Basel, 15.04.2010, akte/ Im Jahr 2000 beschrieb der Soziologe Paul H. Ray erstmals das Phänomen des "Lifestyle of Health and Sustainability" (Lebensstil für Gesundheit und Nachhaltigkeit). Die Lohas geben ihr meist überdurchschnittliches Einkommen in der Überzeugung aus, mit bewussten Konsumentscheidungen Druck auf die Industrie ausüben zu können. Dieser strategische Konsum verleiht Shopping einen Sinn; er birgt das Versprechen, sich eine bessere Welt kaufen zu können. Verzicht ist kein Faktor. Die Lohas, deren berühmteste Schweizer Vertreterin Melanie Wininger ist, leben nach dem Sowohl als auch-Prinzip. Jetzt zeigt Kathrin Hartmann in ihrem Buch "Ende der Märchenstunde", wie "die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt". Zuweilen ironisch führt Hartmann die Doppelmoral von Firmen wie der deutschen Bierbrauerei Krombacher vor: Krombacher unterstützt Regenwald-Projekte des WWF mit 4 Cent pro Kasten – und gleichzeitig die Formel 1. 

Anderes Beispiel: Palmölplantagen gelten als grosse Bedrohung für den Regenwald. Präsident der Vereinigung Roundtable of Sustainable Oil (RSPO), die den Anbau und die Verwendung von nachhaltigem Palmöl fördern will, ist ausgerechnet Unilever-Manager Jan Kees. Mit jährlich 1,6 Millionen Tonnen Palmöl ist der Unilever-Konzern der weltgrösste Palmöl-Verbraucher. Hartmann kritisiert nicht nur die Industrienähe des Roundtable, sondern auch die laxen Anforderungen, die für eine RSPO-Zertifizierung notwendig sind. RSPO-Palmöl ist unter anderem in der Ökoserie der Firma Henkel enthalten. Das sei "Greenwashing", urteilten Greenpeace und 250 weitere Organisationen. Ein weiterer Widerspruch: Die Öko-Kollektion von Aldi verringert zwar den Rohstoffverbrauch; gleichzeitig akzeptiert Aldi aber Sweatshop-Bedingungen und ist bekannt für die schlechte Bezahlung seiner MitarbeiterInnen.
Eine differenzierte Beurteilung der KonsumentInnen von Unternehmensanstrengungen und damit die Enttarnung grüner Mäntelchen wäre zu begrüssen: Ergänzen Firmen ihr konventionelles Sortiment nur mit Blick auf eine kaufkräftige Zielgruppe durch hochpreisige „nachhaltige“ Produkte? Werden die Fairhandels-Richtlinien erfüllt? Gleichzeitig gilt es, auch das eigene Konsumverhalten kritisch zu hinterfragen. Es reicht eben nicht aus, aufs Hybridauto umzusteigen und mit erleichtertem Gewissen weiter zu fahren als zuvor. Ohne Verzicht keine Nachhaltigkeit.

Hartmann will den Lohas die elementare Rechnung der Unternehmen einbläuen: "Sie stellen ihre Produkte so kostengünstig wie möglich her, um sie so teuer wie möglich verkaufen zu können – und viele der Produkte, mit denen diese Konzerne sehr viel Geld verdienen, sind nicht und werden niemals ‹grün›, ‹gut› oder ‹verantwortungsvoll› sein." Oder zumindest nicht alles zusammen, denn meist muss man sich beim Einkauf für eine Dimension entscheiden. So auch beim fairen Handel, den Hartmann zwar als gute Einrichtung bezeichnet, der aber die Wirtschaftsordnung nicht ändern werde. Sie versucht, den Blick für das Ganze zu öffnen und Konsequenzen klarzumachen. Dabei kommt sie zum Schluss, dass es mehr braucht, als strategische Kaufentscheidungen: ein gerechtes Wirtschaftssystem.

Mit ihrem Fazit wird die Autorin die Lohas allerdings kaum erreichen: "Wir sollten uns also lieber wieder an Bäume ketten, anstatt von Autokonzernen welche pflanzen zu lassen." Sich anzuketten, ist noch kein Lösungsvorschlag, politisches Desinteresse lässt sich nur schwer in Engagement verwandeln und es sollte auch nicht reflexartig als Bigotterie verstanden werden, wenn Unternehmen – auch ökologisch und fair handelnde – versuchen, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen. In jedem einzelnen Punkt hat Kathrin Hartmann zwar Recht. Sicher kann die Welt nicht allein über den Einkaufskorb verbessert werden. Doch mit ihrer hervorragend lesbaren Polemik torpediert sie auch alle begrüssenswerten kleinen Schritte.

Kathrin Hartmann: Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt. Karl Blessing Verlag, München, 2009, ISBN 978-3-89667-413-5, CHF 30,90, Euro 16,95