Anfangs 2005 soll in der Schweiz endlich ein Gesetz in Kraft treten, das die Funktion der Schweiz als Umschlagplatz des illegalen Kunst- und Antikenhandels einschränkt. Der Handel mit geraubten Kulturgütern trägt zum Ausverkauf der Geschichte und Kultur der Gesellschaften in Afrika, Asien, Lateinamerika, aber auch Süd- und Osteuropa bei. Auch TouristInnen beteiligen sich am illegalen Kulturgüterhandel, wenn sie unterwegs – oft genug in Unkenntnis der genauen Sachlage – ein besonders schönes antikes „Souvenir“ erstehen. Mit einer Kampagne will deshalb die Erklärung von Bern (EvB), die sich seit Jahren für das neue Kulturgütertransfergesetz in der Schweiz stark gemacht hat, speziell auch Reisende für die Problematik des Kulturgüterraubes und die neue Gesetzeslage sensibilisieren. Der Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung hat gemeinsam mit verschiedenen Bundesstellen und Nichtregierungsorganisationen die wichtigen Vorstösse der EvB zum Schutz der Kulturgüter unterstützt, legt diesem Versand das neue Faltblatt für Reisende bei und bringt an dieser Stelle einen Hintergrundbericht über Ausmass und Zusammenhänge des Kulturgüterraubes aus der neuen Broschüre der EvB. /plus

Kulturgüter sind keine normale Handelsware
Stellen wir uns vor, die Appenzeller Silvesterbräuche fänden nicht statt, weil die wunderschönen Masken geraubt und in verschiedenen Privatsammlungen quer über Afrika und Asien verstreut wären? Das Beispiel scheint weit hergeholt, ist aber ein Schicksal, mit welchem die Länder des Südens mit reichen Vorkommen an Kulturgütern seit Jahren zu kämpfen haben. Dort werden Antiken, archäologische Fundstücke, Bestandteile sakraler Bauten und Ritual- und Kultgegenstände in grossem Stil geraubt und gewinnbringend im Norden an private SammlerInnen, HändlerInnen und zu einem kleinen Teil leider auch an Museen verkauft.

Schweizer Kunstmarkt profitiert vom Kulturraub im Süden
Die Schweiz als fünftgrösster Kunstmarkt der Welt mit einem Volumen von über einer Milliarde Franken profitierte bis anhin vom illegalen Handel mit Objekten aus den Ländern des Südens, welche die „Ware“ lieferten, die oftmals aus Raubgrabungen stammt oder aus Museen gestohlen wurde. In vielen Fällen fehlt diesen Staaten das Geld und die Strukturen, um ihre Kulturdenkmäler oder archäologischen Ausgrabungsstätten zu schützen oder um langwierige und teure Rückführungsprozesse für illegal exportierte Kulturgüter zu führen. So wird in Mali der Anteil geplünderter archäologischer Stätten auf 70 Prozent geschätzt und allein in China gibt es jährlich 20’000 Grabräubereien. Laut dem Museumsdachverband ICOM wurden in Guatemala während den letzten zweieinhalb Jahren 255 Objekte aus Kirchen und Klöstern gestohlen, nur 29 davon kamen zurück.

Ausverkauf mit sozialen und ökonomischen Folgen
Für die betroffenen Gesellschaften hat der Ausverkauf ihres kulturellen Erbes verhehrende soziale und ökonomische Folgen. Wird zum Beispiel ein Ritualobjekt – also eine Maske oder eine Statue – aus ihrem traditionellen Umfeld einer indigenen Gemeinschaft im Süden geraubt, zerbricht die Verbindung zu (religiösen) Praktiken und Traditionen. Die betreffende Kultur verliert ein Stück ihrer Identität und ihrer Geschichte. Mit jeder Plünderung einer archäologischen Fundstätte geht für die Nachwelt der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit verloren. Denn nur Gegenstände, die gemeinsam mit ihrer Fundstelle analysiert werden können, erlauben gültige Aussagen über ihre frühere Bedeutung und ihre Geschichte. Deshalb gilt: archäologische und ethnologische Objekte sind keine Konsumgüter, denn das menschliche Kulturerbe ist eine nicht-erneuerbare Ressource! Den Ländern des Südens entgehen durch den Kulturgüterraub auch eine faire Beteiligung am ökonomischen Gewinn, welcher sich aus dem legalen Kulturgüteraustausch oder der touristischen Vermarktung ergibt. Ägypten erhielt 3,3 Millionen Euro Leihgebühr für die Ausleihe der Tutenchamun-Objekte an das Antikenmuseum Basel. Hingegen bieten Raubgrabungen für die Menschen des Südens kaum ein nachhaltiges Einkommen – auch hier profitieren letztendlich die Kunsthändler: Laut einer englischen Studie aus dem Jahr 2000 verdient der ursprüngliche Finder nur 2Prozent des endgültigen Verkaufspreis, 98Prozent des erzielten Gewinns gehen an den Zwischenhandel.

Mentalitätswandel soll Ein-Weg-Geschäft beenden
Der illegale Kulturgüterhandel ist ein Ein-Weg-Geschäft vom Süden in den Norden, vom Osten in den Westen und von Arm zu Reich – in den wenigsten Fällen trägt er zu einem vermehrten Kulturaustausch bei: die unersättliche Gier gewisser SammlerInnen nach prestigeträchtigen Einzelstücken archäologischen oder ethnologischen Ursprungs ohne Herkunftsnachweis hält den Handel mit Raubgut am Leben. In den schlechteren Fällen dient ein Gut als Investitionsanlage oder als Geschäft, um kriminelle Gelder zu waschen. Kulturgüter sind keine gewöhnliche Handelsware – fehlen sie in ihrer ursprünglichen Umgebung, sind sie in vielen Fällen unersetzlich. Deshalb plädiert die Erklärung von Bern für einen Mentalitätswandel und einen ethischere Einstellung gegenüber Kulturgütern. Diese haben nicht primär die Funktion ein westliches Schönheitsempfinden zu befriedigen oder das Prestige eines Besitzers zu erhöhen, sondern sie sind Kulturzeugen, Identitätsträger sowie unersetzbares Erbe. Der Kauf von illegaler Ware ist ein Unrecht: Potentielle KäuferInnen von Kulturgütern müssen darauf bestehen, nur legal gehandelte, mit Herkunftsnachweis versehene Kunst- und Kultobjekte zu kaufen. Kann der Verkäufer die Herkunft des Kulturgutes nicht dokumentieren, so muss der Käufer eben verzichten – es muss ja nicht immer ein Original sein: auch Reproduktionen können schön sein!

Erklärung von Bern
Kampagne: Stoppt den Ausverkauf der Kulturen!

Weitere Informationen bei Claudia Buess, Erklärung von Bern, Postfach, Quellenstrasse 25, CH-8031 Zürich, Tel +41 1 277 70 05, cbuess@evb.ch, www.evb.ch