Ida Ayu Agung Mas – Von der Kunst, Brücken zwischen Kulturen zu bauen
"Sua Bali" heisst übersetzt "Bali treffen, Bali kennenlernen" und steht für ein Konzept, das im Sinne der hinduistischen Philosophie des Gleichgewichtes die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse von Einheimischen und TouristInnen in Übereinstimmung bringen will. "Mit ‹Sua Bali› versuche ich", sagt Ida Ayu Agung Mas, "eine Form des Tourismus zu realisieren, der Bali nicht schadet, sondern bereichert. Ich will einen Tourismus, den Bali ‹ertragen› kann und der gleichzeitig den TouristInnen, meinen Gästen, eine Chance gibt, mein Land, meine Kultur und meine Mitmenschen kennenzulernen und zu verstehen."Ida Ayu Agung Mas – Von der Kunst, Brücken zwischen Kulturen zu bauen
Ida Ayu Agung Mas freut sich. Ihre Idee, ihr Werk – die Ferienanlage "Sua Bali" – wurde auf der Internationalen Tourismusbörse Berlin 1996 mit dem Preis für sozialverantwortlichen Tourismus ausgezeichnet. Die Anerkennung bestärke sie und verleihe ihr, die bislang von vielen Selbstzweifeln geplagt war, neue Energie und Zuversicht. "Sua Bali" heisst übersetzt "Bali treffen, Bali kennenlernen" und steht für ein Konzept, das im Sinne der hinduistischen Philosophie des Gleichgewichtes die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse von Einheimischen und TouristInnen in Übereinstimmung bringen will. "Mit ‹Sua Bali› versuche ich", sagt Ida Ayu Agung Mas, "eine Form des Tourismus zu realisieren, der Bali nicht schadet, sondern bereichert. Ich will einen Tourismus, den Bali ‹ertragen› kann und der gleichzeitig den TouristInnen, meinen Gästen, eine Chance gibt, mein Land, meine Kultur und meine Mitmenschen kennenzulernen und zu verstehen."
Durch Europaaufenthalte ist Ida Ayu Agung Mas sowohl mit der balinesischen als auch mit der westlichen Lebensweise vertraut. Ihre Erfahrungen mit dem Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen erzählt die 47-jährige Balinesin mit der Geschichte vom Kartoffeln schälen: Als sie nach ihrer Studienzeit in Hamburg wieder nach Bali zurückkehrte und in einer Hotelfachschule unterrichtete, sah sie, wie ihre SchülerInnen beim praktischen Küchenunterricht äusserst ungelenk die Kartoffeln schälten. Alle versuchten, die Kartoffeln zum Körper hin zu schälen, obwohl in ihrem Land seit Generationen üblich ist, die Kartoffeln vorwärts, also vom Körper weg zu schälen. Der zuständige Lehrer verteidigte diese Lernaufgabe nach westlichem Lehrbuch, denn genau dies würde in den Hotels erwartet. Da merkte sie, dass sie selbst auch die Kartoffeln nach europäischer Art schälte. Derart verunsichert, ass sie Reis, dachte aber weiterhin an Kartoffeln. Nach einiger Zeit war es ihr dann möglich, sowohl rückwärts, wie in Europa, als auch vorwärts, wie in Indonesien, Kartoffeln zu schälen. Nun fühlt sie sich auch wieder mit der balinesischen Lebensweise im Einklang. Das Beispiel verdeutlich für Ida Ayu Agung Mas ein weiteres wichtiges Prinzip der balinesischen Weltanschauung, das ihrem Projekt zugrunde liegt: Die Suche nach einem konfliktfreien Mit- und Nebeneinander.
Als sie vor fünfzehn Jahren aus dem Westen zurückkehrte, wuchs langsam die Idee von "Sua Bali". Als Literatur- und Sprachwissenschaftlerin hatte sie zwar keine Ausbildung in einem touristischen Beruf, eignete sich jedoch das notwendige Fachwissen selbst an. Sie begann mit Sprach- und Kochkursen für westliche BesucherInnen auf Bali. Intensive Gespräche mit Freunden halfen ihr, "Sua Bali" aus der Taufe zu heben. Die heutige Ferienanlage "Sua Bali" mit sechs Gästehäusern für 10 bis 15 Personen hat Ida Ayu Agung Mas nur acht Kilometer von ihrem Heimatdorf entfernt am Rande des 3’000-Seelen-Dorfes Kemenuh aufgebaut. "Sua Bali" ist im Stil eines traditionellen Gehöfts gebaut. Die schattig gelegenen Häuser sind strohbedeckt, was eine Klimaanlage überflüssig macht. Die Hausbibliothek und der dazugehörende offene Gemeinschaftspavillon dienen als Informations- und Studienzentrum. Die Gäste können sich entspannen, Streifzüge durch die Insel unternehmen und die vielfältigen Angebote nutzen, die einem besseren Verständnis der balinesischen Kultur dienen. Die MitarbeiterInnen vermitteln handwerkliche Kurse bei balinesischen Künstlern oder auf Wunsch auch fachspezifische Gespräche zum Beispiel mit Ärzten über Naturheilkunde. Ausserdem können Gäste nach Absprache mit dem Dorfrat und in Begleitung von MitarbeiterInnen von "Sua Bali" an Zeremonien und Festen teilnehmen. Interessiert ist man in "Sua Bali" an Gästen, die verweilen möchten und nicht nur einen ein- bis zweitägigen Blitzbesuch vorhaben.
