«Hüpft gegen Rassismus»
Lea, du bist Tochter einer schwedischen Mutter und eines Schweizer Vaters. Aus welchem Grund beschäftigt dich das Thema Rassismus?
Meine Familie ist politisch sehr interessiert, daher habe ich bei den politischen Diskussionen daheim jeweils mitbekommen, wer wofür steht. Ich war froh, als ich endlich selbst abstimmen durfte. Ich selbst bin nur einmal in eine direkte Auseinandersetzung mit einem Neonazi geraten, der meine Freunde und mich beschimpfte und auf eine gewalttätige Konfrontation aus war. In meinem Freundeskreis gibt es aber mehrere, die schon mit Rassismus konfrontiert waren.
imagine setzt ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit. Warum ist das so wichtig?
Rassismus ist gesellschaftlich tief verankert und völlig alltäglich. Das fängt schon im kleinen Rahmen an, indem man Menschen schubladisiert. Wer mehr oder weniger Geld oder eine blöde Frisur hat, wird ausgegrenzt. Gerade junge Menschen erleben das sehr stark, weil sie noch dabei sind, ihren Platz in der Gesellschaft zu suchen. Die Wertung, die dadurch entsteht, kann auch in der Schule zu Problemen führen. Mobbing etwa ist weit verbreitet. Diese Ausgrenzung ist auch eine Form von Rassismus, auf die wir mit dem imagine aufmerksam machen wollen.
Wer steckt eigentlich hinter imagine?
2001 lancierte terre des hommes schweiz eine Kampagne rund um Jugend und Gewalt. Im 2002 fand das erste imagine-Festival statt. Über die Jahre ist die Veranstaltung immer weiter gewachsen. Heute arbeiten 30 bis 40 Leute in den verschiedenen Arbeitsgruppen mit. Die AGs und das Organisationskomitee sind das ganze Jahr hindurch mit der Planung des Festivals beschäftigt. Während der Veranstaltung selbst bieten wir zusätzlich 120 Helferinnen und Helfer auf.
Auf welchem Gebiet bist du aktiv?
Ich bin OK-Mitglied und verantwortlich für die Kommunikation und Medienarbeit. Ausserdem arbeite ich in einer Arbeitsgruppe mit, die Workshops zum Thema Rassismus für Jugendliche organisiert und an Schulen durchführt.
Kann bei euch jeder mithelfen, der Lust dazu hat?
Spezielle Voraussetzungen gibt es nicht. Es ist eher so, dass man durchs Mitmachen eigene Stärken entdeckt. Im OK arbeiten aber vor allem Leute um die 22 bis 23 Jahre, die bereits mehrjährige imagine-Erfahrung gesammelt haben.
Was hast du in den sieben Jahren gelernt?
Ich habe meine Angst davor verloren, vor einer Klasse einen Vortrag zu halten, in Sitzungen meine Meinung zu sagen oder bei wildfremden Menschen anzurufen, um etwas zu fragen oder zu verlangen. Durch die Arbeit habe ich an Selbstsicherheit gewonnen. Und ich habe festgestellt, dass meine Stärken in der Kommunikation liegen. Ausserdem hat mich imagine darin bestärkt, Soziale Arbeit zu studieren.
Wie viel Zeit wendet ihr dafür auf, das Festival vorzubereiten?
Die Organisation fürs nächste Festival startet jeweils im August mit einem gemeinsamen Wochenende, an dem alle Arbeitsgruppen und die Mitglieder des OK teilnehmen. Das OK trifft sich einmal wöchentlich, monatlich kommt eine Vollversammlung dazu. Die AGs treffen sich zwischen zweimal monatlich bis wöchentlich. Ab Mitte Mai beginnt für alle die intensivste Zeit, viele helfen dann noch in anderen Bereichen mit.
Müsst ihr um die Bewilligung für die Veranstaltung zittern?
Bis jetzt hat das immer geklappt, aber es dauert immer Monate, bis wir die Bewilligung erhalten. Dieses Mal müssen wir mit dem Aufbau erstmals bereits am Anfang der Woche beginnen, weil für die Eröffnung mit dem Basler Sinfonieorchester eine grössere Bühne notwendig ist.
imagine besteht aus verschiedenen Säulen. Was gehört alles dazu?
