Arbeitsbedingungen
Egal was euch zustösst, macht weiter
Schweizer Reedereien beschäftigen auf ihren Hochseeschiffen schätzungsweise 35’000 Personen. Doch diese unterstehen nur in den seltensten Fällen dem Schweizer Arbeitsrecht.
Arbeiten auf dem Traumschiff: hart und gesundheitsschädigend
Dieser Appell an den Durchhaltewillen klingt mehr nach Schlachtfeld als nach Erholungsurlaub. Jedoch handelt es sich um einen anonymen Bericht eines Crew-Mitglieds auf Kreuzfahrt. Gleich im ersten Abschnitt des Textes steht dann auch: «Der Arbeitsplan auf Papier ist das eine; die Praxis aber das andere.» Der Arbeitsalltag auf Kreuzfahrtschiffen ist hart und häufig ungerecht. Hinweise, dass sich die Bedingungen auf Schweizer Kreuzfahrtschiffen wesentlich von jenen anderer Reedereien unterscheiden, gibt es nach fairunterwegs-Recherchen keine.
Der Jurist Mark Pieth und die Advokatin Kathrin Betz, die zusammen das Buch «Seefahrtsnation Schweiz» veröffentlicht haben, finden: «Nach unserer Erfahrung sind Seeleute durchaus daran interessiert, während ihrer Zeit an Bord viel zu arbeiten. Das Leben auf See unterscheidet sich stark vom Leben an Land. Die Möglichkeiten für ein Freizeit- und Familienleben sind sehr beschränkt. Aber es gibt eine Grenze, wann es zu viel wird, und natürlich wollen sie, dass ihre Arbeitszeit korrekt erfasst und bezahlt wird. Je nachdem, welche Funktion sie an Bord ausüben, verdienen Seeleute aus Schweizer Sicht wenig. Oft verdienen sie nur während der Zeit, während der sie zur See fahren, aber nicht während dem Landurlaub. Spätestens nach elf Monaten muss man weg vom Schiff. Das schreibt das internationale Seerecht vor.»
Studien zeigen, dass der hohe Arbeitsdruck und die fehlende Möglichkeit, sich von der Arbeit und dem Arbeitsort zu distanzieren, die Gesundheit der Crewmitglieder gefährdet. «Die Reedereien sehen es als Vorteil an, dass die Arbeitnehmenden Kost und Logie am Arbeitsplatz haben», sagt Piet Dörflinger von der internationalen Seefahrer*innen-Gewerkschaft Nautilus in Basel, «jedoch sind die Gemeinschaftskojen der Arbeitnehmenden häufig sehr eng und auch sehr laut, da sie sich in der Nähe des Triebwerks und meistens unter dem Wasserspiegel befinden.» Ein Kreuzfahrtschiff ist ein sonderbarer Arbeitsort, der seine Eigenheiten birgt. Beispielsweise sind die Arbeitnehmenden laut einer amerikanischen Studie auf Deck von Kreuzfahrtschiffen Feinstaubbelastungen ausgesetzt, welche dem Niveau der Städte Bejing und Santiago entsprechen.
Anonyme Berichte – loyale Arbeitende
Wer sich über die Arbeitsbedingungen an Bord der Schiffe von Schweizer Reedereien informieren möchte, läuft auf ein grundsätzliches Problem auf: Obwohl sehr schnell anonyme Berichte von Crewmitgliedern zu finden sind, die geprägt von Überstunden, Isolation, Abhängigkeiten, Lohnungerechtigkeit, psychischen Belastungen und starren hierarchischen Strukturen sind, bleibt die Szene verschwiegen, wenn es um konkrete Namensnennungen geht. Ganz im Gegenteil: Häufig zeigt sie sich loyal gegenüber ihren Arbeitgeber*innen. Das entspricht auch den Erfahrungen von Nautilus. Obwohl sich Betroffene an sie richten würden und meist auch Beweismaterial vorzuweisen hätten, verzichten die Opfer häufig auf Anklage.
fairunterwegs hatte Kontakt zu einem Crew-Mitglied von Viking, einem Kreuzfahrtunternehmen aus Basel. Nach einer ersten Einwilligung folgte dann die Absage. Sie fühle sich unwohl, über die Arbeitsverhältnisse zu berichten. Darüberhinaus, fügte das Crew-Mitglied aus dem Hospitality-Sektor noch an, «sie selbst sei von Viking immer korrekt behandelt worden».
