Im Zelt der Familie Mouloud ist es drückend heiss. Der Wüstenwind treibt den feinen Saharasand unter den Wänden durch ins Innere, wo er sich in jeder Ritze festsetzt. Der Besucherin von terre des hommes schweiz verschlägt es fast den Atem. Wie jedes Jahr stattet sie dem sahraouischen Flüchtlingslager Smara in der südalgerischen Wüste und der von terre des hommes schweiz unterstützten Jugendorganisation UJSARIO einen Besuch ab. Und wie immer wohnt sie bei den gastfreundlichen Moulouds. So begrüssen sie die Kinder der Familie, Mariam 12, Mohammad 14 und Lamina 9, wie ein langvermisstes Familienmitglied, als sie am Nachmittag aus der Schule kommen.
Während das Teezeremoniell vor dem Zelt vorbereitet wird, plaudert die Besucherin mit den Jugendlichen über die Schule. Es beeindruckt sie tief, wie viel bereits die Kinder über die Geschichte ihres Volkes wissen: über die Flucht der Sahraouis vor der marokkanischen Besetzung der Westsahara 1975, den folgenden Guerilla-Krieg der sahraouischen Befreiungsbewegung Frente Polisario und das Waffenstillstandsabkommen mit Marokko, das 1991 geschlossen wurde. Zustande kam dieses nur auf Garantie der UNO, dass bis 1992 ein Referendum zur Zukunft des umstrittenen Territoriums durchgeführt würde. Bis heute wurde dieses aber immer wieder vertagt und von Marokko verzögert. Zugleich wird die UNO-Mission für das Referendum in der Westsahara (MINURSO), die seit 1991 den Waffenstillstand überwacht, immer wieder verlängert (siehe Kasten).
Die jungen Sahraouis, die in den Flüchtlingslagern geboren sind, haben ihre Heimat nie gesehen. Sie leben im unwirtlichsten Teil der Sahara, durch eine 2’700 km lange, völlig verminte Grenzbefestigung von den besetzten Gebieten abgeschnitten. Aus der Schule wissen sie aber, dass ihre Heimat reich an natürlichen Ressourcen und fruchtbaren Böden ist, welche Marokko mit Unterstützung internationaler Firmen ausschöpft. Sicher sind sie über die Ölbohraktivitäten des Schweizer Konzerns Glencore in den Gewässern vor den besetzten Gebieten informiert. Und sie wissen, dass Marokko und die Europäische Union ein Fischereiabkommen zur Ausbeutung der fischreichen Küste vor der Westsahara abgeschlossen haben. Die Einnahmen daraus übersteigen bei weitem den Wert der humanitären Hilfe durch die internationale Gemeinschaft, von der die 165’000 Flüchtlinge im Wüstenexil abhängig sind. Die Kinder kennen Fisch indes nur aus Dosen.
Bald ist das Kohlefeuerchen unter der Teekanne entfacht und der Grüntee aufgegossen. Die Familienmitglieder haben sich auf Teppichen und Kissen niedergelassen. Die Atmosphäre ist entspannt und friedlich. Der Familienvater, der meist mit einem winzigen antiquierten Radiogerät am Ohr herumläuft, lauscht gespannt den Sendungen der Polisario. Da geht es um Neuigkeiten aus den Flüchtlingslagern und aus aller Welt, insbesondere aber um Nachrichten aus der Heimat. Wie alle Flüchtlinge hat auch er Familie in der besetzten Westsahara, die er seit der Flucht nicht mehr gesehen hat. Über die Repressalien, denen die zurückgebliebenen Familien dort ausgesetzt sind, weiss er nicht nur aus Erzählungen von Freunden und Verwandten Bescheid, sondern auch durch die Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen und des UNO-Sonder-berichterstatters für Folter, Juan E. Méndez. Razzien, willkürliche Verhaftungen, Folter in den Gefängnissen, Verschwindenlassen und brutale Übergriffe der marokkanischen Polizei gegen friedlich Demonstrierende sind dort an der Tagesordnung.
In hohem Bogen wird der süsse Tee von einem kleinen Glas ins nächste geschüttet bis sich Schaum bildet. Die Teegläschen werden herumgereicht. Der Vater wird ernst: Er macht sich Sorgen. Zunehmend sehen die frustrierten Jugendlichen in den Lagern im bewaffneten Kampf ihre letzte Möglichkeit, zu ihrem Recht zu kommen. Den internationalen Institutionen vertrauen sie nicht mehr. Zu oft wurden Gerechtigkeit und Völkerrecht hinten angestellt, wenn es um wirtschaftliche Interessen ging. Damit sich die Jugendlichen nicht radikalisieren, brauche es jetzt klare Zeichen, so der Vater. Ein Zeichen wäre das Ende der Menschenrechtsverletzungen. Dafür müsste deren Beobachtung aber Teil des Mandats der UNO-Schutztruppen werden. Nächste Chance dafür bieten die Verhandlungen um die Verlängerung des MINURSO-Mandats im Frühling (siehe Kasten). Vom Eingang her fallen die letzten Sonnenstrahlen des Tages ins Zelt. Die Familie Mouloud ist aussergewöhnlich still geworden, alle hängen den eigenen Gedanken nach und hoffen, dass der Frühling bessere Nachrichten bringen möge…


Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte gefordert

Die MINURSO, die Mission der Vereinten Nationen für ein Referendum in der Westsahara, überwacht die Einhaltung des Waffenstillstandes zwischen Marokko und der sahraouischen Befreiungsbewegung Polisario. Im Frühling steht dieses im UNO-Sicherheitsrat zur Verlängerung an.
Angesichts der belegten massiven Menschenrechtsverletzungen der marokkanischen Ordnungskräfte gegen sahraouische Zivilpersonen in den besetzten Gebieten der Westsahara fordern wir, dass auch die Menschenrechtssituation überwacht werden soll. Um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen, haben terre des hommes schweiz, das Schweizerische Unterstützungskomittee für die Sahraouis und das Comité suisse-romande de soutien au peuple sahraoui eine Petition an die Bundesversammlung und den Bundesrat aufgesetzt. Darin fordern wir, dass die Schweiz sich bei der UNO mit Nachdruck dafür einsetzen, dass das MINURSO-Mandat entsprechend erweitert wird.