Fair Trade ist im Agrarbereich bereits seit vielen Jahren gang und gäbe. Beispiele sind Bananen oder Kaffee, die mit einem Gütesiegel versehen sind, das den fairen Handel dieser Güter belegt. Im Tourismus, dem weltweit grössten Arbeitgeber, steckt diese Entwicklung noch in den Kinderschuhen. Kuoni Schweiz und Reiseservice Imagine brachten im Herbst 2010 die weltweit ersten Reisen nach Südafrika auf den Markt, auf denen jeder Leistungserbringer entlang der Wertschöpfungskette hinsichtlich Fair Trade Standards geprüft worden war. Das Geschäft mit nachhaltigen und fairen Reisen boomt. Am meisten etabliert sind diese Angebote zurzeit in Südafrika sowie in Costa Rica.
Respekt, Offenheit und gesunder Menschenverstand
Die touristische Entwicklung in Kambodscha ist noch nicht so weit fortgeschritten wie in den oben erwähnten Ländern. Doch das Potenzial für Fair Trade Reisen ist durchaus vorhanden. Ein Fair Trade Gütesiegel gibt es zwar (noch) nicht, dennoch ist es für jeden Einzelnen möglich, unterwegs fair zu handeln, indem gewisse Punkte beachtet werden. In erster Linie ist es unerlässlich, der einheimischen Bevölkerung und der Kultur des bereisten Landes mit Respekt entgegenzutreten. Denn durch offene Kommunikation mit den Menschen vor Ort lässt sich oft viel mehr in Erfahrung bringen als durch den Besuch von unzähligen touristischen Sehenswürdigkeiten. Wer mehr weiss und die Zusammenhänge an der Feriendestination versteht, handelt in der Regel auch fairer.
Um nachhaltig fair zu reisen, sollten vor Ort lokale Produkte und Dienstleistungen berücksichtigt und konsumiert werden. Eine Übernachtung in einem Hotel oder einer Pension, die von der lokalen Bevölkerung entwickelt und getragen wird, ist sinnvoller als die in einer internationalen Hotelkette. Dabei heisst günstiger nicht immer fairer. Das 5-Sterne-Hotel Raffles d’Angkor in Siem Reap beispielsweise beschäftigt fast ausschliesslich Khmer und unterstützt die in Siem Reap ansässige Hotelschule Sala Bai. Diese ermöglicht Jugendlichen, die auf der Strasse leben eine Ausbildung und spätere Anstellung im Gastgewerbe.
Kinder sind die Zukunft Kambodschas
Die Herrschaft der Roten Khmer von 1975-1979 und der bis 1998 andauernde Bürgerkrieg haben in Kambodscha tiefe Wunden hinterlassen: Gebildete Kambodschaner wurden in dieser Zeit verfolgt und umgebracht, denn das Regime der Roten Khmer wollte einen Bauernstaat errichten. Kambodscha kämpft noch heute mit den Folgen. Es fehlt an Institutionen und Schulen, wo die heranwachsende Generation ausgebildet wird. Verschiedenste touristische Betriebe setzen sich daher nicht nur für das Wohl ihrer Gäste ein, sondern bieten jungen Kambodschanern eine Perspektive.
Es ist eine traurige Tatsache, dass in armen Ländern wie Kambodscha der Verdienst der Eltern oftmals nicht ausreicht, um die Familie durchzubringen. Aus diesem Grund werden Kinder zur Arbeit geschickt – oftmals in Touristenorten. Dort verdienen Kinder ein Vielfaches von dem, was ihre Eltern nach Hause bringen. Solche "Jobs" im Tourismus hindern die Kinder daran eine Schule zu besuchen – und dies in einem Land, in dem überdurchschnittlich viele junge Menschen leben. Die Menschen dieser jungen Generation tragen die Bürde, Kambodscha nach 30 Jahren Bürgerkrieg wieder aufbauen zu müssen. Ein gut gemeinter Kauf eines Souvenirs von einem Kind wirkt somit auf lange Sicht gesehen kontraproduktiv. Wer fair handeln will, überweist besser eine Spende an ein seriöses Hilfsprojekt oder an die Kinderspitäler des Schweizers Dr. Beat Richner.
