Kinderschutz – ein Muss-Kriterium für Nachhaltigkeitslabels im Tourismus
Basel, 29.01.2013, akte/ 1,5 Millionen Minderjährige werden laut Schätzungen des UN-Kinderhilfswerks UNICEF jedes Jahr Opfer von sexueller Ausbeutung im Tourismus. Die Dunkelziffer dürfte noch einiges höher liegen. Nicht allein in weit entfernten Tourismusregionen werden Kinder sexuell ausgebeutet, sondern auch bei uns in europäischen Destinationen. Und die Täter stammen aus der ganzen Welt. Deshalb muss der Schutz der Kinder über Länder- und Unternehmensgrenzen hinaus mit wirksamen Massnahmen gewährleistet werden. "Nicht wegsehen" lautet die Devise: Für Reisende aus der Schweiz gibt es seit 2010 ein einfaches Verfahren, verdächtige Fälle zu melden, das derzeit auf weitere europäische Länder ausgeweitet wird. Gefordert sind aber in erster Linie die Tourismusanbieter – Reiseveranstalter, Beherbergungsbetriebe und Transportunternehmen –, die direkt mit der Reisekundschaft in Kontakt stehen. Sie müssen ihren Gästen klarmachen, dass sie sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen nicht zulassen und dies weltweit ein strafbares Vergehen ist. Mit dem "Tourism Child-Protection Code", dem Verhaltenskodex zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung im Tourismus, hat die Reisewirtschaft gemeinsam mit der weltweiten Kampagne zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung im Tourismus (ECPAT) und der UN-Welttourismusorganisation eine wegweisende Selbstverpflichtung für die Branche geschaffen. An die 1’000 Tourismusunternehmen aus über 30 Ländern haben den Kodex unterzeichnet. Der "Tourism Child-Protection Code" ist innerhalb von zehn Jahren zu einem globalen Standard im Tourismus geworden.
Mangelnde Berücksichtigung des Kinderschutzes in den meist verbreiteten Nachhaltigkeitszertifizierungen für Tourismusanbieter
Dass Kinderschutz zu den Grundanforderungen der Unternehmensverantwortung im Tourismus gehört und mit dem "Tourism Child-Protection Code" der Branche ein griffiges Instrument zur Verfügung steht, die Verantwortung wahrzunehmen, scheint bei den Zertifizierungsstellen, welche das freiwillige Engagement von Tourismusanbietern für Nachhaltigkeit ausweisen, noch nicht richtig angekommen zu sein. Das zeigt eine neue Studie der Arbeitsstelle Tourism Watch von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst. Sie untersucht die 20 Gütesiegel, die im Labelführer "Wegweiser durch den Labeldschungel" als empfehlenswert zusammengestellt wurden, sowie den "Rainforest Alliance’s Standard for Tourism Operations" und das "Sustainable Tourism Eco-Certification Program" (STEP). Von den 22 analysierten Labels berücksichtigen 15 bei den ihnen zugrunde liegenden Kriterien und Standards soziale Aspekte; sieben Labels basieren ausschliesslich auf Umweltkriterien. Doch nur gerade vier Gütesiegel erheben die Unterzeichnung des "Tourism Child-Protection Code" zum Muss-Kriterium für die Zertifizierung, nämlich "Fair Trade in Tourism South Africa" (FTTSA), "CSR Tourism" von TourCert, "Travelife" und "Certification for Sustainable Tourism" (CST) aus Costa Rica. Weitere acht Nachhaltigkeitslabels verweisen auf die Notwendigkeit des Kinderschutzes in der Unternehmenspolitik oder die Einhaltung nationaler Gesetze. Unklar bleiben die Anforderungen zum Kinderschutz bei "Rainforest Alliance", "STEP" und "Earth Check", da die Standards nicht im Detail öffentlich zugänglich sind, sowie bei "Green Globe", wo nicht klar ersichtlich wird, ob Kinderschutz Pflicht ist.
Alarmierende Inkohärenz beim Globalen Rat für Nachhaltigen Tourismus (GSTC)
Der "Global Sustainable Tourism Council" hat global gültige Nachhaltigkeitskriterien entwickelt, um die verschiedensten Standards und Anforderungen der Zertifizierungsverfahren für Nachhaltigkeit im Tourismus zu harmonisieren, damit Reisenden vertrauenswürdige Empfehlungen abgegeben werden können. In seinen Kriterien hebt GSTC explizit die Notwendigkeit der Einführung einer Kinderschutzpolicy hervor: "Eine Geschäftspolitik ist eingeführt, die sich gegen kommerzielle Ausbeutung, insbesondere von Kindern und Heranwachsenden, richtet, und die sexuelle Ausbeutung mit einschliesst." Derzeit hat GSTC 13 internationale Gütesiegel im Tourismus als seinen Kriterien genügend anerkannt, dies als erster Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen Akkreditierung des Labels. Darunter sind allerdings auch Labels, die gar keine Kriterien zum Kinderschutz beinhalten wie etwa "Ecotourism Australia".
Kinderschutz nicht länger als blosses Lippenbekenntnis der Branche
Die Studie von Tourism Watch kommt denn auch klar zum Schluss: Wirksame Massnahmen zum Schutz der Kinder – die Unterzeichnung des "Tourism Child-Protection Code" und die Einführung einer umfassenden Kinderschutzpolicy – sind als verpflichtende Vorgaben in die Zertifizierungssysteme aufzunehmen, welche die freiwillige Selbstverpflichtung von Tourismusanbietern für Nachhaltigkeit mit Labels ausweisen. Der "Tourism Child-Protection Code" muss in der Reisewirtschaft als grundlegendes und unverzichtbares Instrument der Unternehmensverantwortung breit bekannt gemacht und eingeführt werden. Die Träger von Zertifizierungssystemen für Nachhaltigkeit im Tourismus sind aufgefordert, wirksame Massnahmen zum Kinderschutz als Muss-Kriterien aufzunehmen.
Die Ergebnisse der Studie werden von Tourism Watch in die Monitoring-Arbeitsgruppe zum Nationalen Aktionsplan "Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt" beim Deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingegeben. Der Nationale Aktionsplan richtet einen deutlichen Fokus auf die Rolle der Privatwirtschaft, insbesondere des Tourismus, bei der Einhaltung des Kinderschutzes und der Kinderrechte. Das freiwillige Engagement der Reisewirtschaft ist regelmässig Gegenstand des Monitorings. Im Rahmen der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung soll nun verdeutlicht werden, dass Kinderschutz als Basisstandard für Nachhaltigkeitsbemühungen der Reisewirtschaft gilt, und diese Anforderung soll bei den Trägern der Nachhaltigkeitszertifizierungen im Tourismus eingebracht werden.
Annegret Zimmermann: Die Berücksichtigung des Kriteriums "Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Tourismus" bei ausgewählten Sozial- und Nachhaltigkeitslabels aus dem Tourismusbereich. Studie im Auftrag der Arbeitsstelle Tourism Watch von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, 2012
Download der Studie auf Deutsch und Englisch