Ein wichtiges Datum war der 5. Juni 2009. An diesem Tag unterschrieb der damalige Staatspräsident Lula ein Dekret, wodurch in Prainha do Canto Verde ein "Reservat für nachhaltige Entwicklung" ("Reserva Extrativista" oder kurz Resex genannt) mit einem als Naturschutz ausgewiesenen Territorium geschaffen wurde. Das war nicht zuletzt auch ein spätes Ergebnis des Kampfes des 1988 ermordeten Menschenrechtsaktivisten Chico Mendes und seines Schützlings Marina Silva, der späteren Umweltministerin in der Regierung Lula.

Widerstand eines umtriebigen Millionärs

Aber leider begann am besagten 5. Juni 2009 für die 970 BewohnerInnen der kleinen Strandsiedlung kein neues und besseres Leben. Ganz im Gegenteil: Sie bekamen heftigen Gegenwind zu spüren. Der Millionär Tales de Sá Cavalcante, der auf dem Land des Schutzgebietes ein Wochenendhaus besitzt, bemerkte plötzlich, dass er dabei war, seine wundervolle, vor zwanzig Jahren illegal errichtete Villa und dazu auch noch 250 Hektar Land zu verlieren, die er 1985 von einem Immobilinspekulanten erworben hatte. Dank eines 2009 gegebenen Versprechens des Umweltministers Carols Minc, dem Nachfolger Marina Silvas, an eine Gruppe von UmweltaktivistInnen, darunter an den seit den Neunzigerjahren dort lebenden Schweizer René Schärer, akzeptierte Präsident Lula keinerlei politischen Druck des Millionäres und seiner Freunde. Trotzdem liess Tales nichts unversucht, um das Dekret des Präsidenten zu umgehen. Er bemühte Bundesgerichte, mobilisierte einige BewohnerInnen, die dann gegen die Errichtung des Schutzgebietes protestierten. Mit Hilfe eines eigens zu diesem Zwecke angestellten Anwalts wurde ein neuer Verein gegründet, der einen derart komplizierten Namen hat, dass ihn noch nicht einmal der Vereinspräsident Almir aussprechen kann. Als der neue Verein der Öffentlichkeit einschliesslich Würdenträgern und Politikerinnen vorgestellt wurde, brauste auch schon eine neue Ambulanz vorbei, die sich als ein Geschenk von Tales an die Gemeinde entpuppte.

Der Vesuch, zu teilen und zu herrschen

In den zwanzig Jahren vorher, in denen er hier seine Wochenenden verbracht hatte, mit TV-Berühmtheiten und Fussballspielern, hatte Tales zu keinem Zeitpunkt auch nur eines der sozialen Projekte der Gemeinde unterstützt. Seine plötzlichen Aktivitäten auf der einen und die Schwäche des Direktors des Reservats auf der anderen Seite führten danach zu Konflikten zwischen Gemeindemitgliedern und in einigen Fällen sogar innerhalb der Familien. Zu Auseinandersetzungen kam es auch, weil die AnhängerInnen des Millionäres einige Mitglieder des "alten" Vereins beschuldigten, sie seien korrupt und hätten viele Hundertausende Reais in ihre eigenen Taschen gesteckt. Der "alte" Verein war 1989 mit dem Ziel gegründet worden, die Rechte der Fischer gegen die Landräuber zu verteidigen. Wegen der Anklagen werden augenblicklich noch verschiedene Prozesse geführt, aber es wird viele Jahre dauern, bis es zu einem endgültigen Urteil kommt.
Mit der Ernennung eines neuen Resex-Direktors gibt es jetzt ein Frauen-Team, und mit der Intervention der Bundespolizei und des Bundesanwalts für Umweltfragen wird der Konflikt sicher zu einem Ende kommen.

Das Bundesgericht schützt die nachhaltige Entwicklung von Canto Verde

Bei einer Versammlung mit über 200 Gemeindemitgliedern erläuterte Bundesanwalt Dr. Luis Carols Oliveira Junior die augenblickliche Situation. Eine Gerichtsentscheidung erkannte an, dass Tales 1985 Land kaufte, und daher wird er von der Bundesregierung entschädigt werden. Aber da sich "sein" Land und die Villa auf Bundesland befinden, er somit qua Gesetz nicht Teil der traditionellen Bevölkerung ist, die allein über die legalen Nutzungsrechte verfügt, muss er Prainha do Canto Verde verlassen, sobald er das Geld in seinen Händen hält. Eigene Pläne, eventuell ein Resort einzurichten, muss er dann endgültig aufgeben. Es mag sein, dass ihn das alles dazu brachte, diese ganze Verwirrung zu stiften: Er wird trotzdem seine Koffer packen und an einen anderen Strand umziehen müssen.

Die Auseinandersetzungen werden ein Ende finden

Zunehmend verlieren enttäuschte BewohnerInnen, die sich auf die Seite von Tales gestellt hatten, Interesse an seinem Vorschlag. Trotzdem behaupten immer noch einige von ihnen, dass 80 Prozent der Fischer das Schutzgebiet nicht auf dem Land wollten, sondern nur auf dem Meer. Immer mehr Familien schreiben sich jetzt ein für die Unterstützung, auf die sie Anrecht durch das Regierungsprogramm für SiedlerInnen haben – Resex-EinwohnerInnen haben dieselben Rechte wie landlose Kleinbauern im Rahmen der Agrarreform. Bis Mai 2014 haben sich schon 95 Prozent der Familien eingeschrieben und das Schutzgebiet akzeptiert, die restlichen Familien werden wahrscheinlich in Kürze dasselbe tun, um sich die Unterstützung zu sichern. Zwischen zehn und 15 Familien haben Häuser gebaut, was unter Bundesrecht illegal war. Die Regierung wird bald mit der Enteignung beginnen, allerdings ohne jegliche Entschädigung, falls die Hausbauer nicht beweisen können, dass sie das Land rechtmässig gekauft haben.
Jetzt schaut es für die nächten fünf Jahre gut aus, und von der Ratsversammlung wurde die neue Rechtssprechung gebilligt, die nach ihrer Annahme in Brasilia Bundesrecht werden wird – das ist das normale rechtliche Prozedere. Es bleibt zu hoffen, dass die Auseinandersetzungen nach so vielen Jahren endlich ein Ende finden. Für die Saison 2015-2016 gibt es auf jeden Fall für die Fischerfamilien einen positiven Ausblick: Die Hummer-Zertifizierung (Zeritifikat für nachhaltigen Fischfang) ist vorgesehen, das heisst diese Einkommmensquelle scheint gesichert


II International Seminar on Sustainable Tourism, 12 to 15 May 2008, Declaration of Fortaleza (PDF, 80 kb)
 Die Filme von Charlotte Eichhorn zu Prainha do Canto Verde:

  • Artesanalfischerei und Ökotourismus in Prainha do Canto Verde, 2000 (Zum Verleih im Shop)