Ausbildung ist enorm wichtig
Sicherheit und Bildung sind das wichtigste für Kambodscha‘s Einwohner. Dies unterstützt auch das Hotel de la Paix in Siem Reap. In Zusammenarbeit mit der Life & Hope Association (LHA) bildet dieses Hotel jährlich 30 Frauen zu Näherinnen aus. Das Hotel kommt während der Ausbildung für Kost und Logis, Material und Nähmaschinen auf. Finanziert wird dieses Projekt durch Gästeeinnahmen und Spenden.
Kambodscha verfügt über viele Waisenhäuser. Doch was geschieht, wenn diese Kinder volljährig werden und kein Anrecht mehr haben dort zu wohnen? Einigen dieser Kinder stehen die Türen des Restaurants Haven in Siem Reap offen. Das Haven gliedert sie in die Gesellschaft ein, bietet ihnen eine Unterkunft, Verpflegung, ärztliche Versorgung sowie Arbeit und eine professionelle Ausbildung in der Gastronomie. Mit diesem Restaurant ermöglichen die Gründer, ein Schweizer Paar, ein paar kambodschanischen Jugendlichen eine Zukunft fernab von Armut, Prostitution, Menschenhandel und Kriminalität.
Faires Angebot? Rechnen Sie selbst…
Der Tourismus bietet vielen Einheimischen in aufstrebenden Reisezielen eine Chance. Doch gerade in dieser so personalintensiven Dienstleistungsbranche ist der Konkurrenzkampf so gross, dass er massiv auf die Arbeitskosten drückt. Dies bedeutet tiefe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen für die Angestellten. Oftmals wird billiges, unausgebildetes Personal beschäftigt – ohne Aufstiegsmöglichkeiten oder Perspektiven.
Massagen und Beautybehandlungen, eine teure Dienstleistung bei uns, ist in Kambodschas Tourismuszentren an jeder Ecke zu Spotpreisen zu erhalten. So werden einstündige Massagen nicht selten für fünf Dollar angeboten. Auch in Kambodscha kann diese Rechnung nicht aufgehen, ohne dass die Mitarbeitenden darunter leiden.
Die Recherche hat aber auch gezeigt, dass einige Unternehmen, wie z. B. das Lemongrass Garden Spa in Siem Reap, sehr viel Wert auf faire Arbeitskonditionen für ihre Angestellten legen: Es werden faire Grundlöhne plus Kommissionen bezahlt, zudem behalten die Mitarbeitenden ihre Trinkgelder zu 100% selber. Weiter gelten geregelte Arbeitszeiten, wobei die Mitarbeitenden Anspruch auf Ruhepausen, Mittagspausen und Ferien haben. Und drittens erhalten sie eine professionelle Ausbildung im Unternehmen selber. Der Besitzer dieses Unternehmens, Daniel Venn, betont: “Wir versuchen ausserdem, einmal monatlich einen Mitarbeitertag abzuhalten, der die Teambildung fördert und uns ermöglicht, einander in einem lockeren Rahmen zu begegnen. Schliesslich erhalten Ende Jahr alle Angestellten einen ihrem Monatssalär entsprechenden Bonus."  Im Lemongrass Garden Spa kostet eine einstündige Massage 18 Dollar, was immer noch günstig ist, aber auch fair gegenüber der lokalen Bevölkerung. 

Wie fair ist eine fünf-Dollar-Massage?
In Siem Reap werden in den günstigen Massagesalons 30 Minuten Behandlung zu fünf Dollar angeboten. Die Angestellten arbeiten täglich rund 14 Stunden, wovon sie durchschnittlich ca. 7 Stunden massieren. Monatlich erhalten sie zwei freie Tage. Dabei verdienen sie einen Grundlohn von gerade mal 50 Dollar im Monat. Man rechne… Die Masseurinnen und Masseure eines Billiganbieters setzen im Durchschnitt 70 Dollar pro Tag um. Ihr Stundenlohn beträgt jedoch lediglich ca. 0.13 Dollar. Dieser Betrag liegt auch in einem Entwicklungsland wie Kambodscha weit unter dem Mindestlohn. Die Rechnung zeigt auch sehr klar auf, dass Trinkgelder für die Khmer einen überlebenswichtigen Bestandteil des Lohnes ausmachen.

