Keine neuen Bürden für den Süden!
Martin Khor, was ist für Sie die wichtigste Herausforderung des Klimagipfels von Kopenhagen?
Die Politik muss die Erkenntnisse der Wissenschaft in konkrete Hendlungsoptionen umsetzen, wonach der Klimawandel eine sehr gravierende Bedrohung für die Welt darstellt und ihm nur durch eine internationale Aktion beizukommen ist. Dabei sind verschiedene Optionen möglich. Wir müssen jene wählen, die für die ärmsten Menschen die beste ist und die deren Entwicklungsperspektiven nicht einschränkt. Schlecht wäre ein Klimaabkommen, das den Entwicklungsländern neue bürden auferlegen würde. Sie sind mit ihrer Armut, der Finanz- und wirstchaftskrise und den Folgen der Klimaerwärmung schon genug gestraft. Es würde ihre Lage nur weiter verschlimmern.
Wie sähe ein fairer Kompromiss zwischen Nord und Süd aus?
Ausgangspunkt muss die historische Verantwortung der Industrieländer sein, die für ihre Entwicklung seit Jahrzehnten die fossilen Ressourcen ausbeuten und die Atmosphäre verschmutzen. Die Atmosphäre kann nur eine begrenzte Menge an Treibhausgasen verkraften. Stösst man zu viel aus, steigt die globale Temperatur um mehr als 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Epoche an und führt zu katastrophalen Folgen. Die Industrieländer sollten deshalb ihre CO2-Emissionen bis 2020 drastisch um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.
Zudem haben sich die entwickelten Länder bereits in der Uno-Klimakonvention verpflichtet, die armen Länder finanziell und technologisch bei der Lösung ihres Dilemmas zu unterstützen. Nämlich des Dilemmas, sich an den Klimawandel anzupassen, weniger Kohlenstoff auszustossen und sich trotzdem zu entwickeln. Die Industrieländer werden deshalb auf die eine oder andere Art auf einen Teil ihre Reichtums verzichten müssen. Das ist schwierig. Aber es ist weniger schwierig, als die Entwicklungsländer zu zwingen, arm zu bleiben unter dem Vorwand, in der Atmosphäre sei für ihr CO2 kein Platz.
Ein fairer Kompromiss muss diesen Ungleichheiten Rechnung tragen, und man muss schauen, wie man diese beseitigen kann. Das macht die Konferenz von Kopenhagen so komplex.
Sollten sich Schwellenländer wie China oder Indien, die heute die Hälfte der weltweiten Emissionen ausstossen, nicht auch zu Reduktionen verpflichten?
Warten wir zuerst ab, was die Industrieländer tun. Sie haben die Atmosphäre in den letzten 150 bis 200 Jahren verschmutzt. Es hat ihnen ein sehr starkes Wirtschaftswachstum ermöglicht und den Aufbau von Infrastrukturen, Technologien und menschlichen Fähigkeiten, die es für Wohlstand braucht. Die Entwicklungsländer sind diesen Weg nicht gegangen. Sie stehen am Anfang. Sie sind nur bereit, ihre Emissionen zu reduzieren, wenn die Industrieländer ihre Verantwortung wahrnehmen und ihnen finanziell und technologish helfen. Sonst ist der Deal sehr unfair.
Was wird Kopenhagen bringen?
Die Verhandlungen sind sehr komplex. weil sie im Schnittpunkt von Umwelt, Wirtschaft und sozialer Gerechtigkeit stattfinden. Wir müssen der Vergangenheit Rechnung tragen und gleichzeitig in die Zukunft schauen. Ich weiss nicht, ob man sich in Kopenhagen auf ein Globalabkommen einigen wird. Aber die Konferenz wird eine wichtige Etappe auf dem Weg dorthin sein. Entscheidend ist, dass man die Weichen bezüglich Ambitionen der Reduktionsziele und Gerechtigkeit richtig stellt. Denn ein Abkommen ist nur tragfähig, wenn es fair ist.
