Kerala/Indien: Protest gegen neue Enklaven für Tourismus*
Basel, 29.03.2007, akte/ Mit einem Protestschreiben gelangten Anfang Februar 2007 die im Forum Kerala zusammengefassten Bürgerrechtsorganisationen, Basisgruppen und Einzelpersonen an die Regierung des indischen Bundesstaates Kerala. Sie fordern, den Plan zur Schaffung von Sonderwirtschafszonen für Tourismus fallen zu lassen. Stattdessen solle die Regierung Organisationen der Zivilgesellschaft über die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Tourismus auf die Bevölkerung konsultieren, um gemeinsam nach neuen Strategien zu suchen. Dazu gehöre, dass die Privatwirtschaft der betroffenen Bevölkerung für Schäden, die sie im Zuge des Tourismusausbaus erlitten habe, Entschädigung leiste.
Hintergrund des Protestes ist der Ende November 2006 vom Tourismusministerium verabschiedete Beschluss, analog zu Sonderzonen für die Exportwirtschaft auch für den Tourismus „Special Tourism Zones“ (STZ) auszuweisen, in denen fremde Investoren und Unternehmen von grosszügigen Bedingungen profitieren. Denn Indien habe nicht genug Unterkünfte im Tourismus zu bieten und ziehe deshalb weniger ausländische TouristInnen an, begründete die Tourismusministerin Ambika Soni den Entscheid. Insgesamt fehlt es gemäss Schätzungen der indischen „Federation of Hotel and Restaurant Associations“ an 150’000 neuen Hotelzimmern. Dafür soll die Privatwirtschaft mit Sondererleichterungen und Steuervergünstigungen herangezogen werden: In jeder STZ sollen 2’000 bis 3’000 neue Hotelzimmer sowie Einkaufs- und Vergnügungszentren entstehen. Vorgesehen sind exklusive Zonen für „Global High-End-Tourists“, zu denen sowohl Ausländer als auch im Ausland lebende Inder gezählt werden. Analog zu den Sonderwirtschaftszonen für andere Branchen, zum Beispiel der Informationstechnologie, ist auch für die STZ eine freizügigere als sonst in Indien geltende Wirtschafts- und Steuergesetzgebung vorgesehen, die auf die Bedürfnisse der grossen Konzerne zugeschnitten wird. Abgeschottet von der Umgebung, in der weiterhin Armut herrscht, soll die Privatwirtschaft „Inseln der Exzellenz“ schaffen, die der Elite eine Infrastruktur auf Weltklasse-Niveau bieten.
Die Folgen solcher Sonderwirtschaftszonen sind aus anderen Gebieten der Welt hinlänglich bekannt und werden nun auch von Organisationen aus Entwicklung und Umwelt und von Gewerkschaften in Indien befürchtet: Die unlängst erst erreichte politische Autonomie von Gemeinden wird unterwandert, Land wird von der Privatwirtschaft günstig angeeignet, die Grundstücksspekulation angekurbelt, Arbeitsgesetze werden ausgehebelt, der Schutz von Umwelt und Naturressourcen wird beschnitten oder ausser Kraft gesetzt.
Nicht nur im Tourismus stösst das Vorhaben der Zentralregierung, die stagnierende Wirtschaft mit Sonderwirtschaftszonen zu beleben, auf heftigen Widerstand: Südlich von Kolkatta/Westbengalen revoltieren Bauern gegen die Errichtung einer Sonderwirtschaftszone für die Petrochemie, wegen der Tausende ihr Land verlieren sollten. In den gewaltsamen Auseinandersetzungen von Mitte März 2007 kamen über 20 Menschen ums Leben.
Nach dem Vorbild der Wirtschaftsliberalisierung in China hat Indien über die letzten zwei Jahre rund 260 Projekten für Sonderwirtschaftszonen die Bewilligung erteilt; das Wirtschaftsministerium verspricht sich Investitionen von 13,5 Milliarden US Dollar und die Schaffung von 900’000 Arbeitsplätzen. Grosse Hoffnungen werden auf den boomenden Tourismus gesetzt, hat doch Indien in den letzten zwei Jahren einen Zuwachs von 45 Prozent bei ausländischen Gästen verbucht und zählt heute zu den vier beliebtesten Destinationen der Welt.
Noch gibt es aber Anlass zur Hoffnung, dass der Tourismus in Kerala nicht über alle bestehenden Naturschutz- und Arbeitsgesetze hinweg entwickelt wird: Zur Veranstaltung über neue, innovative Tourismusprojekte im südindischen Bundesstaat Kerala auf der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB), die von der in Kerala beheimateten Organisation „Kabani-The other direction“ zusammen mit EED-Tourism Watch Bonn und dem arbeitskreis tourismus & entwicklung Basel organisiert wurde, gab sich auch Dr. Venu Vasudevan, Sekretär von „Kerala Tourism“ die Ehre. Er beteuerte im Gespräch, dass in Kerala noch längst nicht das letzte Wort in Sachen Errichtung von „Special Tourism Zones“ gesprochen sei und „Kabani-The other direction“ künftig für das weitere Vorgehen konsultiert werde.
*gekürzte und aktualisierte Fassung des Berichtes von Christina Kamp in: EED Tourism Watch März 2007. Siehe auch unter Bücher den Hinweis in diesem Newsletter auf die Ausgabe von Südasien 1/2007 „Shangri-La sta Ballermann? Tourismus in Südasien“ mit weiterführenden interessanten Hintergrundinformationen zum Tourismus in Indien und ganz Südasien.
Quellen: Informationen von Sumesh Mangalassery, Director Kabani-The other direction, Kerala, Veranstaltung “Tourism in Kerala – a matter of fairness?” auf der ITB, 08.03.07; Tages-Anzeiger 17.03.07; Pressematerialien ITB-Berlin/Auftakt 2007; EED Tourism Watch März 2007 auf www.tourism-watch.de; Government should not allow Special Tourism Zones (STZ) in Kerala, Stellungnahme von Forum Kerala/Kabani-The other direction, Kerala vom 12.02.07, www.kabani.org; Campaign against Special Tourism Zones/ Why the government should reconsider tourism development through STZs and SEZs, EQUATIONS, Bangalore, February 2007/October 2006