
In Namibia spielen Tourismus und Naturschutz gut zusammen
Basel, 23.01.2014, akte / "Concervancies haben sich für uns bewährt. Wir sorgen für die Wildtiere wie für unsere eigenen Herden, und das Geld aus dem Tourismus fliesst auf das Bankkonto der Concervancy", sagt Uamunikaije Tjivinda, eine Frau des Urvolks der Himba im Nordwesten Namibias, zu Remy Scalza, einem kanadischen Journalisten und Fotografen. Noch haben sich die Himba-Frauen nicht ganz an die TouristInnen gewöhnt. Erst als Scalza und seine Frau ihre Geschenke – Maismehl, Tee, Zucker und andere in der trockenen Gegend schwer zu findende Vorräte – auspacken, löst sich die Spannung und die Gastgeberinnen lassen sich auf ein Gespräch ein.
Scalza reiste diesen Herbst für die New York Times in den Nordwesten Namibias und schrieb eine Reportage über das Naturschutzmodell, das im Kunene-Gebiet initiiert wurde und seither für den Wildschutz als Best Practice gelten kann.
Namibia ist fast zwanzigmal so gross wie die Schweiz, mit nur 2.1 Millionen Einwohner oder einer Dichte von 2,56 Einwohner (Schweiz: 195) pro Quadratkilometer. Die meisten Menschen, die sich für das Land interessieren, lieben die hohen Dünen und die besondere Landschaft, die vom Wind und der Zeit geformt wurde. Sie wird von einer reichen Vielfalt an Wildtieren bevölkert, die sich optimal an die rauen Bedingungen angepasst haben.
Raubkatzen, Nashörner, Elefanten und andere Wildtiere – einst nahezu ausgerottet
Das war nicht immer so. Zu Zeiten der Apartheid jagten die Weissen auf dem Land der Urvölker, wie es ihnen gefiel, während Schwarze, die jagten, als Wilderer bezeichnet und bestraft wurden. Zwischen 1966 und 1999 kämpften die USA und die Sowjetunion in Namibia einen Stellvertreterkrieg. Soldaten wurden im Land hin und her verlegt und machten Jagd auf wertvolles Rhinohorn und Elfenbein, das sie für 5’000 Dollar pro Kilo verkaufen konnten. Weil Krieg war, gab es überall Waffen und die Wilderei nahm sprunghaft zu. 1980 kam eine extreme Dürre hinzu, welche die Tierherden nahezu vernichtete. Leoparden drangen gar in Dörfer ein und rissen Kinder, um zu überleben. In dieser Zeit wurde die Nichtregierungsorganisation IRDNC – Integrierte ländliche Entwicklung und Naturschutz – aktiv. "Sie hatte die Idee, die Wilderei zu bekämpfen, indem sie die Kontrolle über das Wild wieder der lokalen Bevölkerung übergab", sagt John Kasaona, seit zehn Jahren Direktor der IRDNC. Die Organisation arbeitete eng mit den Gemeinden und genoss deren Vertrauen. Im Dorf Sesfontain in der Region Kunene im Nordwesten Namibias begann IRDNC, Wilderern mit guten Kenntnissen des Landes und des Wilds Geld für den Wildschutz anzubieten.
IRDNC arbeitete mit den Dorfführern und Dorfältesten zusammen und nutzte gleichzeitig neue Technologien wie Karten und GPS. Die meisten Wilderer waren Leute aus der lokalen Gemeinschaft. Statt sie zu erschiessen, wie das in anderen Ländern häufig geschieht, wurden sie mit Respekt behandelt. Einige der Wilderer setzten daraufhin ihr Wissen über Land und Wild ein, um andere vom Wildern abzuhalten. Die Aktivitäten der IRDNC ebneten den Weg für neue Gesetze, aufgrund derer 1996 ethnische Gemeinschaften – die zuvor nur beschränkte Rechte auf Ressourcen und Gemeindeland hatten – neu Concervancy-Naturschutzgebiete gründen und das darin lebende Wild selber verwalten konnten. "Wir wollten den Gemeinschaften zeigen, dass sie vom Erhalt der Tiere profitieren können, insbesondere durch den Safari-Tourismus. Doch solche Versprechen hatten die Leute schon von den Kolonialherren gehört: Es dauerte lange, bis die IRDNC mit ihren Ideen durchkam", erzählt Kasoana.