Zur Finanz- und Wirtschaftskrise: Welches sind aus Ihrer Sicht der Entwicklungsländer dort die wichtigsten Herausforderungen?
Zuallererst muss man festhalten, dass der Uno-Gipfel über die Finanzkrise vom Juni ein Erfolg war. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Delegationen nur einen Monat Zeit hatten, um die Schlusserklärung zu bereinigen. Sie enthält wichtige Elemente, allen voran die Schaffung einer Arbeitsgruppe, die die Arbeiten weiterführen soll.
Ich sehe für die Entwicklungsländer fünf zentrale Fragen. Erstens: Die Deviseneinnahmen vieler Länder sind drastisch geschwunden wegen des Rückgangs der Exporte, der Kapitalflucht und weil es immer schwieriger wird, neue Kredite zu bekommen. Die Verluste der Entwicklungsländer werden auf 1000 Milliarden (Weltbank) bis 2000 Milliarden Dollar (Unctad) geschätzt. Wenn sie in den nächsten 6 bis 12 Monaten nicht umfangreiche Finanzhilfen bekommen, geraten sie in eine sehr ungemütliche Lage.
Die Finanzhilfe soll weder an Bedingungen gebunden werden, noch darf sie die Verschuldung vergrössern – schliesslich haben nicht die Länder des Südens die Krise verschuldet. Die G-77 und China schlagen vor, den ärmsten Ländern Sonderziehungsrechte* im Umfang von 100 Milliarden Dollar und den anderen Entwicklungsländern im Umfang von 800 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Diese Sonderziehungsrechte sind das beste Mittel, um international Finanzressourcen zu generieren, ohne die Steuerkassen der reichen Länder zu belasten.
Sie verhindern aber die Gefahr einer neuen Schuldenkrise nicht.
Das ist die zweite Herausforderung. Eine neue Schuldenkrise ist nicht unwahrscheinlich. Wir müssen den Entwicklungsländen helfen, sie zu vermeiden. Die Uno-Konferenz vom Juni hat ein Schuldenmoratorium bis zum Ende der Krise vorgeschlagen sowie die Bildung neuer Strukturen, etwa eines internationalen Schiedsgerichts bei der Uno. Man muss einen Teil der Schulden auf der Gläubigerseite streichen, so wie man dies bei Firmen wie Chrysler oder GM macht. Warum sollte das nicht für afrikanische oder asiatische Länder möglich sein.
Es ist für viele Regierungen des Südens nicht so einfach, ein Schuldenmoratorium zu verhängen.
Das betrifft die dritte Herausforderung, den politischen Handlungsspielraum der Entwicklungsländer: Einige von ihnen können die Krise nicht wirksam bekämpfen, weil ihnen die Vorgaben von Weltbank und Währungsfonds und die Klauseln von WTO und bilateralen Handelsabkommen die Hände binden. Die Uno anerkennt aber, dass die Länder des Südens jene Politik betreiben können sollen, die sie für notwendig halten, inklusive Kapitalverkehrskontrollen.
Die vierte Herausforderung ist die Neugestaltung des internationalen Finanzsystems und die Reform von Weltbank und IWF. Das Schlussdokument der Uno-Konferenz vom Juni setzt eine Deadline für die IWF-Reform, das ist für die Uno eine Premiere. Es anerkennt auch, dass das Währungsreservesystem modifiziert werden soll, um es stabiler und ausgewogener zu gestalten. Heute ist es zu stark vom US-Dollar abhängig.
Allerdings haben sich die Länder des Nordes kaum für diese Uno-Konferenz interessiert.
Das wirft die Frage der Rolle der Uno und der Entwicklungsländer im weltwirtschaftlichen Steuerungssystem auf. Wer mehr Rechte will muss dafür kämpfen. Die Entwicklungsländer, vor allem jene, die nicht zur G-20 gehören, tun dies. Denn die G-20 ist keine adäquate Antwort. Es ist nicht richtig, dass jene Länder nichts zu sagen haben, die von der Krise am härtesten betroffen und nicht für diese verantwortlich sind. Einige westliche Länder sagen, die IWF-Reform und die Sonderziehungsrechte sollten nicht in der Uno, sondern im IWF diskutiert werden. Die G-77 und China haben energisch reagiert: Die Uno sei nicht bloss ein legitimierter, sondern der legitimierteste Ort dafür. Wenn die G-20 entscheiden kann, dass der IWF 250 Milliarden Dollar an Sonderziehungsrechten auflegen soll, warum soll das die Uno nicht auch tun dürfen?