Fabrizio Barcellona von der grossen International Transport Wokers Foderation (ITF), dem internationalen Gewerkschaftsbund der Seefahrtfachleute, schreibt dazu, es gäbe durchaus ein Gefühl von Stolz für die eine oder andere Reederei zu arbeiten. Nach den Erfahrungen von Nautilus haben die Crewmitglieder eher Angst, den Job zu verlieren. «Die Menschen sind auf den Job angewiesen», so Dörflinger
Arztlöhne oder Lohndumping?
«Wenn sie für 72 Stunden Wochenarbeitszeit auf einem Flusskreuzer 1500 Euro pro Monat bekommen, verdienen die Menschen immer noch mehr, als sie dies in der Heimat tun würden», fügt Nautilus-Nationalalsekretär Holger Schatz an. Das ist klassisches Lohndumping: «Deshalb gibt es in diesem Sektor auch keine Jobs mehr für Leute aus der Schweiz, weil man sich damit nicht einmal Krankenkasse und Miete leisten kann», sagt Dörflinger.
Auf der Hochseekreuzfahrt stammt ein Grossteil der Hospitality-Crew aus Indien und Indonesien und aus den Philippinen. Laut dem Kreuzfahrtexperten Wolfgang Meyer-Hentrich, der für dieses fairunterwegs-Dossier recherchiert hat, verdient man im Hospitality-Bereich durchschnittlich zwischen 600 und 900 Euro monatlich – das entspricht auf den Philippinen ungefähr dem Gehalt von Ärzt*innen. Deshalb können die philippinischen Angestellten auf Kreuzfahrtschiffen häufig das Einkommen ganzer Familien stemmen. Schätzungen zufolge sind rund ein Drittel der weltweit beschäftigten Crew-Mitglieder Filipinos. Das philippinische Personal von MSC unterhält eine Facebook-Gruppe, die aus aktuellen und ehemaligen Angestellten besteht. Die Gruppe hat über 3500 Mitglieder.
Das ist kein Zufall. Einerseits hat dies mit einer Lohngestaltung zu tun, welche das internationale Lohngefälle ausnutzt, und andererseits bestehen kulturelle Stereotype: «Menschen aus dem asiatischen Raum werden nach unserer Erfahrung durchschnittlich eher als duld- und folgsam am Arbeitsplatz wahrgenommen, auch suchen sie viel weniger den Kontakt zu den Gewerkschaften», erklärt Schatz. Rekrutiert wird das philippinische Personal im Heimatland selbst.
Viele Philippin*innen durchlaufen extra eine Ausbildung, um auf einem Traumeinkommensschiff zu landen. Diese Ausbildung müssen sie selbst finanzieren. Doch überfordern sie deren Preise oftmals; häufig muss innerhalb der Familie Geld dafür geliehen werden. Denn die Gebühren entsprechen je nach Ausbildung etwa dem Jahresgehalt von Handwerker*innen oder Menschen, die im Landwirtschaft arbeiten. Das schafft wiederum Abhängigkeit des Personals gegenüber ihren Stellen. (Arbeit auf dem Kreuzfahrtschiff: Unter Deck | ZEITmagazin)
Dabei gibt es Mindeststandards
Die Martime Labour Convention regelte 2006 den faktisch nicht-regulierten Arbeitsmarkt für Seefahrtsleute
Die Branchenregelung «Maritime Labour Convention» wurde 2006 durch die «International Labour Organisation» – eine Sonderorganisation der UN – in Zusammenarbeit mit der grossen internationalen Seefachleuten-Gewerkschaft International Transport Workers› Federation (ITF) ins Leben gerufen. 93 Länder (Stand 2019), darunter auch die Schweiz haben das Abkommen unterzeichnet.
Die Maritime Labour Convention (MLC) setzte Standards zum Schutz der Arbeitnehmenden im bis dahin praktisch deregulierten internationalen Arbeitssektor der Seefahrtfachleute fest. Diese sind allerdings ziemlich elastisch: So gelten unter normalen Bedingungen zwar 8-Stunden-Tage, in Ausnahmefällen gehen jedoch auch maximal 14 Stunden pro Tag. Auf die Woche summiert dürften Angestellte nicht mehr als 72 Stunden beschäftigt werden.
