Hip-Hop und Graffitis statt Bomben
Ein nass-kalter Abend in Zürich. Auf dem Programm stehen fünf Hip-Hop-Gruppen aus Palästina. Einer nach dem andern treffen die Musiker in der Roten Fabrik ein. Es ist der letzte Abend einer einwöchigen Schweizer Tournee. Zwar hielt sich der Aufmarsch des Publikums, wie jetzt auch in Zürich, in Grenzen. Trotzdem äussern sich alle beteiligten Künstler begeistert über die gemeinsame Woche. "Ich bin zum ersten Mal im Westen", sagt Talha Al-Alil, Psychologiestudent und Rapper aus dem Westjordanland. "Gleichzeitig war es meine erste persönliche Begegnung mit Kollegen aus Israel und Gaza."
Weltweite Bewegung
Für den 21-jährigen Wirtschaftsstudenten Rajeh Dana war "das Beste an dieser Tour, dass wir mit anderen palästinensischen Gruppen auftreten konnten". Zuhause bleibt ihnen dies verwehrt. Wegen der israelischen Blockaden müssen die palästinensischen Musiker aus Israel, dem Westjordanland und Gaza – obschon maximal vier Autostunden voneinander entfernt – vier Flugstunden auf sich nehmen, wenn sie sich austauschen und gemeinsam auftreten wollen… Besonders schwierig ist es für palästinensische Künstler aus Israel mit israelischem Pass. Ihnen bleibt der Zugang zum gesamten arabischen Raum versperrt. Gerade für Hip-Hop, wo der Text eine zentrale Rolle spielt, ist dies ein grosses Handicap. Auftritte vor einem westlichen Publikum, das kein Arabisch versteht, seien aber trotzdem sinn- und wertvoll, sagt Ady Krayem von der Gruppe We7 aus Nazareth: "Mit unserer Musik vermitteln wir den Menschen, dass Palästinenser nicht bloss Bombenwerfer sind." Fadi Bakheet vom Darg-Team aus Gaza sagt gar: "Mit Hip-Hop können wir unsere Botschaft verbreiten und zeigen, dass wir Teil einer weltweiten Kulturbewegung sind. Rap ist für uns die Fortsetzung der Intifada mit Graffitis und Musik, anstelle von Gewalt."
Viele Songs an diesem Abend erzählen von Unterdrückung, Gewalt und Diskriminierung. Damit sind die Palästinenser daheim Tag für Tag konfrontiert. Ebenso packend texten sie aber auch über Liebe und Sehnsucht. "Weil wir ganz normale Menschen mit normalen Gefühlen sind", sagt Adi Krayem. Als solche wahrgenommen zu werden, ist ihm und seinen Kollegen Alaa Bishara und Anan Qssem von We7 wichtig. Obschon die Trennungsmauer nicht einmal vor der Liebe haltmacht. Davon handelt etwa der Song "Früher oder später", den die drei Palästinenser zusammen mit Schweizer Musikern im Sommer 2010 eingespielt haben. Ein anderer Text handelt von den Schikanen am Flughafen in Tel Aviv: Mit Schalk, Ironie und kämpferischen Tönen erzählen sie von Diskriminierungen ohne Ende und bringen so ihre frustrierenden Alltagserlebnisse auf die Bühne. Ein Ventil, zu dem viele Jugendliche in ganz Palästina greifen.
Mit Hip-Hop, der seine Wurzeln in den USA hat, stossen die Musiker in der eigenen Gesellschaft aber oft auf Unverständnis und Ablehnung. Das Darg-Team zum Beispiel, das 2009 den ersten palästinensischen Hip-Hop-Wettbewerb HipHopKom per Videoeinspielung gewonnen hat, weil die Musiker den Gaza-Streifen nicht verlassen durften, fanden damals auch zuhause keine Auftrittsmöglichkeit: "Die Menschen in Gaza sind sehr konservativ und akzeptieren westliche Kultur nicht einfach so", sagt Fadi Bakheet. Erst allmählich wachse das Verständnis dafür, dass Rap eine politische Bewegung der Unterdrückten sei und somit die Situation der Menschen in Gaza auf eine neue, sehr moderne Art repräsentiere. Rajeh Dana, Texter und Sänger der Gruppe Black Revolution aus Hebron, erzählt von ähnlichen Erfahrungen: "Die Alten sagen, dass wir mit dieser Art von Musik die palästinensische Kultur unterminieren."
Durstig nach Kultur
Talha Al-Alil aus Tulkram im Westjordanland dichtete Verse und trug sie vor, längst bevor ihm jemand sagte, das sei ja Rap. Heute spielt er in verschiedenen Formationen und lässt auch gerne traditionelle palästinensische Töne erklingen. Mit seinen Liedern engagiert er sich für gesellschaftliche Werte, Menschenrechte und den Schutz von Kindern. Sein grösstes Anliegen ist es, auch unter den schwierigen Bedingungen im Westjordanland, Kultur zu vermitteln: "Die Menschen dürsten richtiggehend danach, trotz oder gerade wegen ihrer prekären Lebenssituation. Wir brauchen die Kultur, um unsere Gefühle auszudrücken."
Durch die Zusammenarbeit mit den Rappern aus Nazareth gehe ihm die Situation im Nahen Osten heute viel näher, sagt der Schweizer Musiker und Produzent Christian Müller. Anfänglich sei es ihm vor allem um ein neues Musikprojekt gegangen. Mit den drei Rappern von We7 aus Nazareth und Jazzmusikern aus der Schweiz formierte Müller die Gruppe Kayaan, die im Sommer 2010 eine CD einspielte und nun in der gleichen Formation die Tournee bestritten hat. Aus der Zusammenarbeit zwischen den Musikern haben sich so auch Freundschaften entwickelt. "Wir können voneinander lernen", sagt Fadi vom Darg-Team. "Ihr in der Schweiz zeigt uns, wie man das Leben besser wertschätzt – und wir lehren euch, dass man viel zum eigenen Schicksal beitragen kann."
Kulturprogramm Palästina
Seit Beginn ihres Kultur-Engagements in den besetzten Gebieten Palästinas hat die DEZA über 200 Projekte aus verschiedenen Sparten wie Theater, Tanz oder Musik unterstützt. Wichtige Anliegen sind auch die Förderung kultureller Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen sowie der Kulturaustausch zwischen der Schweiz und Palästina. Dazu gehörte u.a. die Unterstützung der Veranstaltungsreihe "Palästina – Kulturaspekte" im Herbst 2011 in Zürich. 2012 sind nebst Workshops für Filmoperateure oder Kulturjournalisten in Palästina verschiedene direkte Begegnungen zwischen schweizerischen und palästinensischen Kulturschaffenden geplant. Zur Diskussion steht zudem die Einrichtung eines palästinensischen Kinderfilmclubs nach dem Vorbild der Schweizer Zauberlaterne. Mehr dazu unter www.swiss-cooperation.admin.ch/gazaandwestbank
Palästinensischer Hip-Hop
Gaza meets Geneva – Rap-Kooperationsprojekt
www.gazameetsgeneva.com
We7 – Rapper-Trio mit Tonstudio in Nazareth
www.we7ug.com
Kayaan – schweizerisch-palästinensisches Jazz-Rap-Projekt
www.kayaan.net
"Hip Hop Palestine 2011" – Schweizer Tournee-Programm und Band-Porträts
www.rotefabrik.ch/de/konzept/eventdetail.php?id=12672
Dieser Artikel ist der Nr. 2/2012 von Eine Welt, dem Magazin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA erschienen. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.