Imagine: «Es geht darum, sich mit dem eigenen Rassismus auseinanderzusetzen»
Basel, 08.06.2012, akte/
fairunterwegs: Ihr wendet einiges an Freizeit auf, um euch im Rahmen von imagine gegen Rassismus einzusetzen. Gibt es in Basel ein besonderes Rassismusproblem?
Luca: Rassismus ist eine Problematik, die immer und überall besteht. Rassismus ist ein Urphänomen und immer da. Es geht uns bei imagine nicht in erster Linie um offen rassistische Handlungen, um Ausschreitungen oder klare Feindseligkeiten, sondern um den Rassismus in jedem von uns. Auch ich bin nicht frei von Rassismus: Wenn ich zum Beispiel abends im Ausgang auf der Strasse eine Gruppe Dunkelhäutiger sehe, denke ich eher, die seien gefährlich, als bei einer Gruppe Hellhäutiger.
fairunterwegs: Und wie gehst du damit um?
Luca: Statt die Strassenseite zu wechseln, gehe ich zum Beispiel bewusst auf sie zu. Dabei sind schon gute Gespräche entstanden, im Verlaufe derer sich der Angst einflössende Dunkelhäutige für mich plötzlich in eine interessante Person verwandelte. Clara: Ich würde wahrscheinlich sowieso die Strassenseite wechseln, egal ob dunkelhäutig oder nicht. Aber ich versuche, mich nicht mit dem ersten, von Vorurteilen geprägten Eindruck zufrieden zu geben, sondern zweimal hinzuschauen. Ich lasse verschiedene Deutungen zu, etwa die, dass sich hier liebenswerte Menschen zu einem geselligen Abend treffen, statt die, dass hier gefährliche Fremde etwas Böses im Schilde führen. Es ist mir wichtig, dass ich optimistisch und den Menschen zugewandt bleibe und meine Angst überwinde.
Bei imagine geht es uns nicht nur um den Rassismus im engeren Sinn, sondern um den Denkvorgang, um das automatische Einrasten in den Stereotypen. Wir alle haben diese Stereotypen und Vorurteile im Kopf. Aber sobald wir sie kennen, können wir neue, eigene Wege finden, um anders zu reagieren. Wir versuchen auch, Lösungsansätze aufzuzeigen. Dieses Jahr ist das Motto: Ist doch klar!? Eine Anregung, darüber nachzudenken, ob wirklich immer alles so klar ist: Sind Dunkelhäutige immer illegal hier? Und sind illegal Eingewanderte immer kriminell? Oder handelt es sich bei den Dunkelhäutigen, denen wir gerade begegnen, vielleicht um Geschäftsleute oder Touristinnen?
fairunterwegs: Das klingt nach vertiefter Auseinandersetzung. Bisher habe ich aber am imagine Festival wenig von dieser Auseinandersetzung wahrgenommen, sondern eher einfach coole Bands, gute Stimmung, die Standmeile mit Essensbuden aus allen Ecken der Welt und ein paar Infoständen.
Clara: Imagine ist nicht nur das Festival, sondern umfasst Aktivitäten das ganze Jahr über. Das Festival ist nur der Punkt, an dem man zeigt, was man gemacht hat. Es gibt die Premagines, die wir neu Side Events nennen, kleine Festivals vorwiegend in der Grossregion Basel. In unserem internen imagazine können wir zum Beispiel vertiefter auf die Rassismus-Problematik eingehen. Und auch in den Workshops, die wir vorwiegend mit Schulklassen oder Pfadigruppen halten.
fairunterwegs: Nimmt imagine Stellung, wenn Menschen hier Opfer von Rassismus werden?
Luca: imagine ist keine homogene Gruppe, sondern lebt davon, dass verschiedene Leute mit verschiedenen Mentalitäten und Gesinnungen zusammenkommen. Um politisch Stellung nehmen zu können, braucht es Fachwissen, eine breite Vernehmlassung, ein Konsens auch mit terre des hommes schweiz, unserem Träger. Die meisten Jugendlichen sind nicht so lange bei imagine, dass dies zu leisten wäre.
