Wir sind Kreuzfahrtnation
«Schiff ahoi!» – das tönt so gar nicht nach Bergen und Banken, Feinmechanik und Milchschoggi. Dass wir eine Kreuzfahrtnation sein sollen, widerspricht unserem Selbstbild. Dabei unternehmen im Schnitt rund 150’000 in der Schweiz Wohnhafte eine Kreuzfahrt pro Jahr und geben rund 1’500 CHF aus, insgesamt 235 Millionen CHF. Tendenz: steigend.
Mehr Schiffe als Deutschland oder Grossbritannien
Grossbritanniens Kreuzfahrflotte besteht aus 27 Schiffen, die Deutschlands aus 31 (Stand Ende 2023). 42 Schiffe kontrollieren die fünf Kreuzfahrtunternehmen mit Schweiz-Bezug (Stand Mai 2024):
- MSC Cruises: 23 Schiffe
- Viking Ocean Cruises: 11 Schiffe
- Scenic Luxury Cruises & Tour: 5 Schiffe
- Explora Journeys: 2 Schiffe
- Iceland pro Cruises: 1 Schiffe
Mehr zu den einzelnen Unternehmen gibts weiter unten.
Kreuzfahrtnation Schweiz: Keine Ambitionen beim Klimaschutz
Die von der Schweiz aus gesteuerten Kreuzfahrtschiffe stossen enorme Mengen an CO2 aus. Allein die Schiffe von MSC Cruises emittieren rund 2 Mio. Tonnen CO2. Das sagt MSC Cruises selbst – die anderen Unternehmen machen keine Angaben. Dieser CO2-Ausstoss ist beträchtlich:
Und was unternimmt Europas Nummer 1 in Sachen Umwelt- und Klimaschutz beim Kreuzfahren? In der Maritimen Strategie 2023-2027 des Bundesrates kommt das Wort «Kreuzfahrt» gar nicht vor. Zum Klima- und Umweltschutz hält der Bundesrat fest: «Die Schweiz führt ihr Engagement in den Bereichen marine Biodiversität, Plastikverschmutzung und Klimaschutz weiter und verstärkt es gegebenenfalls. Zudem bestätigt der Bundesrat, dass sich die Schweiz im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) für ein Netto-Null-Klimaziel für die globale Seeschifffahrt bis 2050 einsetzt». Ambitionierte Ziele sehen anders aus.
Den ersten Platz für Klimaschutz zur See erhält Norwegen. Die deutsche Umweltorganisation NABU lobt die «ambitionierte und gleichzeitig klare politische Regulierung». «Dort wurde durch strenge Vorgaben ein Innovationsschub ausgelöst, der schon bald in klimaneutralen Kreuzfahrten resultieren könnte.» So erlaubt Norwegen nur noch emissionsfreie Kreuzfahrten in den Fjorden – ab 2026 (gemäss watson.de)! Von solchen Zielen ist die Schweiz selbst für den Bodensee, Genfersee, Thunersee & Co. seemeilenweit weg.
Schweizer Standards bei «Schweizer» Kreuzfahrtschiffen? Sicher nicht!
Für viele Philipin*innen, Inder*innen und andere Mitarbeitende aus dem globalen Süden mögen die Arbeitsbedingungen und die Löhne auf einem Kreuzfahrtschiff gut sein. Schweizer Mitarbeiter*innen hingegen können damit kaum Miete und Krankenkasse bezahlen. Das Geschäftsmodell der Kreuzfahrtindustrie beruht zu einem grossen Teil auf dieser Differenz. Sie ist ein Grund für die sagenhaft tiefen Preise einer Kreuzfahrt, etwa eine achttägige All-inclusive-Mittelmeerrundfahrt bei MSC Cruises für 663 CHF. Weitere Gründe sind minimalste Standards bei Wasser- und Umweltschutz, die erst noch umgangen werden können.
Die Kontrolle der Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards ist für den Binnenstaat Schweiz eine Herausforderung. Deshalb braucht es in der Schweiz eine rechtliche verankerte Konzernverantwortung, welche zum Beispiel Kreuzfahrtunternehmen dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Tochterunternehmen respektive Unternehmensbestandteile Menschrechts- und Umweltstandards einhalten. Die EU hat ein umfassendes Unternehmensverantwortungsgesetz ausgearbeitet, die Schweizer Stimmbevölkerung hat die Konzernverantwortungsinitiative angenommen – nur die Schweizer Regierung hängt der Kreuzfahrtnation Schweiz in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz das Schlusslicht an.
«Unsere» Kreuzfahrtunternehmen
Eine kurze Geschichte der fünf in der Schweiz ansässigen Kreuzfahrtunternehmen. Ansonsten konzentrieren wir uns in diesem Dossier auf die grossen Zwei.
