Jörg Seifert-Granzin, D. Samuel Jesupatham: Tourism at the Crossroads
Gerade rechtzeitig zur Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Seattle von Ende November 1999 erschien die erste kritische Studie über die Bedeutung der Freihandelsverträge im Tourismus. Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit hatten sich 1994, zum Abschluss der Uruguay-Runde des GATT, die erstmals auch Dienstleistungen umfasste, 119 der 127 beteiligten Länder dazu verpflichtet, ihren Tourismussektor oder mit Tourismus verknüpfte Dienstleistungsbereiche weiter zu liberalisieren. Was die neuen Verpflichtungen im ohnehin bereits weitgehend liberalisierten Tourismusbereich für die Entwicklung der Anbieterländer, insbesondere des Südens, genauer mit sich bringen würden, blieb meist unklar und gab höchstens zu Spekulationen und oft völlig überrissenen Erwartungen Anlass. Die beiden Wirtschaftsspezialisten, Jörg Seifert-Granzin der Werkstatt Ökonomie, Heidelberg, und D. Samuel Jesupatham vom Indian Social Institute im südindischen Bangalore, haben nun in mühsamer Feinarbeit das Vertragswerk durchpflügt, die Liberalisierungsmassnahmen in den einzelnen Teilbereichen des Tourismus analysiert und ihre möglichen Auswirkungen auf die Ökonomie, aber auch auf die Umwelt und die Bevölkerung in den Gastregionen skizziert. Die deutsch-indische Zusammenarbeit eröffnet dabei die Chance, generelle Ausführungen immer wieder am Fallbeispiel Indien konkret festzumachen. Die differenzierte Betrachtung bestätigt weitgehend, was KritikerInnen der Freihandelsabkommen im Tourismus längst befürchteten. So hegen die beiden Autoren klare Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der Liberalisierungsmassnahmen auf die Selbstbestimmung einer Entwicklung, die Partizipation der vom Tourismus betroffenen Bevölkerung in den Gastregionen, auf die Menschenrechte und die Rechte der Angestellten im Tourismus (Stichwort Kinderarbeit) sowie auf die Umwelt und generell die Chancen einer nachhaltigen Entwicklung der Tourismusländer. Die Autoren fordern denn auch ein sehr viel stärkeres Engagement der kritischen Nichtregierungs-Organisationen in den kommenden Verhandlungen über die Dienstleistungsabkommen. Mit ihrer Studie haben sie dafür eine gute Grundlage erarbeitet. Doch werden die NGOs in Nord und Süd in dieser komplexen Materie zum Tourismus noch einiges an Aufbereitung und interner Bildungsarbeit zu leisten haben, um wirksam eingreifen und griffige Forderungen stellen zu können. Ganz wichtig wäre zudem, anhand von weiteren konkreten Fallbeispielen die effektiven Auswirkungen der bereits getätigten Liberalisierungsmassnahmen im Detail zu evaluieren, um in den anstehenden Debatten mit Erfahrungen aus einer breiten Praxis argumentieren zu können. Zum Glück, das kann man auch hier sagen, hat die Ministerkonferenz von Seattle keineswegs in Minne eine neue Liberalisierungsrunde einzuläuten vermocht. Zwar lag für Verhandlungen zum Tourismus im Rahmen der Milleniumsrunde noch keine eigentliche Tagesordnung vor, doch ein Aufschub ist allemal willkommen, um sich besser rüsten zu können.
Published by: epd-Entwicklungspolitik, EQUATIONS/Bangalore, Tourism Watch/Stuttgart, epd-Entwicklungspolitik: Materialien VI/99, Frankfurt am Main 1999, 72 Seiten, DM 19.-, ISSN 0177-5510
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