Diverse Berichte von Crew-Mitgliedern (LINK: Die Zeit – Unter Deck) zeugen aber davon, dass die Umsetzungen dieser Regeln gewisser Willkür unterliegt. Das hat drei Gründe: Erstens gibt es in gewissen Herkunftsländern von Arbeitnehmenden nur schwache Gewerkschaften.
Zweitens beruhen die Anstellungsverhältnissen oft auf internationalen Auftragsketten. Pieth sagt dazu: «Viele Mitarbeitende eines Kreuzfahrtunternehmens werden über Rekrutierungsfirmen im Ausland angestellt, nach dort geltendem Recht. Man müsste zum Beispiel nach Zypern gehen, um zu klagen. Diese extrem globalisierte Industrie macht es den Arbeitnehmenden recht schwierig, ihre Rechte einzuklagen».
Und drittens herrschen je nach Flagge und Standort der Schiffe verschiedene Rechtszuständigkeiten an Bord. Welche Gesetze auf einem Kreuzfahrtschiff gelten, hängt also nicht davon ab, wo sich der Geschäftssitz einer Reederei befindet, sondern unter welcher Flagge das Schiff in See sticht und wo es sich gerade aufhält. Unter Schweizer Flagge fährt kein Kreuzfahrtschiff.
Die Flagge gibt das Gesetz vor
Die sogenannte Einflaggung steht im Zentrum der meisten rechtlichen Fragen, welche während des Betriebs der Kreuzfahrtschiffe aufkommen. Der Flaggenstaat trägt das Schiff ins Register ein und ist verpflichtet, das Schiff bei der Registrierung auf Technik und Sicherheit zu überprüfen. Darüber hinaus gilt der Flaggenstaat als Gerichtsstandort bei Vorfällen auf internationalen Gewässern.
Was das in der Praxis bedeutet, zeigt ein strafrechtlicher Zwischenfall auf einem MSC-Kreuzer aus dem Jahre 2019.
2019 wird auf dem Kreuzer MSC Divina eine britische Passagierin vor der Küste Spaniens mutmasslich sexuell belästigt. Obwohl der italienische Verdächtige in Valencia festgenommen wird, muss er kurz darauf wieder entlassen werden. Da die mutmassliche Tat auf internationalen Gewässern stattfand, gilt als Gerichtsstand Panama, wo die MSC Divina zu diesem Zeitpunkt eingeflaggt war. Und laut New York Times Report of Sexual Assault on Cruise Ship Shows Gaps in International Law – The New York Times (nytimes.com) habe Panama nicht die Ressourcen, um Verbrechen abseits der eigenen Küsten nachzugehen. Der Vorfall kam schliesslich nie vor Gericht.
Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, auf hoher See seine Rechte wahrzunehmen.
Fabrizio Barcellona von der International Transport Wokers Foderation (ITF) schreibt, dass nicht alle Flaggenstaaten ausgerüstet seien, um Arbeitsverträge en détail zu verstehen, da diese eine Privatsache zwischen den Firmen und Seefahrtfachleuten darstelle. Das bedeutet: Es obliegt den Seefahrtfachleuten selbst, Unregelmässigkeiten zu melden. Erst dann könnten die Flaggenstaaten reagieren. Wenn sie überhaupt die Ressourcen dazu aufbringen können oder wollen. Denn manche Staaten gehen mit ihren Flaggenstaatenpflichten lasch um, damit sie attraktiv für Reedereien werden. So gibt es in der Branche die Unterscheidung zwischen Qualitätsflaggen und Billigflaggen. Zu letzteren gehören etwa Liberia oder Panama. Zum Verfassungszeitpunkt dieses Berichts ist ungefähr die Hälfte der MSC-Cruise-Flotte in Panama eingeflaggt.
