
HousekeeperInnen: Der Job, der nicht zum Leben reicht
Ab sieben Uhr früh wartet Maria Elena Ferreira mit ihrer Kollegin im Marriott Hotel, bis die Gäste die Zimmer verlassen und sie eintreten dürfen. Obwohl sie ab sieben da sein müssen, wird die Wartezeit nicht bezahlt. Die Arbeitszeit wird erst ab dem Eintritt ins erste Zimmer gezählt. Danach geht der Stress los: Betten neu beziehen, Matratzen umdrehen, saugen, wischen und weiter. Bei Marriott reinigen sie 31 Zimmer zu zweit und haben pro Zimmer 15 Minuten Zeit – egal wie schmutzig es ist. Die Zeit wird gemessen, brauchen sie länger, wird die Extrazeit nicht bezahlt. Es gibt einen Einsatzplan, aber der ändere sich dauernd je nach Belegung der Zimmer, und wenn jemand krankheitshalber oder wegen Kündigung ausfällt, müssen die anderen diese Zimmer auch noch übernehmen. So sind es mal sieben Tage am Stück, dann ein freier Tag, dann wieder fünf, und die Anzahl Stunden pro Tag sind kaum vorauszusehen, oft seien es mehr als acht Stunden. Im Mai habe sie 220 Stunden im Hotel gearbeitet. Aber sie wisse nicht, wie viel ihr aufs Konto überwiesen werde. Die Arbeit sei im Stundenlohn bezahlt; der Ansatz ist 18.80 Franken plus Feriengeld und Anteil 13. Monatslohn.
Ferreira arbeitet auf Abruf. Im Winter fällt weniger Arbeit an als im Sommer, und sie kann nie wirklich planen, wie viel sie verdient. Anfangs dachte sie, sie könne den Stress nicht aushalten. Sie habe geweint und kaum mehr gehen können. Aber inzwischen habe sie es akzeptiert. An den freien Tagen macht sie den Haushalt und schläft. Zeit um Bekanntschaften zu pflegen oder einem Hobby nachzugehen hat sie keine. Die Stimmung im Team sei schlecht, alle seien gestresst und hielten nur durch, weil sie das Geld brauchen. Viele werden krank.
Wer sich wehre, müsse sich auf Schikanen gefasst machen. Zum Beispiel erhalten sie eine aufwändige Etage zur Reinigung. Oder es werde sofort etwas beanstandet und man müsse ins bereits gereinigte Zimmer zurück – wieder unbezahlte Arbeit.
Schreckliche Normalität
Marudit Tagliaferri von der Gewerkschaft Unia hat mit zwei Kollegen in sechs Marriott Hotels in Zürich mit über 100 Frauen gesprochen, die in der Reinigung tätig sind. Die Unia vertritt als Gewerkschaft in der Gastronomie, der Hotellerie und des Reinigungswesens die Interessen ihrer rund 18’000 Mitglieder dieser Branchen. In unzähligen Kontakten und Gesprächen mit über 100 Frauen zeichnete sich ein Bild einer Industrie, in der die Interessen der ArbeitnehmerInnen hintanstehen müssen. Ihr Bericht "Was Arbeitsbedingungen mit sauberen Hotelzimmern zu tun haben. Und was Hotels dagegen tun können" zeigt an konkreten Beispielen die prekäre Alltagsrealität der Angestellten und wie sich diese auch auf die Gäste der Hotels auswirkt. Gemäss Tagliaferri ist die Reinigung die prekärste Branche der Schweiz. Die Firmen seien immer auf der Suche nach Personal, denn der Turnover sei riesig. Sobald die Angestellten sich gegen unhaltbare Bedingungen zur Wehr setzten, werde ihnen gekündigt. Die Mehrheit habe zwei bis drei Jobs, weil die Löhne zu tief seien. "Die meisten HousekeeperInnen denken, sie machen das nur vorübergehend. Aber leider kommen sie nicht weg. Sie haben keine Möglichkeit zur Weiterbildung wegen der Unplanbarkeit ihrer Einsätze. Es ist ein Teufelskreis." In der Reinigung seien praktisch nur Frauen und Migrantinnen tätig. Niemand wolle diese Arbeit machen. "Die Frauen sagen, wir sind unsichtbar, nicht wertgeschätzt, dürfen mit niemandem reden, am besten sollten wir gar nicht beachtet werden", sagt Tagliaferri. Besser sei die Situation in Hotels, die ihr Reinigungspersonal direkt anstellen, oder zumindest die Hälfte davon.