 Kunsthandwerk fair hergestellt
Kein Urlaub ohne Souvenirs! Doch wo und unter welchen Bedingungen wird dieses traditionelle Handwerk angefertigt?
Souvenirs, die auf Kambodschas Touristenmärkten angeboten werden, werden grösstenteils in Vietnam hergestellt und nach Kambodscha exportiert. Viele TouristInnen erstehen die Andenken nach langem Feilschen zu einem tiefen Preis. Feilschen ist in Kambodscha zwar kulturell verankert und hat Tradition. Oftmals geraten die Marktarbeitenden jedoch unter Druck, wenn die Preise zu stark gedrückt werden. Beim Feilschen gilt es deshalb immer zu bedenken, dass die Marktfahrenden vom Erlös der Waren leben müssen. Ausserdem sollte beim Verhandeln des Kaufpreises überlegt werden, wie viel Zeit und Aufwand in den Gegenstand investiert wurden.
Wer bei Artisans d’Angkor einkauft, zahlt mehr als auf den meisten Märkten, fördert jedoch ein beispielhaftes Projekt: Artisans d’Angkor bildet junge, motivierte Frauen und Männer aus ländlichen Gebieten zu KünstlerInnen aus. Wer ins Programm aufgenommen wird, entscheidet sich für den bevorzugten Lehrgang: Seidenmalerei, Seidenweberei, Stein- oder Holzschnitzerei, Holz- oder Steinmalerei und absolviert während neun bis zwölf Monaten eine Ausbildung. Inzwischen arbeiten 1300 Menschen in diesem Unternehmen, tausende Familien profitieren indirekt. Für 2012 sind weitere 120 Ausbildungsplätze geplant. Neben dem Erhalt von einem fairen Lohn sind die Angestellten privat versichert. Kaum jemand hat in Kambodscha eine Versicherung, denn die Prämien sind für die meisten KambodschanerInnen finanziell nicht tragbar. Artisans d’Angkor ist eine Werkstatt, welche den KunsthandwerkerInnen eine bessere Zukunft ermöglicht, was vielen TouristInnen wohl gar nicht bekannt ist.
Produkteinkäufer, Reiseberater und Reisende tragen Verantwortung
Die Recherchen während des zehntägigen Kambodscha-Aufenthaltes haben gezeigt, dass Fair Trade Reisen in Kambodscha möglich sind. Beispielhafte Angebote gibt es viele. Diese sind in verschiedenen Bereichen angesiedelt, beispielsweise in der Hotellerie, der Gastronomie, in Spa‘s und Souvenirläden. Die grösste Schwierigkeit besteht darin, zu erkennen, welche Leistungsangebote wirklich fair und somit von nachhaltigem Nutzen für die lokale Bevölkerung sind.
Viele Schweizer Reiseveranstalter unterstützen die Idee des fairen Handels im Tourismus. Es ist jedoch weiter wichtig, dass sich die Produktverantwortlichen mit dem Thema auseinandersetzen und die anzubietenden Leistungen genau kontrollieren. In einem weiteren Schritt müssen die Beraterinnen und Berater im Reisebüro genau darüber informiert sein, was eine Fair Trade Reise ausmacht und inwiefern die in den Ferienkatalogen angebotenen Leistungen die Bedingungen erfüllen. Es sind die Reiseberaterinnen und Reiseberater, die ihre Kundschaft auf das Thema sensibilisieren müssen, damit diese unterwegs zu "fairen Reisenden" werden.
fairunterwegs
Dieser Artikel stützt sich neben eigenen Recherchen auf Informationen der Organisation arbeitskreis tourismus & entwicklung mit Sitz in Basel und deren unabhängiges Reiseportal www.fairunterwegs.org.
*Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag gibt die Meinungen der Autorinnen wieder, die nicht unbedingt mit der Meinung der fairunterwegs-Redaktion übereinstimmen muss.