
Kolping, der verkannte Sozialreformer
Auch damals stand er im Schatten. Am 6. Mai 1849 strömten Kölner Arbeiter zu einem Vortrag von Dr. Karl Marx, Chefredakteur der "Neuen Rheinischen Zeitung". Ein Jahr zuvor hatte dieser das "Manifest der Kommunistischen Partei" veröffentlicht. Am selben Abend gründete unweit des Menschenauflaufs der junge Priester Adolph Kolping einen Gesellenverein. Auch er wollte sich in diesen stürmischen Zeiten den Anliegen der seit der Industrialisierung vernachlässigten Arbeiter annehmen. Neben Kolping gehörten der Organisation zu Beginn gerade einmal sieben Personen an. Dem zum Trotz: In jener Frühlingsnacht legten der katholische Geistliche und die Handvoll Gesellen den Grundstein für einen Sozialverband, der heute in 60 Ländern tätig ist und rund 450’000 Mitglieder zählt.
Vom Schuhmacherlehrling zum katholischen Priester
Geboren wurde Kolping am 8. Dezember 1813 in Kerpen. Der Ort zwischen Köln und Aachen ist heute eher bekannt als Geburtsstätte der rasenden Gebrüder Schumacher. Auf die Rennfahrer Schumacher spielte der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck an einer Gedenkfeier im August 2013 an, als er meinte, er zolle dem „etwas langsameren berühmten Kerpener“ Kolping grösseren Respekt. Er würdigte den Geistlichen als "besonderen Mann, überzeugten Christen und grossen Deutschen".
Soziale Mobilität war nicht eben ein Merkmal des 19. Jahrhunderts. Umso erstaunlicher ist, dass es dem Spross einer Schäferfamilie gelang, Priester zu werden. Vorab freilich absolvierte Kolping eine standesgemässe Ausbildung und wurde Schuhmacher. Von 1829 bis 1832 bestritt er seinen Lebensunterhalt als wandernder Geselle. Zwischen 1832 und 1837 arbeitete er in Kölner Werkstätten. Stets erledigte er seine Aufgaben zufriedenstellend, doch sie erfüllten ihn nicht. Ihm schwebte Grösseres vor.
Fortbildung und sozialer Aufstieg
"Schätze sich jeder glücklich, der nie so etwas sah und hörte, der nie mit solchen Menschen in Berührung kommt!" Mit Blick auf Kolpings späteres Werk erstaunen diese Worte. Er hatte sie als junger Schumacher nach einer Zusammenkunft mit Seinesgleichen niedergeschrieben. Deren "Liederlichkeit und Versunkenheit" widerten ihn an. Gar von Menschenverachtung muss die Rede sein. Ein schmerzhafter Wandlungsprozess war notwendig, bis aus diesem Mann voller Ekel für das einfache Volk dessen grosser Förderer wurde.
Im Alter von 24 Jahren trat Kolping ins Gymnasium ein und holte 1841 das Abitur nach. Mit der finanziellen Unterstützung einer Gönnerin begann er daraufhin sein Studium der Theologie. Dem folgte am 13. April 1845 in Köln die Weihe zum Priester.
Als Kaplan und Religionslehrer in Wuppertal-Elberfeld wurde er im Juni 1847 Präses eines zuvor von Hauptlehrer Johann Gregor Breuer gegründeten Junggesellenvereins. Spätestens damit war der Wandlungsprozess vollzogen. Im April 1849 wechselte Kolping als Domvikar nach Köln. Hier rief er besagten, zu Beginn äusserst bescheidenen, Gesellenverein ins Leben.
Jubiläumsfeiern
Kolping Schweiz feiert den 200. Geburtstag des Gründers mit zwei Anlässen. Am Samstag, 21. September, erfolgte in Baldegg im Luzerner Seetal die Einsetzung einer Reliquie Adolph Kolpings. Dies geschah im Rahmen einer im benachbarten Hitzkirch stattfindenden Kontinentalversammlung.
Am Sonntag, 8. Dezember, findet zum Geburtstag Kolpings in Baldegg ein Festakt statt. Höhepunkt ist die Live-Übertragung des Festgottesdienstes aus Köln, der in die ganze Welt ausgestrahlt wird.
Förderer und Vielschreiber
Nur ein halbes Jahr nach Gründung zählte der Verein bereits 550 Mitglieder. Ihnen gab die rasch wachsende Organisation die Möglichkeit, ihren Bildungshunger zu stillen. Sie stellte Zeitungen zur Verfügung und organisierte Weiterbildungen. Darüber hinaus schuf der umtriebige Kolping eine Krankenkasse für Vereinsmitglieder sowie einen Pflegedienst für die einzelnen Viertel Kölns. Später kam eine Vereinssparkasse hinzu. 1852 gründete er Gesellenvereine in Wien, München, Prag und Berlin. Ein Jahr später folgte in Appenzell der erste Schweizer Ableger.
Doch damit war Kolpings Tatendrang noch lange nicht befriedigt. Auch als nimmermüder Herausgeber und Redaktor mehrerer Zeitungen machte er sich einen Namen – nicht überall einen guten. Denn die Obrigkeit betrachtete sein reichhaltiges publizistisches Werk mit Argwohn. Kolping liess sich nicht beirren, trotz behördlichen Schikanen. Allerdings waren die von ihm verfassten Artikel nicht sonderlich programmatisch. In erster Linie sollten sie seiner Meinung nach "oft unterhalten, immer belehren, weniger predigen, nie schimpfen".
5800 Kolpingfamilien weltweit
Sein Arbeitspensum war gewaltig, trotz wiederkehrender, hartnäckiger körperlicher Gebrechen. Am 4. Dezember 1865 forderten sie ihren Tribut. Nach langer schmerzhafter Krankheit starb Adolph Kolping, noch keine 53 Jahre alt. Im Oktober 1991 sprach ihn Papst Johannes Paul II. selig. Damit würdigte der Pontifex das vom Kölner Priester hinterlassene Lebenswerk: Eine Organisation, die auf allen Kontinenten tätig ist. Insgesamt gehören ihr 5800 Kolpingfamilien an, 80 davon in der Schweiz. Ganz nach den Prinzipien des Gründervaters fördert Kolping International durch Bildung und Aktionen die Entwicklung seiner Mitglieder im Alltag.
Im Zentrum der Organisation steht die gegenseitige Solidarität. Damit hat der stets selber zupackende Kolping einen Nachlass hinterlassen, der jenem des grossen Theoretikers Marx trotz einer völlig anderen Weltanschauung so fern gar nicht ist.