Gleich drei neue Publikationen widmen sich aus unterschiedlicher Warte dem Thema „Erlebnis“, das heute im Tourismus ultimativ angesagt ist. Roland Scheurer, Assistent am Berner Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus (FIF) zeichnet in seiner Dissertation auf sehr einsichtige Weise nach, welche Rolle das „Erlebnis“ im heutigen Tourismus einnimmt und wie es bewusst inszeniert in die Angebotsgestaltung von Fremdenverkehrsorten in der Schweiz eingebaut werden kann. Thomas Bieger, a. o. Professor für Betriebswirtschaft und Leiter des Institutes für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus (IDT-HSG), und sein Mitarbeiter Christian Lässer, Vizedirektor desselbigen Institutes an der Handelshochschule St. Gallen, machen in der Publikation „Attraktionspunkte“ Referate einer Tagung zugänglich, die sie mit Ergebnissen neuer Forschungsarbeiten zum Thema Attraktion und Standortmarketing versehen. Die neue Nummer der österreichischen Zeitschrift respect beleuchtet verschiedene Facetten und Folgen des Abenteuertourismus mit einer interessanten Einführung von Professor Karl Born aus seinem Referat von anfangs 2003 zu „Urlaub als Abenteuer – Abenteuer als Urlaub“ (www.karl.born.de), das zum Nachdenken über das heutige „Erlebnis-Setting“ und dem entsprechenden Standortmarketing anregt.
Der Leserschaft der drei Publikation wird drastisch deutlich: Der heutige Tourist ist – in der Terminologie von Karl Born – „multioptional“ und „hybrid-paradox“. Ganz plump-unwissenschaftlich würden wir sagen, er will vieles und erst noch gegensätzliches und am liebsten alles auf einmal: Ausruhen und Entspannen, Abwechslung, Erlebnis und den ultimativen Kick von Abenteuern, alles handlich verpackt, stimmungsvoll-emotional, günstig und attraktiv zu einem Urlaubsangebot geschnürt, wo er sich dann flexibel entscheiden kann, was tagesaktuell für ihn angesagt ist. Für Reiseverkäufer sicher keine einfache Herausforderung, wie Karl Born lakonisch festhält: „Deshalb ist ‚Reiseanbieten’ immer noch etwas anderes als Stahl oder Kühlschränke zu verkaufen. Kein Mensch kauft ein Küchengerät und entscheidet kurzfristig, ob er/sie das Gerät als Kühlschrank oder Mikrowelle benutzen will. Das emotionale Glücksgefühl beim Anblick eines Kühlschrankes hält sich auch in Grenzen. Höchstens das sekundäre Gefühl kann emotional sein, z.B. Fressgier.“ Kein Wunder, muss an den Marketing-Konzepten im Tourismus hart gearbeitet werden. Scheurer bringt anhand von handfesten Ergebnissen von Umfragen und Expertengesprächen auf den Punkt, was ausgewählte Fremdenverkehrsorte in ihrem Marketing besser machen könnten und schlägt auch gleich konkrete Wege dazu vor. Einleuchtend sind an sich auch die Ausführungen der St. Galler-Wissenschaftler. Dennoch schleicht sich beim Lesen die bange Frage ein, was denn eigentlich für ein Menschbild hinter diesen trendigen Formen von Marketing steht: „Sie müssen akzeptieren“, meint der Gastreferent der St. Galler-Publikation Heinz-Rico Scherrieb, auf den auch im konzeptuellen Teil der Publikation verschiedentlich Bezug genommen wird, „dass der Gast letztlich unterhaltungssüchtig und nicht lernbesessen ist.“ Der Tourismus werde zunehmend, so Scherrieb weiter, aus verschiedensten Motiven in die „unmoralische Ecke“ gestellt, und dies führe allmählich bei sensibilisierten Bevölkerungskreisen zu einer spürbaren Zurückhaltung. Zudem würden Natur und Kultur – so wie heute präsentiert würden – von vielen als zu uninteressant und langweilig empfunden. Tja – sagt sich unsereiner, wo kämen wir bei diesen Marketing-Konzepten effektiv denn noch hin, wenn wir einfach einmal einen Herbsttag ohne Nebel – den heutigen Tag zum Beispiel – geniessen würden, einfach so, ohne dass die Wissenschaftler dies als genügend präsentierbar abgestempelt hätten und jemand adäquat daran verdienen könnte? Aber eben – wer erfreut sich schon an einem einfach sonnigen Herbsttag ohne Nebel, ohne weitere inszenierte Events und Attraktionen? Viel mehr, wer würde schon so etwas abfragen? Da kann man sich nicht immer des Verdachts erwehren, dass die Ergebnisse von Umfragen zum Verhalten der Reisenden und ihren Bedürfnissen letztlich mehr den Wunschträumen und Fantasien der Wissenschaftler und ihrer Auftraggeber entsprechen, die solche kostspieligen Befragungen überhaupt durchführen können, als den eigentlichen Bedürfnissen der Kundschaft?
Von Interesse ist – zumindest für uns unmassgeblich Beteiligte – natürlich weiter, was die Einheimischen von der touristischen Inszenierung von „Events“ halten, die eigentlich ihre Kultur, ihre „Heimat“, betreffen. Bei Scheurer wird ihre Befragung und ihr Einbezug in die Gremien der Ausarbeitung konzipiert. In der Publikation von Bieger/Lässer kommen die Einheimischen kaum vor. Ausser im letzten Fallbeispiel ihrer Publikation, das allerdings im konzeptuellen Teil des Buches gar nicht rezipiert wird: Es geht um die Erfolgsgeschichte des appenzellischen Hotels Hofweissbad, das – entgegen allen modernen Tourismusmarketingregeln – Tagungs- und erholungsbedürftige Kurgäste unter einem Dach zusammenbringt und in der Region zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor geworden ist, weil nicht nur die Angestellten zu guten Bedingungen arbeiten, sondern weitreichend Zulieferer aus der Region berücksichtigt werden, was wiederum viele Stammkunden des Hotels davon überzeugte, das Unternehmen auch finanziell mitzutragen. Das deutet doch darauf hin, dass das „Lokale“ im Tourismus nicht einfach nur Staffage ist, auswechselbar je nach „Event-Marketing“, sondern die Verankerung vor Ort, von der die Einheimischen profitieren, an sich eine „Attraktion“ und damit erfolgsversprechend ist. Sind heute nicht die Marketing-Konzepte wirklich innovativ, welche die Angebotsqualität für die Kundschaft mit Lebensqualität der Gastbevölkerung erfolgreich unter Dach bringen?

Zeitschrift von respect – Institut für Integrativen Tourismus und Entwicklung Wien, Einzelheft € 5.80, SFr. 9.40
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