"Ich habe noch so viele Bilder und Szenen im Kopf, kleine Momente des Glücks aus meiner Zeit in Hongkong", sagt Janine Heer. "Zum Beispiel, als ich gemeinsam mit einer Klientin aus Ghana, die schwanger war, und einem weiteren Klienten aus Burundi Babykleider für das ungeborene Kind heraussuchte. Wir waren alle drei 27 Jahre alt, unsere Leben hätten unterschiedlicher nicht sein können, und doch trafen sich unsere Wege." Mit einem ansteckenden Strahlen erzählt die junge Aargauerin von ihrer Zeit in Hongkong und weiss dabei kaum, wo beginnen. Knapp ein Jahr lang arbeitete sie in der Metropole in einem Projekt für Vertriebene, geführt von Christian Action, einer Partnerorganisation von Mission 21. Ausgereist ist sie mit dem "Professionals Exposure Program" von Mission 21, kurz PEP!

Ihre Aufgaben waren vielfältig. Sie übernahm die Organisation von unzähligen Beschäftigungsprogrammen, hat neue freiwillige Mitarbeitende rekrutiert und eingeführt, war die Drehscheibe für die Logistik von materiellen Spenden und bot Unterstützung bei der Sensibilisierungsarbeit an Schulen und Universitäten. "Die Situation von Vertriebenen in Hongkong ist schlecht, sie werden stigmatisiert und stark benachteiligt", sagt Janine. Auch ein legaler Aufenthaltsstatus ändert oft nicht viel an den unwürdigen Lebensumständen. Janine hat Betriebswirtschaft mit Fokus auf Nonprofit-Management studiert. "Es war sehr spannend, das Gelernte in der Praxis zu sehen und anzuwenden. Und meine Vorgesetzte war offen für neue Vorschläge und Ansätze." So konnte Janine auch vieles mitprägen, ausprobieren und dabei wertvolle Erfahrungen sammeln. Viel mehr als von Klient*innen spricht Janine Heer von Freund*innen. Viele Menschen seien ihr ans Herz gewachsen und sie habe viel von ihnen gelernt.  

Als Erinnerung tritt deutlich hervor, wie sie ein Ferienangebot für Flüchtlinge und deren Kinder organisierte und dabei das Vertrauen eines kleinen, leicht beeinträchtigten Jungen gewinnen konnte. "Am Anfang war er so verschlossen und misstrauisch, er antwortete nie. Doch nach dem Camp kam seine Familie uns oft im Zentrum besuchen, und dann sprang er jedes Mal ungeduldig die Treppenstufen hoch, um mich zu sehen. Solche Geschichten haben mich sehr berührt." Auch für die Freizeitgestaltung hat Hongkong einiges zu bieten: "Hongkong ist eine faszinierende Stadt mit einem breiten Angebot. Ich habe wöchentlich Yoga gemacht, war regelmässig wandern und in der Natur." Diese kleinen Auszeiten seien dringend nötig gewesen, denn beruflich gab es einige Herausforderungen. Und mitten in Janines Einsatz gingen die grossen Proteste gegen das chinesische Auslieferungsgesetz los, und die Situation in der Stadt wurde zumindest an manchen Orten ziemlich unübersichtlich. Die Proteste und die Polizeigewalt seien gerade für viele Geflüchtete schlimm: "Oft sind sie aus einem Konfliktkontext geflohen, haben selbst Gewalterfahrungen und Repression erlebt." Die Szenen auf den Strassen und die Bilder in den Medien würden negative Erinnerungen wecken: "Für viele gab es eine Retraumatisierung. Das Zentrum für psychosoziale Unterstützung, eines unserer Teilprojekte, wurde seit Anfang der Unruhen stärker frequentiert, viele berichteten, dass sie wieder Albträume hätten." Eine Frau habe gesagt: "Ich hatte eigentlich alles in meinem Herkunftsland, ausser Sicherheit. Und hier in Hongkong hatte ich nichts ausser Sicherheit – und das nun auch nicht mehr."

Starke Frauen und heilende Kräuter in Chile

Auch die Schweizerin Tabea Krebs wurde mitten in ihrem PEP!-Einsatz mit sozialen Unruhen konfrontiert: Sie arbeitete acht Monate lang in Chile für SEDEC, eine Partnerorganisation von Mission 21, die sozial und wirtschaftlich benachteiligte Frauen unterstützt und stärkt. Seit Oktober 2019 demonstriert die chilenische Bevölkerung gegen die grosse soziale Ungleichheit im Land. "Die Bewegung wird gesellschaftlich breit getragen", sagt Tabea. Für Barbara Grass, die das PEP!-Programm bei Mission 21 verantwortet, ist es eine bisher einmalige Situation, dass es gerade in zwei PEP!-Ländern soziale Unruhen von diesem Ausmass gibt. "In solchen Situationen ist es für uns wichtig, in engem Kontakt zu den PEP!-ler*innen zu stehen und uns bei unseren Partnern vor Ort gut zu informieren." Sobald das Schweizerische Aussendepartement eine Reisewarnung für ein Land verkündet, werden die PEP!-ler*innen abgezogen – das war während der Einsätze von Tabea und Janine weder bei Hongkong noch Chile der Fall. Abseits der Schauplätze der Aufregung und des medialen Interesses gehen das Leben und die Arbeit weiter. So war auch für Tabeas Arbeit durch die Unruhen einiges an Flexibilität gefordert.

