Wahrnehmungsmuster im Ferntouris¬mus und ihr Beitrag zum (Miss-)Verstehen der Fremde(n)

In ihrer Arbeit geht Jutta Bertram der Frage nach, wie die exotisierenden Wahrnehmungsmuster ein Verstehen der Fremde(n) blockieren. Die heute verbreiteten exotisierenden Formen der Beobachtung und des Empfindens ent¬standen im Zeitalter des Kolonialismus, wie die Autorin anhand von histori¬schen Reisebeschreibungen belegt. Die auf Exotik gerichtete Wahrnehmung wurde und wird im Ferntourismus kultiviert und institutionalisiert, auch wenn sie keinesfalls ein auf den Ferntourismus begrenztes Phänomen darstellt. Jutta Bertram vertritt die These, dass exotisierende und rassistische Wahrnehmungsmuster in gleichem Masse ein Verstehen der Fremde(n) verhindern: Während bei der Begegnung mit den Fremden im Alltag zuhause, Wahrnehmungsformen überwiegen, die auf Angst und Bedrohung beruhen, registriert der Einzelne bei der Begegnung in der Ferne in erster Linie die Faszination der Fremde und die Exotik. Beide Formen verstellen den Blick für die Erkenntnis. Aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs, könne die eine Wahrnehmungsform problemlos in die andere umschlagen, so ein Fazit der Arbeit. Die Sehnsucht der Skinheads nach einer Fernreise wird so verständlich. Da erstens die Tourismusbranche strukturell darauf abzielt, die Fremde(n) exotisch zu inszenieren, zweitens die Begegnung mit der Fremde im   für den Touristen/die Touristin unverbindlichen Raum abspielt und drittens Exotismen immer da bestehen bleiben, wo es unbequem werden könnte, «stellt der Ferntourismus denkbar ungünstige Voraussetzungen für einen Einsatz als ‹Heilmittel› gegen fremdenfeindliche Einstellungen bereit». Zusätzlich kommt die Autorin zum Schluss, dass Appelle für ein besseres Verstehen der Fremden sich oft in der Logik der exotisierenden Wahrnehmungsmuster verfangen hätten. Für die Analyse wird die Literatur zur Interaktion fundiert bearbeitet, was auch eindeutig die Stärke der Arbeit ausmacht. Die Strukturanalyse zum Ferntourismus und der Abriss der Tourismuskritik lassen sich dagegen an anderer Stelle umfassender und differenzierter nachlesen.
Fremde Nähe   Beiträge zur interkulturellen Diskussion Band 6, Lit Verlag Münster, Hamburg 1995, 134 Seiten, DM 22.80