Die Zusammenarbeit mit den DorfbewohnerInnen und dem "Banjar", dem dörflichen Rat, hat für Ida Ayu Agung Mas einen hohen Stellenwert. Von allem Anfang an hat sie die Bevölkerung in die Planung der Ferienanlage einbezogen. In vielen Gesprächsrunden hat sie über ihr Vorhaben und die möglichen Auswirkungen des Tourismus informiert. Diskutiert wurde dabei ebenso über die Gefahr der Vermarktung religiöser Feste wie die Nachteile von "modernen" Bauten gegenüber den traditionellen mit Gras oder Schilf bedeckten Häusern. Für die Schulkinder hat Ida Ayu Agung Mas einen Malwettbewerb zum Thema "Verhalten der TouristInnen" durchgeführt. Diese Aktivitäten haben Früchte getragen. So hat sich das Dorf gegen den Verkauf von Reisfeldern an einen Golfplatz-Investor oder gegen den Bau einer Bungee-Jumping-Anlage entschieden. Ausserdem wird es im Dorf keine kommerziellen Hochzeitszeremonien für ausländische Brautpaare geben.
Gemäss den beiden philosophischen Grundprinzipien von "Sua Bali" – dem Gleichgewicht und dem konfliktfreien Zusammenleben – sollen die DorfbewohnerInnen einen direkten Nutzen von der Ferienanlage haben. So war es für Ida Ayu Agung Mas selbstverständlich, dass einheimische Arbeitskräfte für den Bau der Anlage engagiert wurden. Aus dem selben Grund werden die Einkäufe vor Ort getätigt; Baumaterialien und Einrichtung stammen aus der Umgebung, die Waren des täglichen Bedarfs werden zu 70 bis 80 Prozent in Kemenuh und der Rest in den Nachbarorten eingekauft. Ähnlich unserer Kurtaxe bezahen alle Gäste pro Tag einen Dollar in die Dorfkasse. Diese Steuer – insgesamt bisher 8’300 Dollar – wird für kulturelle und soziale Belange des Dorfes verwendet. Ausserdem hat "Sua Bali" eine kleine Umgehungsstrasse gebaut, um keine unnötige Störung durch die an- und abfahrenden TouristInnen im weitgehend autofreien Dorf zu verursachen.
Die zehn Angestellten, allesamt aus Kemenuh und den benachbarten Dörfern, kommen in den Genuss einer betrieblichen Sozialversicherung. Dazu gehört die in diesem Gewerbe (nicht nur) auf Bali unübliche Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bei Schwangerschaft. Ausserdem werden MitarbeiterInnen bei vollem Lohnausgleich für Zeremonien der Dorfgemeinschaft freigestellt, zum Beispiel für Vorbereitungen zu Tempelfesten oder für Beerdigungen. Damit erreicht Ida Ayu Agung Mas nicht nur, dass die Beschäftigten in ihrem Dorf verwurzelt bleiben, sondern auch, dass sie überdurchschnittlich lange bei ihr bleiben. Ihr Angebot von kostenlosen Sprachkursen nach einer sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit fördert zusätzlich die Bindung an "Sua Bali". Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass durch die Weiterbildungsangebote entsprechend besser qualifizierte MitarbeiterInnen dem Glitzer der Tourismusindustrie erlegen sind und "Sua Bali" den Rücken zugewandt haben.
Es ist der Preisträgerin des Wettbewerbs für sozialverantwortlichen Tourismus ein ganz besonderes Anliegen, ihre in der Mehrzahl weiblichen MitarbeiterInnen der Ferienanlage "Sua Bali" zu stärken. Dabei müsse sie, wie sie sofort hinzufügt, sehr behutsam vorgehen. Denn selbstbewusste und starke Frauen hätten es schwer in Indonesien. Doch sie gibt ihre Überzeugungsarbeit nicht auf. Jetzt, nach der Preisverleihung, werde es mit neuen Plänen weitergehen, versichert sie lächelnd.
Aus: Karin Grütter und Christine Plüss (Hrsg.): Herrliche Aussichten! Frauen im Tourismus, Zürich 1996. Buch erhältlich im Shop