Drei Kontrollinstanzen, doch wenig Kontrolle
Es gibt verschiedene Arten der Kontrollen wie Pieth und Betz fairunterwegs erklären:
«Die umfassendste Kontrolle ist die Port-States-Control. Die schauen alle Aspekte an: das Schifff, die Umwelt, Arbeitsfragen. Sie können ein Schiff arrestieren, im europäischen basierend auf dem Paris Memorandum of Understanding. Die Hafenstaatkontrolle überprüft rund 15 Prozent der Schiffe, die einlaufen. Das ist die schärfste Kontrolle.» Mangels Hochseehäfen entfällt das für die Schweiz.
«Die Behörden der Flaggenstaaten hätten ebenfalls die Möglichkeit – und die Pflicht –, ein Schiff zu kontrollieren. Bei den Billigflaggenstaaten haben wir Zweifel, ob die Kontrollen immer seriös durchgeführt werden. Wir haben einen panamesischen Kontrolleur erlebt, der einfach an Bord ging und das Mittagessen einnahm». Daher setzen sich die Gewerkschaften dafür ein, die Billigflaggenpraxis zu erschweren und die Schiffe zum Beispiel in der Schweiz einzuflaggen. Wobei sich Betz und Pieth fragen: «Hätten die Schweizer Behörden die notwendigen Kapazitäten, um die Einhaltung der Schweizer Gesetze zu kontrollieren, wenn viele Schiffe, unter Schweizer Flagge fahren würden?»
«Eine weitere Kontrolle machen die Gewerkschaften», führen Betz und Pieth weiter aus. «Im Rahmen von Gewerkschaftsverträgenkönnen sie unangemeldet an Bord gehen. Sie müssen nur ihren Ausweis zeigen.» Das stimme in der Theorie, findet Schatz von Nautilus: Internationale Gewerkschaften haben an vielen Häfen der Welt Zugang. Jedoch gäbe es nur sehr wenige Inspektor*innen. «Bei den Schiffen unter Billigflaggen kommt hinzu, dass die rechtliche Umsetzung teilweise unklar und schwierig ist», so Schatz. Auf nationaler Ebene haben es die Gewerkschaften ohnehin schwer, Kontrollen durchzuführen, denn sie können jeweils nur auf die Schiffe, welche mit der entsprechenden Flagge in See stechen. Im Falle der Schweiz und der Hochsee also nicht ein einziges Kreuzfahrtschiff.
Arbeitsrechtlich kommt erschwerend hinzu, dass ohne sozialpartnerschaftliche Abmachungen zwischen Reederei und Gewerkschaften kaum wirkungsvolle Kontrollen durchführbar sind. Denn punktuelle Kontrollen sind kaum aussagekräftig. «Man muss auf einem Schiff 6 Monate anwesend sein, um mit Gewissheit sagen zu können, dass alles sauber läuft», sagt Schatz. «Auf Flusskreuzfahrten konnten wir in der letzten Zeit einige Anbieter für den sozialpartnerschaftlichen Weg gewinnen», erklärt der Nationalsekretär von Nautilus, «da haben wir Einsicht in die Verträge, die Stundenabrechnungen und den Gehaltsabrechnungen.» Transparenz und Öffentlichkeit scheint der einzige Weg zu sein, um Arbeitsrechte durchzusetzen.
Autor: Matteo Baldi
Matteo Emilio Baldi hat Journalismus in Winterthur studiert. Seine journalistischen Texte wurden bei der WOZ, Watson, der ehemaligen TagesWoche und der Aargauer Zeitung publiziert. Ausserdem schreibt er Prosa und Bühnentexte und übersetzte zuletzt ein Hörspiel des SRF vom Italienischen ins Deutsche. Bei fairunterwegs ist er Junior Content Manager und kümmert um die Inhalte des fairunterwegs-Magazin.
Autor: Jon Andrea Florin
Jon Andrea Florin leitet seit Ende 2019 fairunterwegs. Er studierte Soziologie, Betriebswirtschaftslehre, und Tourismusökonomie, arbeitete als Journalist, Texter, strategischer Planer und Fundraiser unter anderem bei claro fair trade, bei diversen Werbeagenturen und bei Swissaid. Und er gründete die erste Suppenbar der Schweiz.
Während er lieber nicht mit 5’000 andern Menschen auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs sein möchte, mag er Hafenstädte wie Neapel, Lissabon oder Cartagena.