Naturschutz dank Gemeindeentwicklung
Doch seither war der Erfolg überwältigend: Heute verfügt Namibia über 79 Concervancies mit einer Ausdehnung von insgesamt einem Fünftel der Landfläche Namibias. Die Anzahl der Wüstenlöwen, Wüstenelefanten und schwarzen Rhinozerosse, alle in den Neunzigerjahren noch von der Ausrottung bedroht, hat sich vervielfacht, während die Wilderei zurückging. So wurde in Namibia letztes Jahr ein Rhinozeros gewildert – in Südafrika waren es 668. "Wir waren in Namibia erfolgreich, weil uns klar war, dass Naturschutz scheitern würde, wenn es nicht gelingt, damit die Lebensbedingungen der Gemeinden vor Ort zu verbessern", sagt Kasaona.
Die Zunahme an Wildtieren geht aber auch in Namibia immer wieder mit Konflikten einher. Es gibt einen Wettstreit zwischen Viehherden und Wild um die mageren Ressourcen an Wasser und Nahrung. Philip Stander, ein namibischer Biologe, der sich ganz dem Schutz der Wüstenlöwen widmet, beschreibt auf seiner Website viele Fallgeschichten von Löwen, die mit Halsband versehen und über Jahre verfolgt – und am Schluss von einem Dorfbewohner abgeschossen wurden. Zwar macht der Erhalt der Wildtiere dank der Tourismuseinnahmen den Verlust an Nutztieren durch Raubtierangriffe mehr als wett. Ausserdem führen die Concervancies ein Konto, aus dem sie Viehhalter bei Raubtierangriffen für ihre Verluste entschädigen. Trotzdem: "Tötet der Löwe die Ziege eines Bauern, so ist das so, als würde sein Bankkonto geplündert", sagt Stander: "Ich verstehe, dass sie sich rächen, und sie haben das Recht auf ihrer Seite. Aber ich wünschte mir, ich könnte früher eingreifen, um es zu verhindern."
Neue Herausforderungen durch den Tourismus
Die Concervancies haben sich mit internationalen Reiseveranstaltern zusammengetan, um den Reisenden unvergleichliche Natur- und Kulturerlebnisse zu bieten. Und am Kulturerlebnis – bei den Urvölkern – sind die anreisenden TouristInnen fast noch mehr interessiert als an den Wildtieren. Anders als die Spannungen zwischen Viehhalter und Wildtieren ist das Bewusstsein um die Herausforderungen, die der Tourismus an bisher isolierte ethnische Gemeinschaften stellt, erst in letzter Zeit wach geworden. Scalza beschreibt, wie die Himba-Frauen ihn und seine Frau empfangen: "Vor sechs Monaten haben die Frauen mit ihren typisch mit ockerfarbiger Erde beschmierten Zöpfen und Körpern in Sandalen und Ziegenfelljupes die ersten Gäste empfangen. Als wir ankamen, kannten sie bereits die Routine: Sie rollten Decken aus, auf denen geflochtene Körbe, farbenfrohe Glasperlenketten und -armbänder und Strausseneier ausgestellt wurden. Unsere lokale Führerin begann für uns zu feilschen, wir zahlten umgerechnet 20 US-Dollar in namibischer Währung. Die Frauen rollten die Scheine zusammen, wickelten sie in Lappen und steckten diese in ihre Ziegenfelljupes. Ich fragte sie, wofür sie das Geld brauchten. Aus einem kleinen Bündel holte eine Frau ein hellfarbiges Zellophanpack hervor, auf dem eine junge Frau mit langen glatten Haaren abgebildet war: synthetische Haarverlängerungen, made in South Africa."