Im Norden eine Krise – im Süden die Katastrophe
Dieses Jahr wird das Bruttosozialprodukt aller Länder zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg schrumpfen. Die Krise verläuft in allen Weltregionen gleichzeitig und es zeigt sich nun wie schwach das Fundament der wirtschaftlichen Globalisierungsdynamik seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist.
US-Konsumenten und Konsumentinnen hatten für genügend Nachfrage gesorgt. Doch sie konsumierten auf Pump; ihr schuldenfinanzierter Konsum betrug täglich zwei Milliarden Dollar. Mit dem Einbruch des Privatkonsums in den USA – diese müssen jetzt sparen – erfolgte der weltweite Absturz.
Je mehr die Länder des Südens auf die Globalisierung gesetzt haben, desto härter werden sie jetzt getroffen. In dem sie den Export forciert haben, haben viele Entwicklungs- und Schwellenländer auf die Nachfrage des Weltmarktes gesetzt. Doch diese Nachfrage ist jetzt weg. Für den Welthandel wird dieses Jahr der stärkste Rückgang seit 80 Jahren prognostiziert. Die Abhängigkeit von Rohstoffexporten erschwert die Situation vieler ärmerer Länder zusätzlich. Nach einem kurzen spekulationsgetriebenem Preisboom sind die Rohstoffpreise 2008 zusammen gebrochen.
Fast noch stärker rächt sich die Abhängigkeit dieser Länder von globalen Finanzmärkten. Die privaten Kapitalflüsse in die Schwellenländer sind seit 2007 um 82 Prozent zurück gegangen, weil die Banken in den Industrieländern die Verluste auf faulen Wertpapieren verarbeiten müssen. Wenn überhaupt noch privates Kapital erhältlich ist, ist es sehr teuer. Teilweise müssen Zinsaufschläge von 20 Prozent gegenüber dem Zinsniveau in den Industrieländern bezahlt werden. Staaten und Unternehmen, die davon ausgingen, fällige Schulden durch neue Kredite ablösen zu können, sehen sich getäuscht. Die Weltbank schätzt, dass den Entwicklungsländern 2009 zwischen 270 und 700 Milliarden Dollar fehlen, weil kein privates Kapital mehr erhältlich ist. Hinzu kommt, dass in den Schwellenländer sich auch Unternehmen sehr stark im Ausland verschuldet haben. Mehr als 1000 Milliarden Dollar Unternehmensschulden werden dieses Jahr fällig, sodass eine Bankrottwelle droht und sich die Wirtschaftskrise weiter verschärft wird.
Die ärmsten Länder spüren zudem noch einen Rückgang der Überweisungen von Migrantinnen und Migranten, die ihre Arbeit im Norden oder in den Golfstaaten verloren haben. Und die Entwicklungshilfe dürfte mit dem Einbruch der Steuereinnahmen in den reichen Ländern unter Druck kommen.
Rückschlag bei der Armutsbekämpfung
In mehr als der Hälfte der Entwicklungsländer und in bis zu drei Viertel der Länder Afrikas wird die Zahl der Menschen zunehmen, die in extremer Armut leben. Allein dieses Jahr steigt die Zahl um mindestens 55 Millionen Menschen. Die Erreichung der UNO-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals) bis 2015 rückt in weitere Ferne. So sterben durch die Krise jährlich 200’000 bis 400’000 Kinder mehr. Viele kurzfristige Krisenfolgen – eine Zunahme der Fehlernährung oder rückgängige Einschulungsquoten – werden langfristig spürbar sein, auch nach einer wirtschaftlichen Verbesserung der Situation.
Es ist deshalb entscheidend, dass die Ausgaben für zentrale Entwicklungsaufgaben wie Bildung und Gesundheit sowie der Schutz der Ärmsten nicht der Krise zum Opfer fallen. Mittelfristig kann nur die Umverteilung des Reichtums innerhalb und zwischen Ländern sowie eine radikale ökologische Ausrichtung der Wirtschaft eine breit abgestützte Nachfrage schaffen, die eine gesunde Wirtschaftsentwicklung erlaubt.
Im Vorfeld der Uno-Konferenz von Anfang Juni wurden dazu viele gute Vorschläge gemacht, zum Beispiel eine Steuer auf Finanztransaktionen oder eine internationale Steuerorganisation. Leider blockieren die Regierenden der Industrieländer alle wirklichen Reformschritte und versuchen mit Pflästerli-Politik den Zustand vor der Krise wieder herzustellen. Wenn in Zukunft das Geld für Entwicklung fehlt, so liegt das auch an falscher Prioritätensetzung: Denn mit den 8900 Milliarden Dollar, die bisher für die Banken aufgewendet wurden, liesse sich 75 Jahre lang die weltweite Entwicklungshilfe (Stand 2008) bezahlen.
Der Beitrag erschien im Magazin erklärung! 03/2009 der Erklärung von Bern. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Erklärung von Bern; www.evb.ch