Sie arbeitete im Projekt "Starke Frauen und heilende Kräuter", das armutsbetroffene Frauen, die oft von häuslicher und psychischer Gewalt betroffen sind, auf vielfältige Weise fördert und unterstützt. "Manche Workshops konnten nicht stattfinden, aber wir führten unsere Arbeit weiter, so gut es ging, und passten die Aktivitäten an die aktuellen Bedürfnisse und den Kontext an." Ein besonders tolles Projekt finde etwas nördlich der Stadt Concepción statt. "Dort durfte ich zusammen mit dem Team einen dreistündigen Workshop zu Persönlichkeitsentwicklung, Selbstvertrauen und Kommunikation leiten", sagt Tabea. Die chilenische Kultur sei sehr patriarchal und die feministische Bewegung umso wichtiger. Die Methodologie, welche die Mitarbeiterinnen Mauda, Jeannette und Betty anwenden, um das Selbstvertrauen der Frauen zu stärken, sei faszinierend: "Es ist ein spielerisches Lernen und die Frauen sagen regelmässig, dass sie sich in ihre Kindheit zurückversetzt fühlen und dass dies ein grossartiges Gefühl sei." Obwohl Tabea an den Workshops auch ihr eigenes, bestehendes Wissen weitergab, wurde dieses Wissen gleichzeitig stetig erweitert: "Ich selbst konnte immer Neues erfahren und dazulernen, das war das Beste daran."

Keine «weissen Retter» 

Genau dieses gegenseitige Lernen auf Augenhöhe mit den lokalen Mitarbeitenden ist das Kernprinzip von PEP! Barbara Grass und ihrem Team ist es wichtig, dass sich das Programm von unseriösen, sogenannten Volontourism-Angeboten abgrenzt: In den letzten Jahren haben immer mehr junge, privilegierte, weisse Menschen das Interesse entwickelt, für kurze Zeit in sogenannte «Entwicklungsländer» zu reisen, um «Gutes zu bewirken». An dieser Intention ist per se nichts Schlechtes. Allerdings gibt es immer mehr unseriöse Anbietende, welche ohne angemessene Vorbereitung junge, unerfahrene Schulabgänger*innen für manchmal nur zwei Wochen in Projekte entsenden, und damit auch das Klischee der europäischen Überlegenheit zementieren – vom fragwürdigen Nutzen für die Zielbevölkerung ganz zu schweigen. Nicht so das PEP!: "Bei PEP! legen wir sehr viel Wert darauf, dass es ausgebildete Berufseinsteiger*innen sind, die einen Mehrwert bringen. Gleichzeitig sollen sie nicht einfach billige Arbeitskräfte sein, sondern sich weiterbilden und ihre Fähigkeiten entwickeln", erklärt Barbara Grass. Die Stellen werden jährlich von den Partnerorganisationen beantragt, so dass sich das Programm direkt nach den lokalen Bedürfnissen richtet.

Interkulturelle Kompetenz stärken

Ein wichtiges, übergeordnetes Ziel des "Professionals Exposure Program" ist die Stärkung der inter- und transkulturellen Kompetenz. Für Mission 21 sind die Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit in der Schweiz und die Entwicklungszusammenarbeit zwei Seiten derselben Medaille. Ob Janine Heer in Hongkong, Tabea Krebs in Chile oder ihr Kollege Etienne Jenni in Tansania: Sie alle haben mit dem "Professionals Exposure Program" von Mission 21 wertvolle Erfahrungen für ein ganzes Leben gesammelt, die sie nun in ihr Schweizer Umfeld zurücktragen. Seit dem Jahr 2002 reisten bereits 201 junge Erwachsene mit dem PEP! aus. "Seit ich das Programm leite, kam es noch nie vor, dass jemand den Einsatz grundsätzlich bereute", sagt Barbara Grass. Einige würden zwar mit Fragezeichen zurückkehren: "Für manche wirft der Einsatz existenzielle Fragen auf, zur eigenen Lebensgestaltung, aber auch zur Entwicklungszusammenarbeit." Diese zu reflektieren und auch zu diskutieren, gehört im Rahmen des Rückkehr-Workshops ebenfalls zum Programm.

Doch die grosse Mehrheit der PEPler*innen gibt an, dass sie persönlich und beruflich vom Einsatz profitiert haben – und viele äussern sich auch absolut begeistert. So wie Janine Heer: "Das Jahr in Hongkong hat mich sehr geprägt, und ich werde wahrscheinlich noch mit 80 darauf zurückschauen." Kaum zurück in der Schweiz, hat Janine bereits eine neue, feste Stelle bei einer Schweizer Nonprofit-Organisation gefunden. Und wie die ausgebildete Betriebswirtschaftlerin mit Fokus auf Nonprofit-Management selbst sagt, war ihre Erfahrung in Hongkong im Bewerbungsverfahren "sicherlich ein Pluspunkt". Auch Tabea Krebs, die in der chilenischen Stadt Concepción lebte und arbeitete, zeigt sich zutiefst verändert und dankbar: "Alle meine Mitarbeiterinnen sind für meine Zukunft ein riesiges Vorbild und deshalb werden sie, wie die ganze Zeit in Chile, für immer ihren Platz in meinem Herzen haben."