Die Beraterin des Ministeriums für Frauen in Phnom Penh, Boua Chantou, zieht die Alarmglocke: Die Zahl der Prostituierten stieg landesweit von 6000 im Jahr 1991 auf 20’000 im 92 und 30’000 im 93. Im Gegensatz zur weitverbreiteten Ansicht, es handle sich dabei um Vietnamesinnen, belegen neueste Untersuchungen, dass die überwiegende Mehrheit Kambodschanerinnen sind. 90 Prozent der in Phnom Penh arbeitenden Prostituierten stammen aus ländlichen Gegenden, wo die Armut in den letzten Jahren enorm zugenommen hat und speziell für Frauen keine Verdienstmöglichkeiten bestehen. 35 Prozent der Prostituierten sind jünger als 18 Jahre, viele erst 12 oder 13, einige sogar erst 10 Jahre alt. Die niedrigen Preise und weniger strengen Kontrollen im krisengeschüttelten Kambodscha scheinen immer mehr Sextouristen von Thailand wegzulocken. Die Regierung hat der Prostitution den Kampf angesagt: Bereits im vergangenen Frühling erliess das Tourismusministerium ein Verbot für Stripteasevorführungen; nun ordnete der Bürgermeister von Phnom Penh die Schliessung der Bordelle an. Allein mit diesen Repressionsmassnahmen wird dem Sexgeschäft kaum beizukommen sein, solange die Regierung an ihrer aggressiven Tourismusförderung festhält. Mit immer hochfliegenderen Tourismusprojekten zu äusserst vorteilhaften Bedingungen lockt sie ausländische Investoren. So soll an der Südküste des Landes auf einer der Stadt Sihanoukville vorgelagerten Insel das teuerste und aufwendigste Spielkasino Asiens gebaut werden, umgeben von entsprechenden Hotel‑ und Ferienanlagen, Yachthafen, Golfplätzen und einem internationalen Flugplatz. Vier Spielbankengruppen aus Asien und Europa buhlen um den Zuschlag; dem Erbauer winkt ein generöser Konzessionsvertrag über dreissig Jahre sowie eine minimale Gewinnsteuer von nur 8 Prozent. Ob der Aussicht auf ein lukratives Edelkasino, das sich angesichts der maroden Bankenkontrolle Kambodschas trefflich zum Geldwaschen eignet, lassen sich die Anleger auch nicht vom instabilen politischen Klima im Lande schrecken. Derweil bleiben Auslandsinvestitionen in anderen Bereichen weiterhin aus, gerade im ländlichen Raum, wo die Kriegsgefahr keineswegs gebannt ist. Statt in die dringend benötigte Schaffung von Arbeitsplätzen, insbesondere von Erwerbsmöglichkeiten für Frauen auf dem Land, fliessen die begehrten Finanzspritzen vornehmlich in den Dienstleistungsbereich, Hotels und Restaurants für westliche TouristInnen. Mit Blick auf die umliegenden Nachbarländer warnt denn auch die Expertin für Frauenfragen Boua Chantou, dass erfahrungsgemäss die Förderung des Tourismus ‑ wenn nicht behutsam betrieben ‑ die Prostitution weiter ankurbelt.
südostasien informationen Dezember 4/94; Weltwoche 1.12.94; ECPAT Australia Bulletin 11/cp