Zum einen haben wir das Festival als Kernstück, das jeweils an einem Wochenende im Juni stattfindet. In den letzten Jahren hatten wir dort 35’000 Besucherinnen und Besucher. Ausserdem gibt es die premagines. Das sind musikalische Vorveranstaltungen in verschiedenen Clubs der Schweiz. Dazu gehört auch ein Anti Rassismus-Songcontest, bei dem verschiedene Bands mit einem eigenen Song antreten. Beim Premagine im Kannenfeldpark ging es in diesem Jahr mit Kleintierzirkus und Märchenerzählerin eher gemütlich zu. Zu imagine gehören auch von uns konzipierte Workshops für unterschiedliche Altersstufen. Wir versenden unsere Angebote an Schulen in Basel-Stadt, Baselland und Aargau. In den Workshops geht es darum, die Schülerinnen und Schüler mit Themen wie Ausgrenzung, Mobbing oder Vorurteilen abzuholen – das kennen viele aus ihrem eigenen Alltag. Dabei versetzen sich die Jugendlichen beispielsweise mithilfe von Rollenspielen in eine Situation, in der sie runtergemacht wurden und suchen eine konfliktfreie Lösung für solche Probleme. Wir versuchen natürlich, dass unsere Workshops nicht allzu sehr an Schule erinnern.
Mit imagine verknüpft sich vor allem eine grosse Party. Wie bringt ihr das Thema Rassismus an solch einem Anlass wieder unter die Leute?
Das ist tatsächlich schwierig, weil viele nur das Festival kennen, ohne zu wissen, was noch dahintersteckt. Dieses Problem beackern wir seit Jahren und versuchen daher, die premagines und auch die Workshops bekannter zu machen. Am Festival stellen wir zum Beispiel Informationsmaterial zur Verfügung und im premagine-Zelt beantwortet immer jemand die Fragen der Besucherinnen und Besucher. Den Bands selbst ist zwar klar, in welchem Kontext sie auftreten, sie sollen aber keine politischen Statements bringen. Sie dürfen die Leute natürlich gern dazu auffordern, beispielsweise gegen Rassismus zu hüpfen. Mit der Moderation des Festivals versuchen wir auch immer wieder, den Hintergrund des Anlasses ins Gedächtnis zu rufen.
Warum glaubt ihr, dass ein Open Air-Konzert eine geeignete Form ist, um auf das Thema Rassismus aufmerksam zu machen?
Die Problematik muss ernst genommen werden, aber wir wollen kein Projekt sein, das den Jugendlichen zu viel vorgibt. Es entspricht nun mal der Jugendkultur, ein Open Air-Gratisangebot zu nutzen, Freunde zu treffen, etwas zu trinken und friedlich zu feiern. Indem wir den Rahmen dafür schaffen, können wir auch auf unser Anliegen aufmerksam machen.
Geht das Festival denn friedlich über die Bühne?
Bis jetzt hatten wir keine grösseren Zwischenfälle. Natürlich schaut auch das Security-Personal, dass nichts passiert.
Euer Motto dieses Jahr lautet: "Propaganda! Wenn Märchen Bilder bilden." Was wollt ihr damit zum Ausdruck bringen?
Märchen arbeiten mit Stereotypen. Da sind der gefährliche Wolf oder die böse Hexe, dort die liebe Prinzessin und der gütige König. Schon als Kind lernt man, die Welt in "gut" und "böse" einzuteilen. Diese Bilder aus dem Märchen adaptiert jeder von uns auch in der heutigen Zeit. Die modernen Märchen, die von den Medien erzählt werden, berichten beispielsweise vom schwarzen amerikanischen Präsidenten und benutzen dabei ebenfalls simple Muster. Hinter jedem Plakat und jeder Werbesendung verbirgt sich ein Märchen. Wir sollten aber nicht vergessen, diese Muster zu hinterfragen und auch mal zugeben, dass wir uns mit unserer Einschätzung geirrt haben.
www.imaginefestival.ch; Lesen Sie denVeranstaltungshinweis zum Festival