Klimaschutz und die Malediven
Für den maledivischen Präsidenten Mohamed Nasheed liegt die Zukunft der Malediven definitiv auf den Malediven. Obwohl er kurz nach seinem Amtsantritt letzten November mit seiner Ankündigung, trockenes Land für seine Landsleute erwerben zu wollen, international Aufsehen erregt und Diskussionen um Kompensationen für die Leidtragenden der Klimaerwärmung ausgelöst hat, will er sich darauf konzentrieren, das Überleben an Ort zu sichern. „Mit einem Meter Wasserstandserhöhung können wir leben“, meint er. Er bezieht sich dabei auf die prognostizierte Erhöhung des Meeresspiegels bei erwarteten 2°C Temperaturzunahme und weist darauf hin, dass das Meer nicht sprunghaft ansteigen wird, sondern Zentimeter um Zentimeter über die nächsten Jahrzehnte, was den Korallen Zeit geben sollte, in ihrem Wachstum mit dem Wasseranstieg Schritt zu halten. Voraussetzung dafür ist, dass das Ökosystem der Riffe gesund bleibt und die Temperatur nicht um mehr als die erwarteten 2°C zunimmt. Dieses Szenario scheint sehr optimistisch, denn, wie man schon 1998 gesehen hat, setzt schon eine temporäre Erwärmung des Ozeans, damals durch die Meeresströmung El Niño verursacht, den Korallen stark zu, die sich erst jetzt, 10 Jahre später, langsam erholen. Darauf angesprochen, zuckt Nasheed mit den Schultern und lächelt. Klar, man muss ihm zustimmen: Was kann man schon anderes tun, als sich auf die optimistischsten Prognosen zu verlassen, wenn man sich nicht schon heute aufgeben will?
Um sich über Wasser zu halten, brauchen die Malediven 500 Millionen US-Dollar
Nasheed hat kürzlich vor der UNO-Vollversammlung in seiner Rede deutlich gemacht, dass die Welt endlich hinhören muss, wenn sein Land Jahr für Jahr, als ob es eine schlechte Gewohnheit wäre, wiederholt, dass die Inseln von der Überflutung bedroht sind. Er betonte dabei, dass die Malediven als Indikator dienten, wie es ums Klima bestellt ist. Andere Gebiete der Welt hätten bald genauso massive Probleme. Wir sind alle vom Klima abhängig. Realistischerweise will sich Nasheed zum gegebenen Zeitpunkt im Sinne einer für sein Land dringend nötigen Schadensbegrenzung für den Klimaschutz einsetzen und ist sich bewusst, dass auch flankierende Massnahmen zum Überleben nötig sein werden: neu gilt, dass bei der Landgewinnung (aus seichten Lagunen) auf mindestens 2m über Meer aufgeschüttet werden muss, doppelt so hoch wie bisher. Ausserdem soll in Zukunft auch auf Stelzen gebaut werden, damit Fluten und Stürme ohne grössere Schäden überstanden werden können. Um sich über Wasser zu halten, und dies im buchstäblichen Sinne, brauchen die Malediven 500 Millionen US-Dollar, sagt er. Von der internationalen Gemeinschaft verspricht sich Nasheed keine Hilfe. Er sieht, dass sie sich auf eigene Ressourcen stützen müssen. Dabei zählt er auf die Touristen. Sie seien durchaus gewillt, auch Umwelttaxen zu bezahlen. Touristen sorgten sich ehrlich um ihr kleines Paradies. Viele von ihnen kehrten regelmässig an den Ort ihres Traumurlaubs zurück.
Tourismus für den Klimaschutz?
Die Malediven wollen also, paradoxerweise vielleicht, mit ihrer als nicht sehr ökologisch bekannten Tourismuswirtschaft Klimaschutz betreiben. Vieles kann in der Tat mit relativ einfachen Massnahmen und moderner Technologie wirkungsvoll verbessert werden. Vom Tourismus, als einzigem bedeutendem Wirtschaftszweig, sind die Malediven umfassend abhängig. Man könnte gar sagen, dass die neu errungene Demokratie darauf angewiesen ist, dass die Touristen weiterhin scharenweise eintreffen. Denn das Vorgängerregime war in den letzten Jahren zwecks Machtsicherung allzu ausgabenfreudig und hinterliess ein grosses Loch in der Staatskasse, das jetzt, noch dazu in der Rezession, irgendwie gestopft werden muss. Nasheed kämpft trotz Geldmangel an vielen Fronten: in erster Linie für eine Konsolidierung der Demokratie, gegen die ererbte Korruption, für eine funktionierende Justiz, für eine Entlastung des Molochs Malé. Und dann erst für den Klimaschutz. Trotzdem wollen die Malediven bis 2020 CO2-neutral sein und haben dahingehend Pläne ausgearbeitet. Dies ist umso bemerkenswerter als auf den Malediven ein riesiger Aufholbedarf an ländlicher Entwicklung besteht.
