Klimagerechtigkeit ist Frauensache
Im April-Plenum hat das Europäische Parlament mit grosser Mehrheit den Bericht "Frauen und Klimawandel" meiner französischen Grünen-Kollegin Nicole Kiil-Nielsen angenommen. In dem Bericht werden die Genderdimensionen des Klimawandels dargestellt und mit konkreten Forderungen sowohl an EU-Kommission und -Rat, aber auch an andere mit dem Klimawandel befasste internationale Organisationen verknüpft (1). Der Bericht warnt davor, dass der Klimawandel zusätzlich zu seinen katastrophalen Auswirkungen auch die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verschärft. Deshalb fordert das Europäische Parlament die EU-Kommission und den EU-Rat auf, den Genderaspekt in jede Phase der Klimapolitik einfliessen zu lassen und zu integrieren: von der Konzipierung über die Finanzierung bis hin zur Umsetzung und Bewertung.
Mittlerweile ist das Thema zwar auf höchster politischer Ebene angekommen, allerdings ohne die nötigen verbindlichen politischen Weisungen in der eher technokratisch geprägten internationalen Klimapolitik
Klischierte Frauenrollen und Traditionen
Primär sind es natürlich die Machtverhältnisse, die Frauen ökonomisch, rechtlich und politisch benachteiligen und sie damit weltweit verwundbarer für die negativen Folgen des Klimawandels machen.
Ein Beispiel: Bei Naturkatastrophen wie Überschwemmungen kommen Frauen bis zu viermal häufiger um als Männer. Schuld daran sind Gendertypisierungen und Traditionen. In vielen Gesellschaften dürfen Frauen beispielsweise das Haus ohne Begleitung eines männlichen Verwandten nicht verlassen. Oft tragen sie auch lange, sie am Laufen behindernde Gewänder oder haben Kleinkinder an der Hand. All das macht Frauen in Katastrophensituationen natürlich verletzlicher.
Und diese genderbedingte systematische Benachteiligung wiederholt sich in allen durch den Klimawandel bedingten Krisensituationen: Die aus dem Klimawandel resultierende Dürre und Wasserknappheit zwingt Frauen, noch mehr zu arbeiten, um für Wasser, Nahrung und Energie zu sorgen; dazu kommt, dass Mädchen und junge Frauen häufig nicht mehr zur Schule gehen, um den Müttern bei diesen Aufgaben zu helfen.
Sowohl Opfer wie auchTriebkraft
Der Kampf um knapper werdende Ressourcen wiederum erhöht die Gefahr von Bürgerkriegen und politischer Instabilität. Auch dann sind Frauen und Kinder die primär Leidtragenden. Nicht zufällig sind zwischen 75 und 80 Prozent der 27 Millionen Flüchtlinge weltweit Frauen und Kinder. Und nicht zuletzt breiten sich aufgrund des Klimawandels auch tropische Seuchen wie Malaria wieder häufiger und weiträumiger aus. Wo staatliche Gesundheitssysteme nicht existieren oder schlecht funktionieren, übernehmen dann meist Frauen die Pflege der Kranken.
Doch Frauen sind nicht nur überdurchschnittlich häufig Opfer, sie sind auch die erste Kraft im Kampf gegen den Klimawandel. Ihre traditionellen Verantwortlichkeiten und ihr Wissen geben ihnen wichtige Instrumente in die Hand, um die Initiative zu ergreifen und selbst den Wandel zu einer klimastabilen Zukunft einzuläuten.
Bekanntestes Beispiel ist die kenianische Greenbelt-Bewegung der Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai, die mit dieser Initiative Frauenkollektive ins Leben gerufen hat, die grossflächig kahle Berghänge und gerodete Gebiete im kenianischen Hochland wieder aufforsten – auch gegen den Widerstand von lokalen, regionalen und nationalen Machthabern, die nur an kurzfristige Gewinne und die eigenen Vorteile denken.
Mit dem "Frauen und Klimawandel"-Bericht bezieht das Europäische Parlament eindeutig Position, damit Frauen in der Klimadebatte gehört werden und Mitsprache erlangen. Die Rolle der Frauen als "agents of change" und ihre grössere Verwundbarkeit durch die Folgen des Klimawandels müssen durch ihre Stärkung und Einbindung auf allen Entscheidungsebenen und der Einfügung von Genderkriterien in Klimaabkommen endlich anderkannt werden.
(1) Der Bericht kann hier nachgelesen werden.
Ulrike Lunacek ist Europaabgeordnete und Aussenpolitiksprecherin der Grünen im Europaparlament. Sie ist Obfrau der Frauensolidarität.
Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift Frauensolidarität 2/2012. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Die Zeitschrift Frauensolidarität erscheint seit 1982 vierteljährlich. Sie informiert über Frauenrechte, Frauenbewegungen und Frauenkultur in den Ländern des Südens und reflektiert das Nord-Süd-Verhältnis aus feministischer Sicht.