Wenn es nach den Plänen von Tourismusindustrie und lokalen Behörden geht, wird einer der letzten von Einheimischen verwalteten und genutzten Primärwälder Ostafrikas zu einem weiteren «touristischen Naturreservat» umfunktioniert. Die Lebensgrundlage der Loita‑Massai, eines kleineren, etwa 320 km südwestlich von Nairobi lebenden Volkes, würde dadurch zerstört. Doch das Projekt stösst auf Widerstand. Der Wald mit dem poetischen Namen Forrest of the Lost Child gehört seit Generationen zum Gebiet der Loita‑Massai, einer heute halbnomadisch lebenden traditionellen Viehzüchtergesellschaft. Seit kurzem erst pflanzen die Loita zusätzlich auch etwas Mais an. Der umkämpfte Wald ist von enormer ökonomischer, kultureller und spiritueller Bedeutung für diese Menschen: Er birgt eine Vielzahl von Quellen, die für das ökologische Gleichgewicht im semi­ariden Tiefland der Gegend äusserst wichtig sind und bietet den Viehherden Weideplätze während der Trockenzeit. Er liefert eine grosse Anzahl für die traditionelle Medizin wichtige Heilpflanzen, und schliesslich ist der ganze Wald auch Heiligtum und Stätte der Verehrung verschiedenster Massai‑Gottheiten. Nun soll der Wald auf Druck der Tourismusindustrie und lokaler Behörden für den Massentourismus freigegeben werden, weil das nahe Mara‑Naturreservat bereits stark übernutzt wurde. Dort hat das unkontrollierte Wachstum der touristischen Entwicklung mit Luxuslodges, Restaurants, Souvenirläden, und unzähliger, abseits der Wege durch den Busch kreuzender Fahrzeuge die Natur derart beeinträchtigt, dass neue, intakte Gebiete erschlossen werden müssen. Denn das Safarigeschäft lohnt sich: In der Hochsaison werden im Mara-­Naturpark bis zu 20’000 US‑Dollar pro Tag allein mit den Eintritten verdient. Allerdings hat die ansässige Bevölkerung kaum etwas davon. Der weitaus grösste Anteil der Profite geht an ausländische Hotelketten und an Reiseveranstalter. Auch von den vielbeschworenen Arbeitsplätzen profitieren die Loita wenig, über 75 Prozent der im Tourismus Beschäftigten stammen nicht aus der Gegend. Für das Massal‑Volk ist klar, dass eine solche Entwicklung bekämpft werden muss, soll ihre Lebensgrundlage, ihre Kultur und Tradition nicht zerstört werden. VertreterInnen internationaler NGO’s wurden von der lokalen Bevölkerung zu einem Augenschein in das Gebiet eingeladen, dies als Auftakt zu weiteren Aktionen. Denn die Loita wollen nicht tatenlos zusehen, wie ihr Lebensraum fremden Geschäftsinteressen geopfert wird.
Third World Resurgence November 1994/kg