die Erschließung neuer Märkte geht, zeigt sich oft die Janusköpfigkeit von Hilfsangeboten an ärmere Länder. Gemeingüter wie Gesundheit, Bildung, Kultur, Hilfe in Not würden zu Handelsgütern, so die Autoren, private Unternehmen machten sich die Lücke, die der neoliberale Kahlschlag in der Sozialpolitik in vielen Ländern hinterlasse, zunutze und investierten genau in diesen Bereichen.

    So genannte "failing states“ würden als Wachstumsmärkte ausgemacht, das Engagement in den Ländern von Effizienz bestimmt. Und das gelte nicht nur für Unternehmen und Konzerne. "Der Anspruch der Wirkungsmessung hat das soziale Handeln verarmen lassen“, kritisieren Gebauer und Trojanow. "Große Ziele wie Völkerverständigung, Frieden oder eben gesellschaftliche Einbindung – Ziele mithin, die sich metrisch kaum messen lassen und einen langen Atem brauchen – sind aus dem Portfolio vieler Hilfsorganisationen und Sozialverwaltungen verschwunden.“

    Sicher, Gebauer und Trojanow sind nicht die einzigen, die diese Ökonomisierung von Hilfe kritisieren, von der vor allem die reichen Geber profitieren und die notleidende Menschen vielfach in ihrer Bedürftigkeit verharren lässt. Doch sie bleiben bei ihrer erhellenden Freilegung der bestehenden Verhältnisse nicht stehen. Sie drehen den Spieß um und erzählen von einer anderen Realität, die mit dem jahrhundertealten Narrativ vom Menschen, der dem Menschen ein Wolf sei, bricht. "Würden wir unsere emphatischen Fähigkeiten ins Zentrum rücken, wären wir geprägt von einer überwältigenden Vielzahl an Beispielen gegenseitiger Anteilnahme, Unterstützung und sogar Selbstaufopferung.“ In ihrem Buch liefern sie für diese These zahlreiche Mut machende und bewegende Beispiele von Selbstorganisation, verlässlicher Solidarität und gemeinschaftlichem Denken. Und so gerät ihr Buch letztlich zu einer Ehrenrettung für einen zutiefst menschlichen aber von Diskreditierung bedrohten Urimpuls: Hilfe. Keine leichte, aber eine lohnende und bereichernde Lektüre!

    Thomas Gebauer & Ilija Trojanow: Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise. Fischer-Taschenbuch, 2020, 256 Seiten, Klappenbroschur, EUR 15.00 (D) / EUR 15.50 (A). ISBN 978-3-596-70188-9