Denn durch einen Strukturwandel ist auch der traditionell erste Wirtschaftszweig der Malediven, die Thunfischerei, in eine Krise geraten: die kleinen Fischerboote werden zunehmend durch modern ausgerüstete Schiffe ersetzt, deren Betriebskosten so hoch sind, dass es sich nur lohnt auszufahren, wenn Aussicht auf ergiebigen Fang besteht. Insgesamt sind aufgrund dessen die Fangkapazitäten und damit die Einnahmen aus der Fischerei geschrumpft. Um der Bevölkerung eine Teilnahme am Wirtschaftsleben und eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, ist in erster Linie ein Transportsystem nötig. Neben den Schwärmen von Wasserflugzeugen, die pausenlos Feriengäste an ihre Destinationen und wieder zurück zum Flughafen bringen, wirkt das Leben vieler Einheimischer anachronistisch: sie haben fast keinen Anteil an dieser Mobilität. Aus dem Blickwinkel des Energieverbrauchs existieren sie auch stationär kaum: während für jedes Touristenpaar Villen von 50 bis 80 m2 ohne Isolation auf teils absurde Temperaturen gekühlt werden, besitzen sie nicht mal einen Kühlschrank, leben oft noch ohne Strom.
Massnahmen für eine CO2-Bilanz, welche die Kompensation der Flüge ermöglicht
Endlich ist nun ein öffentliches Verkehrssystem mit regelmässigen Fährdiensten quer durchs Land im Entstehen. Die Malediven bestehen aus rund 1000 Inseln, von denen 200 mit total 350’000 Einwohnern bevölkert sind. Die Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf eine Insel: Malé, die Hauptstadt. Dort war bisher das einzige Zentrums, wo alle Fäden zusammenliefen, wo die Bevölkerung trotz äusserster räumlicher Enge von 70‘000 vor gut 10 Jahren auf nun 150‘000 gesprungen ist. Die Antwort der alten Diktatur auf dieses Problem und eines ihrer letzten grossen Projekte bestand darin, ein nobles Aussenquartier von Malé aus dem Meer zaubern zu lassen, statt den Einwohnern in Nord und Süd zu lebenswerten Bedingungen, Verkehrsverbindungen und Beschäftigungsmöglichkeiten zu verhelfen. Jetzt sollen Öffnungen entstehen, Möglichkeiten für die Bevölkerung, wo bisher nur Rechtlosigkeit, Abgeschiedenheit und bittere Armut herrschten
Während der Fremdenverkehr unter dem alten Regime, mit Ausnahme von Malé, völlig getrennt von der Lokalbevölkerung existierte, dürfen neu nun auch bewohnte Inseln Einrichtungen für Touristen anbieten. Wo früher angesichts der Geographie des Landes bei Einfuhren aus Indien in nördliche Atolle Fahrwege verdoppelt wurden, sollen im Rahmen der Dezentralisierung weitere Zollposten entstehen und auch so die wirtschaftlichen Möglichkeiten ausserhalb Malés gefördert werden. Die übers ganze Gebiet der Malediven verstreuten Hotelinseln sind auf Zulieferdienste angewiesen, nicht nur im Bereich der Lebensmittelversorgung, sondern insgesamt: kleine Handwerksbetriebe, Gärtnereien, Wäschereien, Entsalzungsanlagen zur Wasseraufbereitung, die Kehrichtentsorgung usw. müssen nicht zwingend in jedem Resort einzeln oder zentral über Malé abgewickelt werden, sondern könnten Inselbewohnern im eigenen Atoll verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. All dies klingt nach steigendem Energieverbrauch, der aber mit nachhaltigen Mitteln gedeckt werden soll: Wind und Sonne statt teurem Diesel, innovative technische Lösungen statt Verschwendung in den Resorts. Schliesslich wird man an Ort weiter kommen – ohne Umweg über Malé oder das Ausland und dies alles wird sich auf die CO2-Bilanz auswirken. Eine Bilanz, die so positiv sein muss, dass sie den Zertifikathandel zur Kompensation der touristischen Flugreisen mit den Zubringerländern zulassen muss.
Auf die Einsicht der Menschheit zählen – es bleibt nichts anderes übrig
Das Ziel, bis 2020 vorbildhaft CO2-neutral sein, zu erreichen, wäre den Maledivern – und uns – zu wünschen, denn das hiesse, dass dort auch in zehn Jahren noch demokratische Verhältnisse herrschen – und dass der Welt die Kostbarkeit dieser Inseln erhalten bliebe. Nasheed zählt auf die Einsicht der Menschheit. Denn, eben, was bleibt ihm, uns, anderes übrig? Es ist zu hoffen, dass sein Optimismus auch in Kopenhagen zu überzeugen vermag. Von Vorschriften und verordneten Einschränkungen verspricht er sich wenig und will sich dort dafür einsetzen, dass positive Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und ins Zentrum gerückt werden, die eine Gesundung des Klimas und langfristig ein menschenwürdiges Überleben auch an unmittelbar gefährdeten Orten sicherstellen. Auf die Frage, ob er eine Botschaft an die schweizerische Öffentlichkeit habe, antwortet Nasheed: „Wenn ihr die Malediven heute nicht retten könnt, könnt ihr morgen auch euch selbst nicht retten.“
Artikel basierend auf Gespräch mit Nasheed in Veligandu, 31. Juli 2009. Silvia Schnorf hat diesen Beitrag exklusiv für fairunterwegs geschrieben.
Bilder: www.maldivesonlineguide.com/the-maldives/maldives-history/; http://maeedsblog.blogspot.com/2009/09/summary-of-statement-made-by-mohamed.html; Thumbnail image of Mohamed Nasheed by Flickr user NiOS used under a creative commons license