Wie kamen Sie dazu, ein Buch über die Ölindustrie und die damit einhergehende Gewalt im Nigerdelta zu schreiben?

Diese Vorfälle geschehen in meinem Land. Aber ich habe ihnen lange Zeit nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Ölförderung begann zwar schon vor etwa 50 Jahren. Doch so wie ich begriffen die meisten Leute erst, was vor sich ging, als 1995 der Umweltaktivist Ken Saro-Wiwa hingerichtet wurde. Trotzdem habe ich mich nie aufgerafft, darüber zu schreiben, bis eine englische Filmproduktionsfirma mich vor etwa fünf Jahren um ein Drehbuch bat. Damals wurden im Nigerdelta viele Ausländer entführt, worüber sogar CNN berichtete. Allerdings konnte ich mich am Ende mit dieser Filmfirma nicht einigen. Doch das Drehbuch diente als Anstoss für "Öl auf Wasser".

Der verschlungene Aufbau des Buches erinnert an die mäandrierende Landschaft des Nigerdeltas. Ist das Absicht?

Es ging mir nicht in erster Linie um die Abbildung der Landschaft, sondern darum, die Lesenden zu bremsen. Der Inhalt der Geschichte gleicht einem temporeichen Krimi. Aber ich will auch, dass die Lesenden nachdenken.

Sie beschreiben sehr genau, wie die Gase, die bei der Ölförderung als Abfallprodukt entstehen, abgefackelt werden. Haben Sie diese Fackeln lange beobachtet?

Ja, das ist sehr eindrücklich. Wenn man nachts mit dem Flugzeug in die Deltaregion fliegt, ist die ganze Gegend hell erleuchtet. Manche Fackeln brennen seit 20 oder 30 Jahren ohne Pause. Man sieht Frauen, die ihre Kleider oder Fische direkt daneben trocknen – neben all dem Rauch und den Chemikalien. Das Traurige ist, dass es so normal geworden ist.

Im Buch wollen ständig Leute der Hauptfigur, dem Journalisten Rufus, diktieren, was er schreiben soll. Wie schwierig war es für Sie als Autor, sich in diesem Konflikt nicht instrumentalisieren zu lassen?

Das war sehr schwierig. Ich finde es traurig, wie Nigeria in internationalen Medien dargestellt wird. Sie fokussieren zu sehr auf die Entführungen und die Verbrechen. Ich wollte hinter die Schlagzeilen schauen und zeigen, dass Leute wie Sie und ich im Nigerdelta leben und leiden. Ihre Kinder schwimmen in verdrecktem Wasser, und täglich sterben Menschen. Gleichzeitig machen die Ölfirmen Milliarden. Doch als Autor wollte ich nicht zu emotional werden und Distanz halten. Sonst wäre die Geschichte nicht interessant geworden. Ich möchte mich auch nicht als Sprecher von Umweltorganisationen einspannen lassen.

Wieso erwähnen Sie keine Ölkonzerne namentlich?

Es wäre zu kompliziert, und es ist für meine Geschichte auch nicht nötig. Ich wollte keine Debatte über ein einzelnes Unternehmen lostreten, sondern bewirken, dass die Leute über die ganze Region nachdenken.

Haben Sie auf Ihr Buch Reaktionen von Ölfirmen erhalten?

Ich hatte vor einiger Zeit eine Lesung in Den Haag. Es stellte sich heraus, dass ein Grossteil des Publikums beim niederländischen Unternehmen Shell arbeitet. Sie stellten ganz viele Fragen. Ich war beeindruckt davon, wie viel die Leute in den Niederlanden über die Lage im Nigerdelta wussten.

Wurden Sie angegriffen?

Nein, gar nicht. Die Leute sind nett; das Problem sind die Unternehmen. Und die nigerianische Regierung schützt nicht die eigenen Leute, sondern die Ölkonzerne. Was besonders jetzt, da wir einen Präsidenten aus dem Nigerdelta haben, sehr störend ist.

Wie wurde Ihr Buch in Nigeria aufgenommen?

Es wurde noch nicht in Nigeria veröffentlicht; ich möchte aber erreichen, dass ein dortiger Verlag das Buch herausgibt. Die Leute können das Buch natürlich Online bestellen, und aufgrund dessen gab es gemischte Reaktionen. In den USA erhielt das Buch erstaunlich viel Aufmerksamkeit, wahrscheinlich, weil sich ja am Golf von Mexiko auch eine Ölkatastrophe ereignet hat. Was dort geschehen ist, passiert im Nigerdelta täglich.

Um die Gegend zu reinigen, ist nun viel Arbeit nötig.

Ja, das wird Jahrzehnte dauern. Die Giftstoffe aus der Ölförderung sind tief in den Boden eingesickert. Die Ölfirmen verwenden Chemikalien, um das Wasser zu reinigen. Aber diese Chemikalien töten die Fische. Man kann das Wasser nicht mehr trinken, keine Brunnen bauen.

Sie haben als Hauptfiguren in "Öl auf Wasser" zwei Journalisten gewählt. Wie ist die Lage der Medienschaffenden in Nigeria?

Sie arbeiten unter extrem schwierigen Bedingungen. Ihre Sicherheit ist überhaupt nicht gewährleistet. Trotz allem machen sie sehr gute Arbeit. In der Demokratiebewegung der 1990er-Jahre waren Journalisten die Vorreiter. Manche wurden deswegen verhaftet oder getötet, Redaktionen wurden niedergebrannt. Doch die Journalisten bringen die Meinungsäusserungsfreiheit in neuen Demokratien wie Nigeria voran. Wenn sie zum Schweigen gebracht werden, wird das ganze Volk zum Schweigen gebracht. Deshalb habe ich Journalisten als Metapher für Freiheit gewählt.


Helon Habila
Der Autor Helon Habila wurde 1967 in Nigeria geboren. Er studierte Literatur und arbeitete anschliessend in Lagos als Journalist, bevor er sich als Schriftsteller etablierte. Bereits sein erster Roman "Waiting for an Angel" gewann Preise. Nach einer Station in England lebt Helon Habila nun mit seiner Familie in Fairfax, Virginia, wo er an der George Mason Universität lehrt.
Zum Buch
"Öl auf Wasser" liest sich wie ein Krimi: In Nigeria wird eine Frau entführt. Nicht irgendeine, sondern die Gattin eines Engländers, der in der Ölindustrie arbeitet. Die Entführung ist offensichtlich das Werk einer Rebellengruppe, die gegen die Ölgesellschaften kämpft. Der Journalist Rufus macht sich gemeinsam mit seinem Reporteridol Zaq auf, die Entführer zu interviewen. Ihre Reise führt in das verschlungene und durch die Ölförderung verseuchte Nigerdelta, wo sie auf korrupte Militärs und geschäftstüchtige Kidnapper treffen. Helon Habila gelingt es, eine Tragödie so zu erzählen, dass sie nicht Mitleid auslöst, sondern wahres Interesse weckt.
Helon Habila: Öl auf Wasser, Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2012, 240 Seiten, CHF 35.50, Euro 24.80, ISBN: 3-88423-391-2


Dieser Beitrag erschien im Magazin von Amnesty International Nr. 71/ August 2012. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.