Clara: Hin und wieder diskutieren wir diese Frage auch im Team. Aber so, wie imagine im Moment läuft, geht es um die Jugendlichen selber, um ihre Erfahrungen, die wir ernst nehmen und hinterfragen. Durch das sind einem profilierten Auftreten auch Grenzen gesetzt.
fairunterwegs: Spannend finden wir imagine International. Es gab ja schon imagine Festivals in Brasilien, Kolumbien und Kenia!
Luca:
Luca: Es ist eine spannende, aber auch etwas schwierige Geschichte. Wir von imagine Schweiz sind sehr Produkt orientiert, unsere internationalen Freunde suchen vor allem den Austausch. Brasilien ist wegen Unstimmigkeiten in der Ausrichtung schon ausgestiegen. Zu Kenia gibt es Kontakte ins Team, das läuft gut. Kolumbien verfolgen wir weiter. Wir sind jetzt in einer Umgestaltungsphase. Früher sind immer ein paar Jugendliche aus der Schweiz für ein, zwei Wochen in eines der Partnerländer gereist und haben mitgeholfen das Festival zu gestalten. Jetzt wollen wir dem Austausch mehr Raum geben. Geplant ist eine Plattform, wo man sich online austauschen kann, sowohl über Fragen, die mit der Organisation der Festivals zu tun haben, wie auch über Erfahrungen und Gedanken zum Rassismus. Ausserdem will terre des hommes schweiz, die Organisation, die imagine trägt, Jugendlichen der Partnerländer die Reise zu den internationalen imagine Festivals ermöglichen. Dieses Jahr findet imagine international in Kolumbien und in Kenia statt. Nächstes Jahr steht Südafrika zur Diskussion. Allerdings sind die Möglichkeiten, mit weiteren internationalen Partnern zu arbeiten, begrenzt. Die Arbeitsgruppe imagine international besteht aus nur drei Leuten.
fairunterwegs: Wie sieht die Organisation denn aus? Was habt ihr sonst noch für Arbeitsgruppen?
Clara: Es gibt folgende Arbeitsgruppen: Werbung, Workshops, Programm, Medien, Side Events, Event Design, Gastro und Infrastruktur sowie Imagine International. Jede Arbeitsgruppe delegiert eine Person in das Organisationskomitee. Die Arbeit im OK wird entschädigt.
fairunterwegs: Wie lange sind die Jugendlichen durchschnittlich dabei?
Luca: Zwischen ein und fünf Jahren. Es gibt einzelne, die sind schon zwölf Jahre dabei. Irgendwann so mit 24 oder 25 Jahren merkt man selber, dass man zu alt wird für das Projekt, und man besser Neuen die Chance zum Mitmachen überlassen sollte.
fairunterwegs: Was hat euch euer Engagement gebracht?
Luca: Es hat mein Beziehungsnetz enorm erweitert. Ich habe mich für das Programm engagiert und dabei ein Netzwerk aufgebaut, das mir auch für die Organisation anderer Programme hilft.
Clara: Ich habe gelernt, mit Stresssituationen umzugehen und Verantwortung zu übernehmen. In der Schule gibt es dafür wenig Spielraum, es wird alles kontrolliert. Hier ist nichts kontrolliert. Es wird einfach erwartet, dass das, was man übernommen hat, auch da ist, wenn es gebraucht wird. Dabei habe ich viel über Teamarbeit gelernt. Ausserdem ist das Thema Rassismus immer präsent, wir arbeiten im Austausch und entwickeln uns dabei weiter. Es ist ein riesiger Gewinn an Erfahrung. Es braucht viel Engagement, unbezahlt, auch für die trockenen Arbeiten. Da drangeblieben zu sein und durchgehalten zu haben ist ein persönliches Erfolgserlebnis.
Luca: imagine wird regelmässig evaluiert. Bei den jährlichen internen Evaluationen sind die Rückmeldungen der Mitarbeitenden regelmässig, dass ihnen das Engagement persönlich viel gebracht hat. Aber auch die alle fünf Jahre in Auftrag gegebene externe Evaluation war erfreulich: Die Mehrheit der Jugendlichen am Festival wussten, dass es hier um Rassismus geht und waren bereit, sich darauf einzulassen.