Wer touristisch nach Israel reist und keinen von Palästinensern geführten Ausflug in die besetzten Gebiete macht, riskiert mit einseitigem Blick zurückzukehren. Die Analysen, Reportagen und Geschichten von Le Monde Diplomatique helfen, unterschiedliche Perspektiven in diesem längsten Konflikt des Nahen Ostens zu verorten, und machen Lust, über Grenzen zu blicken.

"In Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sage, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es Jeder einsehen", schrieb Theodor Herzl, Begründer des modernen politischen Zionismus nach dem ersten Zionistenkongress in Basel 1897 in sein Tagebuch. Und er hat Recht behalten.
Das Jahr 2017, 120 nach dem ersten Zionistenkongress, ist prall gefüllt mit weiteren Jubiläen: Vor hundert Jahren versprach der britische Aussenminister den Juden eine nationale Heimstätte, vor achtzig Jahren wurde der erste Teilungsbeschluss für Palästina diskutiert, vor siebzig Jahren entschied die Uno die Gründung eines jüdischen Staates, vor fünfzig Jahren vereinigte der Sechstagekrieg Jerusalem und weitere Gebiete unter israelischer Kontrolle, vor vierzig Jahren kam mit Menachem Begin erstmals ein Politiker aus dem rechten Lager an die Macht. Währenddessen gedenken die Palästinenser dem 30. Jahrestag des Beginns der ersten Intifada, und die Aussichten auf eine faire und dauerhafte Lösung des längsten Konflikts im Nahen Osten alles andere als gut. Aber wie ist es so weit gekommen Dieser Frage spürt das von le Monde Diplomatique editierte Lesebuch nach. Die Bandbreite an Perspektiven, die in den Analysen, Reportagen und Geschichten wiedergegeben werden, ermöglicht es mehr zu verstehen und weniger zu werten.

Breitgefächert in vier Blöcken

Einleitend führen sechs Beiträge in die Geschichte ein. Sie analysieren Verhalten und Interessen der Mächte, die bei der Entstehung des Staates Israel eine Rolle spielten, berichten vom Wechsel zwischen den Politiken der Staatschefs und Generäle Israels und beschreiben den ideologischen Krieg, der die Entwicklungen begleitete.
Im zweiten Block werden die Lesenden auf lockere und unterhaltsame Weise an verschiedene Orte geführt: Nach Tel Aviv und Jaffa, Jerusalem, Ramallah, Gaza, ins geteilte Dorf Barta’a, zum Golan und zu einem Israeli in Berlin, der nach Antwort auf die Frage sucht, wie es kommt, das er hier gut schläft.
Aktuelle Konflikte sind Thema des dritten Blocks: Irritationen zwischen säkularem Judentum und Orthodoxie, Annexions- und Siedlungspolitik und der Widerstand dagegen, Konflikte rund um den Tempelberg, die vielfältigen Wirtschaftshemmnisse, die Israel der Palästinensischen Autonomiebehörde auferlegt und deren ineffiziente und neoliberal ausgerichtete Politik, die Schwierigkeit, die Vorstellung eines ethnisch-religiös homogenen jüdischen Staats mit der Zuwanderung aus Afrika zusammenzubringen. Beim Lesen bleiben Bilder hängen. Etwa das des Kongolesen, der sich bei seinem Marsch durch die Wüste Sinai auf den Spuren der Israeliten ins gelobte Land wähnte – und heute in Tel Aviv rassistische Übergriffe fürchten muss.

Unglaubliches und Hoffnungsvolles

Über den Mäzen, Zionist, Kaufhauskönig und Förderer eines säkularen Nationalismus Salman Schocken ist im vierten Block zu lesen. Ebenso wie über den fehlgeschlagenen Versuch des israelischen Geheimdienstes, Hamasführer Chaled Meschal zu vergiften. Oder über die Legende zum arabischen Antisemiten und Grossmufti Mohammed Amin al-Husseini. Friedensaktivist Nafez Assaily macht sich Gedanken über die Auswirkungen der Gewalt auf die eigene Gesellschaft und Yanif Sagee, langjähriger Direktor der Kibbuz-Jugendbewegung Hashomer Hatzair zeigt, wie enge soziale und wirtschaftliche jüdisch-arabische Beziehungen geknüpft werden.
Ein eher kleiner Platz wurde der Perspektive der Frauen eingeräumt. Schriftstellerin Sahar Khalifa räumt mit westlichen Klischees über die arabische Frau auf, die Direktorin der Alliance for Middle East Peace berichtet über ihre Erfahrungen mit der Kampagne "Women wage Peace" und Lehrerin Ayelet Roth über die pionierhaften "Hand in Hand"-Schulen, in denen arabische und jüdische Kinder gemeinsam und zweisprachig unterrichtet werden.
"Israel und Palästina" ist und ein Muss für alle, die mit offenen Augen in diese Region reisen wollen.
Israel und Palästina. Umkämpft, besetzt, verklärt. Edition Le Monde diplomatique 2017 Nr 21. 112 Seiten, CHF 16.00, EUR 8.50, ISBN 978.3-937683-63-8