MSC Cruises: die Grössten
Zuerst ein paar Zahlen, grosse Zahlen: MSC Cruises betreibt 23 Kreuzfahrtschiffe mit Platz für 100’000 Passagiere. Der Konzern ist mit einem Marktanteil von 10,2 Prozent die Nummer 4 im weltweiten Kreuzfahrtmarkt (2021 gemäss Statista). Im Jahr 2022 erzielte MSC Cruises einen Umsatz von rund 2,6 Milliarden Euro, davon 1,8 Milliarden Euro mit Kreuzfahrttickets (offiziell nicht bestätigte Zahlen, Quelle: MSC Cruises – Umsatz nach Segment bis 2022 | Statista). Die Besitzer, die Familie von Gianluigi Aponte, landet regelmässig auf den vordersten Plätzen der Bilanz-Liste mit den 300 Reichsten der Schweiz
Im Nabu-Ranking der klimafreundlichsten Reedereien fährt MSC Cruises auf Platz 4, beim Umweltrating der Friends of the Earth auf Platz 5. Nun gilt aber sowohl bei NABU wie bei Friends of the Earth, dass auch Platz 1 nicht wirklich genügt.
Volle Kraft voraus!
Gianluigi Aponte stieg 1987 ins Kreuzfahrtgeschäft ein. Um die neue Firmentochter rechtlich von der Frachtschifffahrt abzutrennen, erhielt sie den Namen „MSC Cruises“. Zuerst fuhr MSC Cruises mit gebrauchten Schiffen; 2003 lief der erste eigene Neubau vom Stapel. Dieses Schiff war für europäische Verhältnisse ungewöhnlich gross. Mit den Riesenkreuzern kopierte Aponte das Geschäftsmodell der amerikanischen Marktführer. Alle in den letzten 15 Jahren gebauten Schiffe sind über 300 m lang und können mindestens 4.300 Passagiere aufnehmen. Die grössten Schiffe sind für für 6’700 Passagiere und 2’100 Beschäftigte ausgelegt. Um so einen Giganten durch das Meer zu steuern, sowie Hotellerie, Gastronomie und Entertainment an Bord mit Strom zu versorgen, muss der Energiebedarf einer mittelgrossen Stadt produziert werden.
Entsprechend hoch sind die Emissionen, die von diesen Schiffen ausgehen. Mit Ausnahme der beiden neuesten Schiffe werden noch alle Schiffe der MSC Flotte mit Schweröl betrieben. Das Alter der Flotte ist ein Grund, weshalb «MSC-Kreuzfahrten etwa 25 % weniger als eine durchschnittliche Kreuzfahrt» kosten, wie Sophia Crestwood vom Kreuzfahrtkumpel schreibt.
Viking: Reiner Luxus – verunreinigtes Klima
Der Norweger Torstein Hagen hat Viking 1997 mit vier Flusskreuzfahrtschiffen gegründet. Heute umfasst die Flotte 92 Fluss- und Hochseeschiffe. Die derzeit elf Hochseeschiffe sind fast alle gleich gross, für knapp 500 Passagiere ausgelegt und gehören zur Luxusklasse. Zwar liegt Viking weit hinter MSC Cruises, ist aber immer noch doppelt so gross wie die deutsche Traditionsreederei Hapag Lloyd Kreuzfahrten.
So gutschweizerisch wie eine Rösti ist Viking nicht: Torstein Hagen wohnt, zumindest finanztechnisch, in Luzern. Viking Cruises operiert gemäss Wikipedia von Basel aus, doch der Sitz der Holding (Hochsee- und Flusskreuzfahrten) befindet sich auf Bermuda und die Hochseekreuzfahrtschiffe fahren unter norwegischer Flagge.
Torstein Hagen hat angekündigt auf Wasserstoff-Brennstoffzellen und nicht auf den klimaschädigenden Flüssiggasantrieb zu setzen. Dennoch landet Viking im NABU-Klimarating auf dem letzten Platz, da sie keine Auskunft gegeben haben. Und beim Rating von Friends of the Earth erhalten sie die schlechteste Note «F». Reisende und Reisejournalist*innen hingegen erteilen Viking Bestnoten.
11 Milliarden US Dollar Marktkapitalisierung
Torstein Hagen verrät sein Erfolgsrezept gerne, etwa Forbes (DIE WIKINGER SAGA – Forbes): «Das Geheimnis liegt darin, was seine Schiffe nicht haben: Es gibt keine Casinos, keine Kinder, keine Schirmchengetränke, keine formellen Abendfeierlichkeiten, keine Wasserrutschen und absolut keine Butler.» Dafür sitzt man unter einem Original Edvard Munch und hört Live-Klassik. Und bezahlt 79’995 US Dollar für ein 180-tägige Reise durch 37 Länder.
Weniger eindrücklich sind die Klimamassnahmen von Viking: Die Schiffe werden alle mit Schweröl oder je nach lokalen Vorschriften mit Marinediesel betrieben, schreibt der Kreuzfahrtexperte Wolfgang Meyer-Hentrich. Viking gibt an, dass sie die Anforderungen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) klar übertreffen.
