Indien: Ein zweiter Tsunami
Der Tourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen auf den Inselgruppen der andamanen und Nicobaren. Die rund 550 Inseln in der Bucht von Bengalen bieten Regenwald neben traumhaften Stränden und Korallenriffen. Vor allem seit dem Tsunami vor drei Jahren wird auch der Inlandstourismus von staatlicher Seite gefördert. Doch vor Ort protestieren genau diejenigen, denen er eigentlich zugute kommen sollte.
Tourismus sollte Entwicklung bringen
Einst waren die Land- und Forstwirtschaft sowie staatliche Jobs die Hauptbeschäftigung der Bewohner auf den Andamanen, die näher an Thailand, Burma und Indonesien als am indischen Festland gelegen sind. Doch eine wachsende Bevölkerung, sinkende Einnahmen aus der Landwirtschaft und das Bewusstsein, den Regenwald schützen zu müssen, veranlassten die indische Regierung dazu, auf den Tourismus als Wirtschaftsfaktor zu setzen.
Zahlen belegen diesen Trend. Rund 100’000 Touristen besuchten die Inselgruppe im Jahr 2004. Der Tsunami im Dezember desselben Jahres traf die Inseln hart. Die Zahl der Besucher fiel kurzfristig auf unter 50’000. In diesem Jahr hingegen werden sogar mehr als 150’000 Touristen erwartet.
Staatlich geförderte Ferien für Beamte
Um den Fremdenverkehr auf den Inseln zu fördern, erteilte die Regierung in Neu-Delhi Reisekonzessionen an Staatsbedienstete. Die Beamten erhalten einen Gratis-Flugschein, wenn sie die Andamanen als Reiseziel wählen. Die Folge ist, dass seit rund zwei Jahren die Beschäftigten der staatseigenen Stahlwerke den Grossteil der Touristen auf den Inseln stellen.
Die rund 350’000 Inselbewohner heissen diese jedoch nicht durchweg willkommen. nach Ansicht der lokalen Industrie- und Handelskammer lassen die staatlich subventionierten Inlandstouristen nicht genügend Geld auf der Insel, verdrängen aber gleichzeitig besser situierte Besucher aus dem Ausland. Zudem konkurrieren sie mit den Einheimischen um die knappen Ressourcen, so ihre Kritik.
Kritik der Lokalbevölkerung…
"Anstatt zu helfen, schadet der Tourismus den Inselbewohnern. Das Einzige, was die Inlandstouristen einbringen, sind Wasserknappheit und geringe Einnahmen aus dem Verkauf von billigen Bootstickets. Noch schlimmer wird es dadurch, dass das ganze auch noch staatlich finanziert wird", war kürzlich in einem Artikel der Lokalzeitung zu lesen. In der Tat kam es in diesem Sommer zu unerwarteten Wasserrationierungen. Die rund 100’000 Bewohner der Inselhauptstadt erhielten zeitweise nur einmal pro Tag Wasser, und dies auch nur für wenige Stunden. Im staatseigenen Hotel "Megapode" in Port Blair dagegen mussten die Gäste nicht auf ihre tägliche Dusche verzichten. Sie wurden lediglich aufgefordert, "sparsam" mit dem kühlen Nass umzugehen.
… und der Hotellerie
"Die indischen Besucher bringen uns überhaupt nichts ein", klagt ein Hotelbesitzer. "Achtzig Prozent unserer Gewinne machen wir mit Touristen aus dem Ausland." Professionelle Tourismusbetriebe verlören ihre Stammkundschaft, so ein Journalist der Wochenzeitung "The Light of the Andamans". Während der Staat weiterhin den Inlandstourismus fördere, würden nie notwendigen Investitionen in die Infrastruktur wie auch die Frage nach den ökologischen Auswirkungen, etwa auf das empfindliche Ökosystem der Korallenriffe, vernachlässigt, meinen die Kritiker.
Doch auch in Regierungskreisen kommen allmählich Zweifel am Nutzen des Förderprogramms auf. So weiterte sich die Regierung kürzlich, das Ferienprogramm auf den Andamanen auf die 1,6 Millionen Bediensteten der staatlichen Eisenbahn auszudehnen. Auch andere Pläne, etwa die Andamanen und die 500 Kilometer entfernte thailändische Insel Phuket in einem Ferienpaket anzubieten, wurde nach Protesten aufs Eis gelegt. Sowohl Wissenschaftler wie auch Natürschützer hatten vor schädlichen Folgen für die Umwelt und das soziale Gefüge der Andamanen gewarnt.