Die Doha-Runde der WTO tritt seit Langem an Ort. Einige fordern einen möglichst raschen Abschluss, andere sagen, sie habe sich längstens überlebt, heute stellten sich andere Probleme.
Als die Doha-Runde 2001 lanciert wurde, war die Welt eine andere. Seither hat sich vieles verändert, wir erlebten eine schwere Finanzkrise. Es ist fraglich, ob die wichtigsten Anliegen von damals noch relevant sind. Ich glaube, der Süden kann in dieser Runde wenig gewinnen, aber viel verlieren.
Die ursprüngliche Idee der Doha-Runde war es, die WTO-Regeln zugunsten der Entwicklungsländer neu zu justieren, vor allem bei der Sonder- und Vorzugsbehandlung und bei der konkreten Umsetzung der abkommen. Diese Anliegen sind praktisch von der Verhandlungsagenda verschwunden, und in den anderen Dossiers stehen Entwicklungsanliegen nicht im Zentrum.
Können Sie das konkretisieren?
Bei den nicht landwirtschaftlichen, industriellen Gütern werden viele Länder des Südens ihre Zölle viel stärker senken müssen als die Industriestaaten. Das widerspricht dem Auftrag von Doha. Denn es verschlechtert die Industrialisierungsperspektiven armer Länder und raubt ihnen wichtige Einnahmequellen. In der Landwirtschaft werden die Länder des Nordes aber weiterhin hohe Subventionen gewähren können. Ihre Form wird sich ändern, die unloyale Konkurrenz aber bleiben.
Viele Länder des Südens setzen sich in den Verhandlungen für spezielle Mechanismen zum Schutz ihrer Agrarmärkte ein, wie das die Länder des Nordens bereits kennen. Aber der Norden, allen voran die USA , will diese Schutzmechanismen so stark an Bedingungen knüpfen, dass sie wirkungslos würden. Beim Handel mit Dienstleistungen schliesslich weigert sich der Norden, seine Grenzen für Arbeitskräfte aus dem Süden zu öffnen. Dabei wäre das die einzige Massnahme, von der die armen Länder tatsächlich profitierten. Kurz: Die Doha-Runde rasch abzuschliessen, wäre wenig hilfreich. Und es würde nichts zuz Lösung der Finanzkrise beitragen.
Was erwarten Sie von der WTO-Ministerkonferenz von Ende November in Genf?
Es ist eine Routine-Konferenz, an der man über die aktuelle Lage des Welthandels sprechen wird. Wir sollten nicht mehr von ihr erwarten und sie auch nicht als gescheitert betrachten, wenn nichts Besonderes herausschaut.
G-20: Die Gruppe der 20 Finanzminister und Zentralbankgouverneure wurde 1999 gegründet, um systematisch Industrie- und der Schwellenländer wirtschaftlich zusammenzubringen und Schlüsselfragen der globalen Wirtschaft zu diskutieren.
Martin Khor setzt sich seit Langem für die Interessen der Entwicklungsländer ein nd ist vor allem ald Direktor des Third World Networks (TWN) mit Sitz in Malaysia bekannt geworden. Er hat verschiedene Bücher zu den Themen Handel, Globalisierung und nachhaltige Entwicklung publiziert und ist mitglied des UN-Komtees für Entwicklungspolitik. Seit März 2009 leitet er das Sotuhg Centre in Genf, einen Thinktank der Regierungen von 51 Entwicklungsländern. www.southcentre.org
Dieses Interview erschien in GLOBAL+ vom Herbst 2009, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Eine ungekürzte Version des Interviews in englischer Sprache finden Sie unter www.alliancesud.ch/en