Im Zentrum der Grupo Comunidade Assumindo Suas Crianças (GCASC) in Brasilien schwärmen Jugendliche herum, schminken sich und ziehen aus bemalten Trinkbechern selbst gefertigte Perücken über den Kopf. GCASC feiert mit Kindern und ihren Familien den Tag des Kindes. Es wird laut und lustig an diesem Tag. Als Clowns verkleidete Jugendliche trommeln und singen, leiten Spiele mit den vielen Kindern an. Es ist ein fröhlicher Unterbruch im Alltag in Peixinhos, einem von Arbeitslosigkeit und Kriminalität geprägten Stadtteil zwischen Recife und Olinda. Doch kaum ist das Fest vorbei, erzählen die Jugendlichen und Mitarbeitenden von GCASC von der alltäglichen Gewalt im Viertel: In Peixinhos ist es normal, dass an einem Wochenende zwei bis drei Jugendliche ermordet werden. Doch die aktiven Jugendlichen von GCASC, die als Kinder selbst täglich vor oder nach der Schule das Zentrum aufsuchten, um zu spielen und Kurse zu besuchen, wollen dies nicht mehr hinnehmen.

Sind Jugendliche selber schuld?

Zehn von ihnen haben Frauen kontaktiert, deren Kinder ermordet worden sind. Zusammen mit diesen "Müttern der Sehnsucht" (maes da saudade) haben sie angefangen, die Geschichten der getöteten Jugendlichen aufzuarbeiten. An Hand dieser Lebensgeschichten entwickelt die Gruppe Workshops, mit denen sie andere Jugendliche sensibilisiert – beispielsweise über den Wert des Lebens oder die Banalisierung aller Formen von Gewalt, sei es kriminelle, häusliche oder Gewalt durch die Obrigkeit. Polizei und Behörden setzten sich kaum für die Aufklärung der Morde ein, die Berichterstattung der Medien ist polemisch und diskriminierend: "Die getöteten Jugendlichen waren wohl in den Drogenhandel verwickelt oder drogenabhängig und so selbst schuld." Keine der GCASC-Mütter kann berichten, dass der Mörder ihres Kindes hinter Gittern sitzt.
Unter der Stigmatisierung der Ermordeten leiden die Mütter besonders. Viele stehen auch nach Jahren noch unter Schock und leben sehr isoliert. Zudem hört der Schrecken für manche nie auf. "Vor sechs Monaten drangen Kerle in meine Hütte ein, um meine verbleibenden Kinder zu töten", erzählt die Mutter des ermordeten Marcos. Die Familie flüchtete und versteckte sich bei einem Freund, nur um eines Tages im Morgengrauen von Schüssen geweckt zu werden. "Sie drangen in das Haus ein, packten meinen elfjährigen Sohn und hielten ihm eine Pistole an die Stirn. Sie schrien, er solle ihnen sagen, wo sich der andere versteckt halte. Ich konnte weder weinen noch meinen Sohn wegholen, nur beten. Mitten drin schrien sie: ‹Verschwinde von hier! Hau ab! Du bist zu jung zum Sterben.› Danach sind wir nach Peixinhos zurückgekehrt und alles geht weiter, wie zuvor."

Endlich reden und trauern können

Die Jugendgruppe, die sich für die Geschichte ihrer Kinder interessiert, ist für viele Mütter ein Geschenk des Himmels. Endlich über ihre Kinder reden zu können und sich an ihre positiven Seiten zu erinnern, erlaubt ihnen zum ersten Mal richtig zu trauern – eine wichtige Voraussetzung, um sich aus der Erstarrung zu lösen und handlungsfähig zu werden. Einigen ist anzumerken, dass sie dank den regelmässigen Treffen mit der Gruppe und der Betreuung durch eine Psychologin von GCASC langsam Hoffnung schöpfen.
Es hat sich eine feste Gruppe von 42 "maes da saudade" gebildet, die sich regelmässig trifft und zusammen mit den Jugendlichen und GCASC Aktionen gegen die Gewalt in Peixinhos organisieren, zum Beispiel ein grosses Fussballturnier im Rahmen einer Kampagne gegen Drogen. Ausserdem hat sich das Zentrum für die Einführung von Ganztagesschulen im Viertel stark gemacht, damit die Kinder und Jugendlichen weniger auf der Strasse herumlungern. Ihre Zeit soll sinnvoll mit Workshops gestaltet werden, wie sie die Jugendgruppe von GCASC anbietet. Es geht um Gewaltprävention, Sexualität, Drogen, Frauenrechte, um das eigene Selbstwertgefühl und die eigene Kultur.
Ausserdem versucht GCASC durch Kampagnen, Anlässe, Demonstrationen und Unterschriftensammlungen die Gemeinde gegen Gewalt zu mobilisieren sowie staatliche Massnahmen im Bereich der Prävention einzufordern. Statt Geld in repressive Massnahmen zu stecken, soll in sinnvolle soziale Präventionsprojekte investiert werden.


Gewalt in Brasilien – Jugendliche am stärksten gefährdet

In Brasilien ist Mord die häufigste Todesursache bei Jugendlichen. Betroffen sind insbesondere schwarze Jugendliche, die ein dreifach höheres Risiko tragen, ermordet zu werden als ihre weissen Altersgenossen. Von 1998 bis 2008 wurden in Brasilien 81’000 BrasilianerInnen im Alter von 15 bis 19 Jahren ermordet. 1986 gründeten besorgte EinwohnerInnen die Grupo Comunidade Assumindo Suas Crianças (GCASC) als Drogen und Kriminalität in Peixinhos Einzug hielten. Die Partnerorganisation von terre des hommes schweiz betreut täglich 250 Kinder.