Indien: Wachsender Widerstand gegen die Schaffung von Spezialzonen für Tourismus
An den Stränden der indischen Bundesstaaten Kerala im Westen und Orissa an der Ostküste des Landes sind neue gigantische Tourismusprojekte geplant, die bei weiten Teilen der Bevölkerung auf erbitterten Widerstand stossen. Beide Projekte sind Bestandteil der auf Empfehlung des Internationalen Währungsfonds IWF eingeschlagenen Tourismuspolitik, die dem hochverschuldeten Indien bessere Devisenerträge sichern soll. Im Rahmen der nationalen Tourismusplanung wurden verschiedene Regionen des Landes exklusiv für die touristische Entwicklung bestimmt, die – analog zu freien Wirtschaftszonen – mit liberalen Sondergesetzen ein günstiges Klima für Investoren aus dem In- und Ausland bieten, aber auch das Mitspracherecht der betroffenen Bevölkerung einschneidend beeinträchtigen.
Bekal, North Kerala
In der Region der Stadt Bekal im Norden des Bundesstaates Kerala soll gemäss den Plänen der Zentralregierung in Delhi eines der grössten Tourismusprojekte Asiens entstehen. Auf einem Küstengebiet von 300 Hektaren sind zunächst sieben Hotels mit rund 3000 Zimmern geplant, in der Endstufe soll die Urbanisation 5000 Zimmer umfassen. Vorgesehen sind zudem ein internationales Kongresszentrum, ein Kulturzentrum sowie grosszügige Park- und Sportanlagen für Wassersport und Golf. Als touristische Attraktion soll auch das historische Fort von Bekal renoviert werden. Investitionen in der Höhe von 1000 «crores» Rupien – ein «crore» sind 10 Millionen Rupien – werden für die Realisierung des Projektes benötigt, das laut den Behörden Keralas Modell-Charakter für ganz Indien haben wird. Sie erwarten deshalb eine Unterstützung durch die Weltbank und, nebst indischen Investoren, auch die Beteiligung von internationalen Hotelketten wie Holiday Inn und Kempinski.
Gegen diese gigantischen Ausbaupläne hat sich eine Aktionsgruppe, The Bekal Fort Action Committee, gebildet, die von der Regierung die sofortige Absetzung des Vorhabens verlangt. Entgegen der Zusicherung der Planungsverantwortlichen, Fehler, wie sie im nördlich angrenzenden Goa beim Tourismusausbau begangen wurden, zu vermeiden, müssten für die Realisierung des Bekal-Projektes 2000 Familien umgesiedelt werden. Schulen und Kulturstätten wie Tempel und Moscheen würden zerstört, Tausende von Bauern ihrer Existenzgrundlage auf den Tabak- und Kokosplantagen beraubt. Die Bevölkerung der Region wurde bislang zur Schaffung der Tourismuszone nicht konsultiert. Sie befürchtet nun ähnliche Auswirkungen des Tourismus auf ihre Kultur und Umwelt wie in Goa. Das Projekt wird zudem eine beträchtliche Migrationsbewegung auslösen: Erwerbslos gewordene Fischer und Bauern werden in urbane Zentren abwandern, viele Arbeitslose aus ganz Kerala in den Tourismuszentren ein neues Auskommen suchen; doch noch sind keine entsprechenden Ausbildungsprogramme vorgesehen.
Konarak-Puri, Orissa
An der Ostküste Indiens, zwischen der Pilgerstadt Puri und dem für seinen Sonnentempel aus dem 13. Jahrhundert berühmten Konarak, ist auf neun Kilometern Strandfront ein riesiges Touristenzentrum geplant, das sich im Endausbau auf über 900 Hektaren erstrecken soll. Allein die Hälfte der Fläche ist für Hotels der Luxusklasse mit insgesamt 900 Zimmern reserviert; auf weiteren 100 Hektaren sollen in den nächsten sechs bis sieben Jahren 600 Zimmer der Economy-Class entstehen. Während andere Fünf-Sterne-Hotels, in Goa etwa, mit zwei bis drei Hektaren Land auskommen, sind unter den 74 bereits eingegangenen Anträgen auf Landerwerb für das Konarak-Puri Beach Resort Projekte für Luxushotels mit einem Flächenbedarf von 40 bis 120 Hektaren vorgelegt worden. Ein 18-Loch-Golfplatz, Schwimmbäder und andere Sportanlagen, ein Helikopterlandeplatz, ein landestypisches Künstlerdorf und viele Attraktionen mehr sollen den Komplex auch verwöhnten internationalen BesucherInnen schmackhaft machen. Zur besseren Erreichbarkeit der Anlagen wird der Flughafen in Bubaneshwar, der Landeshauptstadt Orissas, für die Benützung von Grossraumflugzeugen ausgebaut.
Das Projekt steht im Rahmen des nationalen Tourismusaktionplanes, der 1993 die Region von Bubaneshwar-Konkarak-Puri zur Sonderzone für Tourismus erklärt hat, obwohl grosse Bereiche des Küstengebietes und Hinterlandes speziell zwischen Puri und Konarak als Wald- und Tierschutzreservate ausgewiesen sind und genau deshalb bislang vor intensiverer Tourismusentwicklung verschont geblieben sind. Die Casuarina- und Cashewnut-Pflanzungen im Küstenstreifen bieten in der sporadisch von Zyklonen heimgesuchten Gegend wirksamen Schutz vor Erosion. Forstexperten aus Orissas Behörden bekämpften das Projekt, weil die im Hinterland liegenden Dörfer und Felder durch die Abholzung der Schutzwälder akut von Sandverwehungen bedroht und zu Dünenlandschaften degradiert würden und zudem seltene Tierarten des Reservates durch die touristische Nutzung gefährdet seien. Die missliebigen Experten wurden allerdings auf andere Posten versetzt; nun führt eine Umweltschutzgruppe den Kampf weiter mit Protestbriefen an den Premierminister Narasimha Rao und die Zentralregierung in Delhi sowie Appellen an die lokalen Behörden, die eklatante Missachtung der Umweltgesetze zu ahnden und die Kunstgriffe der Planungsbehörden wie Verzögerungstaktik und falsch ausgewiesene Schutzgebiete nicht hinzunehmen.
Tourism Concern-In Focus Summer issue 1994/ Südasien 3-94/ EQUATIONS ANLetter October 1993 und March 1994/ Fremdenverkehrswirtschaft FVW 30.11.1993/cp