Viking Ocean Cruises ist neben Viking Expedition und Viking River Cruises Teil der Viking Holdings LTD, die 2023 einen Gesamtumsatz (Fluss-und Hochseeschiffe) von 4,7 Mrd. US Dollar erreichte und mehr als 10’000 Mitarbeitende in über 90 Ländern beschäftigt. Seit dem 1. Mai 2024 wird Viking an der New Yorker Börse gehandelt und hat eine Marktkapitalisierung von über 11 Mrd. US Dollar. Hagens Anteile sind nach dem Börsengang mehr als 5 Milliarden US Dollar wert. Die an der Börse erwirtschafteten 264 Millionen US Dollar wird Viking auch dazu verwenden die Expansion im chinesischen Markt voranzutreiben, wo Viking seit 2021 mit einem Schiff unterwegs ist.
Links: Wem gehört Viking Cruises?
Scenic Luxury Cruises & Tours: Kreuzfahrt-Jacht
Scenic Luxury Cruises & Tours setzt ingesamt vier Schiffe ein, welche unter den Marken «Emerald Cruises» und «Scenic» betrieben werden – sie stellen eine Symbiose zwischen Luxusjacht und Kreuzfahrtschiff dar – mit Suiten für 36 bis 100 Passagiere, die den Reisenden das Gefühl vermitteln sollen, auf einer Privatjacht zu sein.
Von Australien nach Zug
Aus der australischen «Scenic Group», die 1986 in Australien gegründet wurde, sind Emerald Cruises und Scenic hervorgegangen. Das Firmenkonsortium befindet sich in Privatbesitz und gehört dem australischen Geschäftsmann Glen Moroney. In Europa begann Emerald 2008 mit zahlreichen Flusskreuzfahrtschiffen, die sich rasch als sehr einträglich erwiesen. Der Firmensitz befindet sich seit 2013 in Zug, Glen Moroneys Wohnsitz in Engelberg OW.
Explora Journeys: die Luxus-Tochter von MSC Cruises
Explora Journeys ist eine 100-prozentige Tochter von MSC Cruises. Explora soll eine «neue Ära der Luxusreisen» einläuten. Bisher sind zwei Expeditionsschiffe für 1’000 Gäste mit 1’000 Quadratmeter Wellness- und Fitnesseinrichtungen unterwegs. Vier weitere Schiffe sollen bis 2028 folgen.
Iceland ProCruises: altes Schiff – modische Versprechen
Iceland ProCruises verfügt über ein Expeditionsschiff, das vor Island und Grönland operiert. Dieses Schiff durchkreuzt seit 1990 die Meere, trotzdem will Iceland ProCruises «nachhaltiges und umweltfreundliches Reisen» anbieten.
Von Zug nach Island
Beim Schiff handelt es sich um die ehemalige „Bremen“ des deutschen Anbieters Hapag Lloyd. Sie war bei vielen Kreuzfahrtenthusiasten alten Schlags ausserordentlich beliebt. Doch Hapag Lloyd hat sich von diesem Schiff, das 1990 in Dienst gestellt wurde, 2020 aufgrund seiner veralteten Maschinen getrennt. Es passte nicht mehr, wenn die Bremen in einer Kulisse von schneeweissen Eisbergen Schwaden von schwarzen Russwolken auspustet, wie der Kreuzfahrtkritiker Wolfgang Meyer-Hentricht schreibt. Eigentlich sollte das Schiff verschrottet werden, landete dann aber nach mehreren Besitzerwechseln bei der «Iceland ProCruises» und heisst jetzt Seaventure. Der Firmensitz von Iceland ProCruises ist in Zug.
Obwohl die Seaventure nicht gerade über eine fortschrittliche Antriebstechnologie verfügt, schreibt «Iceland ProCruises» auf der Website, dass sie «nachhaltiges und umweltfreundliches Reisen» anbietet. So legt man «besonderen Wert darauf, wenige Einwegprodukte zu verwenden. Neben der Verwendung von biologisch abbaubaren Reinigungsprodukten, sind auch Massnahmen zum Wasserschutz selbstverständlich für Iceland ProCruises.» In Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz gibt es bei Iceland ProCruises noch (Ab-)Luft nach oben.
Autor: Wolfgang Meyer-Hentrich
Wolfgang Meyer-Hentrich ist 1949 in Leverkusen geboren. Er ist Historiker, Soziologe und Politikwissenschaftler. Zurzeit arbeitet er als Publizist und Autor in Köln. Er leistete die initialen Recherchen zu diesem fairunterwegs-Dossier «Kreuzfahrtnation Schweiz». Einst begeisterter Passagier kritisiert er heute als Kreuzfahrtexperte in regelmässigen Medienauftritten die Auswüchse des Kreuzfahrttourismus. 2019 publiziert er das Buch «Wahnsinn Kreuzfahrt» im Berliner Ch. Links Verlag.
Autor: Jon Andrea Florin
Jon Andrea Florin leitet seit Ende 2019 fairunterwegs. Er studierte Soziologie, Betriebswirtschaftslehre und Tourismusökonomie (CAS), arbeitete als Journalist, Texter, strategischer Planer und Fundraiser unter anderem bei claro fair trade, bei diversen Werbeagenturen und bei Swissaid. Und er gründete die erste Suppenbar der Schweiz.
Während er lieber nicht mit 5’000 andern Menschen auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs sein möchte, mag er Hafenstädte wie Neapel, Lissabon oder Cartagena.