Basel, 16.08.2010, akte/ Inge Sargent traut ihren Augen nicht, als sie 1953 mit ihrem frisch angetrauten burmesischen Ehemann im Hafen von Rangoon einläuft und dort mit fürstlichen Ehren empfangen wird. Erst jetzt erfährt sie, dass ihr Gatte Sao Kya Seng, den sie als Studentin in den USA kennengelernt hat, nicht einfach Bergbauingenieur ist. Vielmehr ist er auch Saopha – oder Prinz – von Hsipaw, einem der wohlhabendsten Staaten des Volkes der Shan, die damals im Hochland Burmas eine halbautonome Region innerhalb der Burmesischen Union bildeten.

In Windeseile muss sich die junge Österreicherin in ihre neue Rolle als Sao Nang Thusandi einfinden und mit den höfischen Gepflogenheiten einer Shan-Prinzessin vertraut machen. Dies gelingt ihr. 1957 wird sie offiziell zur Mahadevi – Himmlischen Prinzessin – von Hsipaw erklärt. An der Seite ihres aufgeschlossenen Gatten unterstützt sie dessen Ideen, um das verkrustete Feudalsystem aufzubrechen: Sämtliche der Prinzenfamilie gehörenden Reisfelder werden den Bauern abgetreten, neue Landwirtschaftsmaschinen den Bauern kostenlos zur Verfügung gestellt, neue Frucht- und Getreidesorten ausprobiert, Bodenschätze mit neuen Erzabbaumethoden erschlossen und die Profite in Weiterentwicklungen investiert. Kein Wunder, gelten Sao Kya Seng und Thusandi bald als das beliebteste Prinzenpaar der Shan-Staaten, dem bis heute nachgetrauert wird.

Denn das Märchen geht im Frühjahr 1962 abrupt zu Ende mit dem Staatsstreich des Oberbefehlshabers der burmesischen Armee, General Ne Win. Über Nacht lässt Ne Win die gesamte Führungselite Burmas – den Staatspräsidenten der Burmesischen Union, sämtliche Minister und Parlamentsmitglieder sowie die Oberhäupter der verschiedenen Staaten mit ihren jeweiligen Ministern –, die sich zur Nationalitätenkonferenz in der Hauptstadt Rangoon eingefunden hatte, verhaften. Viele wurden umgebracht oder blieben verschollen. Darunter auch Sao Kya Seng, dessen Schicksal bis heute unaufgeklärt ist. Seine Frau Inge bleibt völlig auf sich gestellt in Hsipaw zurück, unter der harten Fuchtel der burmesischen Armee und ohne Nachricht von ihrem Mann. Zwei Jahre später gelingt es ihr, mit ihren beiden kleinen Töchtern zu fliehen und erst in Österreich, später in den USA ein neues Leben aufzubauen.

Ihre Erinnerungen, die sie im Buch "Dämmerung über Birma" wiedergibt, dokumentieren weit über die Lebensweise am Prinzenhof im Shan-Staat Hsipaw hinaus auf eindrückliche Art und Weise die Wirren des post-kolonialen Aufbaus von Burma, die schwierigen Aufbrüche im Feudalsystem, die Widerstände gegen Neuerungen, vor allem aber die schleichende Usurpation der Macht über die prekäre politische Völkergemeinschaft durch die burmesische Armee unter General Ne Win. Ergänzt durch die einleitenden Ausführungen des ausgewiesenen Burma-Experten Bertil Lintner sind die Memoiren von Inge Sargent ein beredtes Zeugnis des schweren Erbes des Kolonisierung im Vielvölkerstaat Burma. Auf diesem Boden ist die seit bald 50 Jahren andauerende Militärherrschaft gewachsen, die heute zu den brutalsten der Welt gehört.

Inge Sargent: Dämmerung über Birma. Mein Leben als Shan-Prinzessin, Unionsverlag 2006, 316 Seiten, CHF 17,90, Euro 9,90, ISBN 978-3-293-20357-0