Herrliche Aussichten
Mit ihrem Buch "Herrliche Aussichten " haben Karin Grütter und Christine Plüss bereits 1996 eine Analyse der Situation von Frauen im Tourismus publiziert, die an Aktualität nichts verloren hat. In einer kurzen Präsentation stellte die Geschäftsführerin von fair unterwegs – arbeitskreis tourismus & entwicklung die Chancen, die der Tourismus den Frauen bietet, den Risiken gegenüber. So bietet die Branche den Frauen Arbeitsplätze – je nach Region sind zwischen 55 und 70 Prozent der im Tourismus Beschäftigten Frauen – doch sind es oft solche im Care-Bereich, die dem traditionellen Rollenbild entsprechen: Putzen und zu Diensten stehen. Die Einstiegshürden sind niedrig, sodass auch Frauen mit wenig Bildung Jobs finden, dafür sind die Aufstiegschancen auch gering und die Bedingungen oft schlecht. Die Flexibilität der Arbeit klingt zunächst attraktiv, doch Schicht- und Wochenendarbeit, Arbeit auf Abruf sowie lange Arbeitstage erschweren die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und führen zu einer schlechten Altersvorsorge. Damit Frauen die Chancen des Tourismus nutzen können, brauchen sie Ressourcen: Ein Haus oder Wissen oder die Förderung ihrer Autonomie und Selbständigkeit.
Marriott setzt mit ihrer Arbeitspolicy Standards
Die Gewerkschaft UNITE HERE! vertritt in den USA und in Kanada insgesamt 300’000 Angestellte der Hotellerie, der Casinos und der Cateringfirmen, davon etwa 150’000 Hotelangestellte der USA. Jeffrey Boyds, Chief Organizer von UNITE HERE! hat über Monate erfolglos versucht, mit Vertretern der Marriott Hotels über die gröbsten Missstände zu verhandeln und Lösungen zu finden. Doch dann legten 7’700 Angestellte die Arbeit in 23 Marriott Hotels während Wochen nieder – mit grossem Erfolg. Als Folge des Streiks erhielten die Hotelangestellten in San Francisco eine Erhöhung des Stundenlohns um vier US Dollar. Streiks in anderen Städten führten zu neuen Arbeitsverträgen mit besseren Löhnen und Leistungen sowie mehr Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.
Leider sind aber in vielen Marriott-Hotels die Gewerkschaften schlecht vertreten – auch aufgrund einer extrem gewerkschaftsfeindlichen Haltung des Hotelmanagements. Als Boyd in Pennsylvania mit dem gleichen Marriott-Delegierten um die gleichen Verbesserungen verhandelte, meinte dieser, er könnte auf die Forderungen nicht eingehen, solange nicht gestreikt werde.
Die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich ab den 70er-Jahren. Damals begann das Finanzkapital – also Banken, Pensionskassen und andere Investoren – Hotel-Liegenschaften zu kaufen. Für den Betrieb ziehen sie einen Hotelier hinzu, der sich die Lizenz einer wichtigen Marke wie Marriott besorgt. Das Hotelmanagement wiederum vergibt Dienstleistungsaufträge an Unterakkordanten. Zum Beispiel die Reinigung, das Facility Management, die Rezeption und so weiter. Da am Gewinn eines Hotels mehr Player beteiligt sind, wird an den Personalkosten gespart.
Bis vor wenigen Jahren war Marriott noch eine Hotelkette in der Grössenliga von Hilton, Hyatt, Accor oder Starwood. Es hätte wenig Sinn gemacht, gerade Marriott anzuprangern, meint Boyd. Doch 2016 kaufte Marriott Starwood auf und wurde so zur weltgrössten Hotelkette mit 7’000 Hotels und 30 Marken in 150 Ländern. Marriott fahre seither eine aggressive Expansionsstrategie, sowohl in Europa wie in Afrika und Asien. Inzwischen setze Marriott die Standards für die gesamte Hotellerie. Andere Player passten sich den Geschäftsformen von Marriott an. Deshalb lohne es sich, ein besonderes Augenmerk auf die Bedingungen von Marriott zu legen.
Gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Der Gewerkschaftsdachverband "Uniting Food-, Farm- and Hotelworkers Worldwide", kurz IUF, fuhr eine etwas andere Schiene. Um erst einmal Verhandlungen mit der gewerkschaftsscheuen Branche zu ermöglichen, nahmen er das zugänglichere Thema der sexuellen Übergriffe am Arbeitsplatz der Hotels auf, mit dem Hotelangestellte tagtäglich zu kämpfen haben. Die IUF appellierte letzten Oktober an Marriott, mehr gegen solche Übergriffe zu tun. Sie verhandelte aber auch mit anderen: Mit der Hotelkette Meliá Hotels International konnte die IUF im Februar eine Vereinbarung zur Verhinderung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz unterzeichnen, mit Accor steht der Gewerkschaftsdachverband derzeit in Verhandlungen. Die IUF hofft, so den Boden zu schaffen, damit in einem nächsten Schritt weitere Anliegen verhandelt werden können. Aber bei Marriott hat auch der erfahrene Dachverband Mühe, die Mauern zu überwinden. Massimo Frattini, der internationale Koordinator des Hotel-, Gastro- und Tourismussektors bei IUF, wollte mit KollegInnen mit einem feierlichen Event Marriott die Petition für ein weltweites Abkommen gegen sexuelle Belästigung übergeben – und wurde gar nicht eingelassen.
Maria Elena Ferreira hatte fest vor, beim Frauenstreik mitzumachen: "Wenn sich viele Frauen zusammen wehren, können wir etwas erreichen", glaubt sie. Und erreichen möchte sie: "Mehr Lohn und mehr Respekt."