
Jerusalem: Der falsche Ort für die OECD-Tourismuskonferenz 2010
Basel, 02.09.2010, akte/ Die 86. OECD Tourismuskonferenz soll nach dem Willen der OECD-Leitung die erste sein, die nicht an ihrem Sitz in Paris stattfindet, sondern im internationalen Konferenzzentrum (Binyanei HaUma) in Jerusalem. Delegierte aus Entwicklungsländern werden daran teilnehmen und Israels Tourismusangebote kennen lernen. Thema der OECD-Konferenz sind besondere Wirtschaftszweige mit einem Schwerpunkt auf "grüner" Tourismusentwicklung. "Es scheint, die OECD und ihr Entscheidungsprozess banalisieren die Reizschwellen und die Ernsthaftigkeit des Konflikts zwischen Palästina und Israel. Vielleicht ohne Absicht vermittelt diese Aktion den Eindruck, die OECD nehme Partei in einem Streit, dessen Ausläufer für den Frieden auf der ganzen Welt bedeutend sind, insbesondere im Mittleren Osten." Dies beklagen die Unterzeichnenden in ihrem offenen Brief an die OECD-Leitung und fordern, die OECD solle einen anderen Konferenzort bestimmen.
Argumente gegen Jerusalem als Konferenzort
Die Unterzeichnenden nennen eine ganze Reihe von Argumenten gegen Jersualem als Konferenzort:
- An der Konferenz soll das "grüne Wachstum" mit entsprechenden Strategien zur Wirtschaftsentwicklung gefördert werden, gerade auch im Tourismus. Dazu steht aber die Realität in den besetzten palästinensischen Gebieten in brutalem Widerspruch, werden dort doch grosse Landstücke „entgrünt“ und die Entwicklung für die PalästinenserInnen blockiert, um die israelische Präsenz zu forcieren.
- Am Ende der Konferenz sind Ausflüge zu touristischen Sehenswürdigkeiten geplant. Die Unterzeichnenden fragen, ob der OECD bewusst ist, dass um verschiedene historische Stätten gestritten wird, die Israel ungerechtfertigterweise für sich beansprucht. Solche Besuche könnten historischen Verfälschungen in den Köpfen der Besucher kreieren. Ausserdem: Wenn die BesucherInnen mit israelischen Veranstaltern reisen, verpassen sie sehr wahrscheinlich die Gelegenheit zur Begegnung mit PalästinenserInnen und damit zum Verständnis derer Forderung, einen gerechten Anteil am Tourismus im Heiligen Land zu erhalten.
- Das Tourismuskomitee der OECD wählt eine entzweiende Taktik. Es gibt Israel ein Vertrauensvotum, indem es den israelischen Tourismus und das israelische Image in der Welt fördert. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Israel den Tourismus nutzt, um gegen die Palästinenser Propaganda zu machen und sie in einem unvorteilhaften und falschen Licht darzustellen – nämlich als gefährliches und gewalttätiges Volk. Das trägt dazu bei, die palästinensische Tourismusbranche für Reisende aus aller Welt unsichtbar zu halten.
- Jerusalem ist zentral für die Frage nach dem letztendlichen Status von Israel und von Palästina. In Anbetracht dessen wird der Ausschluss von Palästina nur die politischen Gräben vertiefen und eine dauerhafte Lösung der Ansprüche und Gegenansprüche noch komplexer und schwieriger machen. Daher ist schon die blosse Wahl des Konferenzortes nicht zu rechtfertigen und mit Risiken behaftet, und sie kommuniziert einseitige Botschaften. Die Stadt steht unter Besatzung. Mit der Wahl des Konferenzortes delegitimiert die OECD den Anspruch der Palästineneser auf Ostjerusalem und unterstützt den Anspruch Israels auf ganz Jerusalem.
- Aufmerksame BesucherInnen, die nach Palästina kommen, sind oft entsetzt über die Art und Weise, wie israelische Reisearrangements für TouristInnen, wenn überhaupt, nur wenige Stunden Aufenthalt in der Westbank vorsehen, um Bethlehem zu besuchen. Das Ungleichgewicht zeigt sich auch bei den Tourguides: Auf über 6000 israelische kommen nur 300 palästinensische Tourguides, von denen nur 42 die Bewilligung erhalten haben, jenseits der Westbank in Israel zu arbeiten. Derweil spielt der israelische Tourismusminister die Besetzung als zu ignorierende Misslichkeit herunter, rät aber mit rassistisch-propagandistischer Begründung Reisende davon ab, Palästina zu besuchen.
- Die Tourismusprofis aus Palästina werden durch den Konferenzort faktisch an einer Teilnahme gehindert, da ihnen in der Mehrheit seit 1993 der Zugang zu Jerusalem verwehrt wird. Das israelische Militär lässt sie nicht über die Checkpoints. Damit können sie auch nicht die offensichtliche Frage aufbringen: Warum nämlich die OECD die Konferenz in einer Stadt abhält, die aktiv internationales Recht missachtet.
Umstrittene Aufnahme Israels in die OECD
Erst am 10. Mai dieses Jahres hatte die OECD Israel als neues Mitglied willkommen geheissen – gegen den Widerstand verschiedener Gruppen, welche darauf hinwiesen, dass die Aufnahme von Israel den OECD-Prinzipien und Zielen widerspricht. In ihrem Entwicklungsbericht verschweige die OECD den privilegierten Rechtsstatus von Juden gegenüber nicht-jüdischen Personen, die das israelische Bürgerrecht haben. Israel blockiere die freie Zirkulation von Gütern und Personen durch die Mauer und unzählige Hindernisse, und erdrossele damit die palästinensische Wirtschaft. Zudem missachte Israel zahlreiche Resolutionen der UNO und des Sicherheitsrates, etwa das Recht von Vertriebenen und Flüchtlingen auf Rückkehr, die Aufforderung, sich auf die international anerkannten Grenzen von 1967 zurückzuziehen oder die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg, die im Gazastreifen auf eklatante Weise missachtet wurde. Auch Schweizer Parlamentarier hatten sich (erfolglos) gegen das Schweizer Votum für den israelischen Beitritt eingesetzt.
- Lesen Sie den Brief im Original (pdf)
- Lesen Sie die Antwort der OECD auf den Brief (pdf)