In der Schweizer Kreuzfahrtindustrie wird kräftig grün gewaschen. Besonders kreativ ist der Branchenprimus MSC Cruises. Doch die Schweizer Gesetze gegen Greenwashing sind weichgespült.

«Wir erleben einen Umbruch in der Klimadebatte. Die Verursacher leugnen nicht mehr, dass ein Problem besteht. Das neue Problem ist, dass wir in der Forschung nachweisen können, dass die Klimaprobleme durch Technologie nicht schnell genug lösbar sind. Eben weil die technische Umstellung auf physikalische Grenzen stösst bzw. die Technologien, die uns helfen sollen, nachhaltig zu fliegen, oder auch mit Schiffen nachhaltig unterwegs zu sein, noch gar nicht existieren und es auch fragwürdig ist, ob sie jemals exisitieren werden. Als Reaktion erleben wir, dass ein massives Greenwashing stattfindet, bei dem alles Mögliche behauptet wird. Das soll dem Kunden suggerieren: «Wir haben das im Griff, wir werden alles tun, damit die Probleme gelöst werden können.» Die Statistik zeigt aber, dass Emissionen weiter steigen. Das sind schon recht dreiste Lügen, die da zum Teil verbreitet werden, das muss man auch so mal auf den Punkt bringen…»

Stefan Gössling, Professor für nachhaltigen Tourismus und nachhaltige Mobilität, Universität Lund in Schweden 

Laut der NGO Opportunity Green, zeigen Daten, dass die Verbraucher*innen zunehmend auf die Nachhaltigkeitsinitiativen der Kreuzfahrtunternehmen aufmerksam werden und dass diese Initiativen auch für Kund*innen von Bedeutung sind. Wenn das Marketing von Kreuzfahrtunternehmen die Verbraucher*innen glauben lässt, dass Kreuzfahrtunternehmen mehr für den Klima- und Umweltschutz tun, als sie tatsächlich tun, kann dies wirksame Massnahmen verhindern oder verzögern.

Greenwashing bei MSC

«Da wir ein Familienunternehmen sind, können wir auf lange Sicht investieren, um den Planeten und seine Ozeane für künftige Generationen zu bewahren. Wir stellen sicher, dass wir die Ozeane mit äusserster Sorgfalt befahren, und respektieren dabei die Küstengemeinden, die wir besuchen.»
Kampagnenzitat von MSC Cruises

Als Beispiel für ihr Engagement führt MSC Cruises «die Einführung des saubersten verfügbaren Schiffskraftstoffs auf ihren neuesten Schiffen, den Einbau von leiseren Propellern und die Senkung vom Wasserverbrauch mit der modernsten Technologie zur Reinigung von Meerwasser».

2024 hat MSC-Kreuzfahrten ihre globale Marketingkampagne «For a greater beauty» lanciert : «Schönheit ist das, was uns bewegt. Sie ist die Kraft, die uns zu einer nachhaltigeren Zukunft antreibt». Die Werbung wird in mehr als 30 Ländern verbreitet.

Was drei Expert*innen von dem Nachhaltigkeits-Engagement von MSC halten

Vera Thaler, fairunterwegs: Was ist von solchen Werbestrategien zu halten, wie glaubwürdig sind sie und welchen Schaden können sie anrichten?  

Constance Dijkstra, Shipping Campaigner mit Schwerpunkt LNG & Biofuels bei der NGO Transport & Environment: MSC Cruises wirbt gerne mit den Vorteilen von LNG (geringere Schwefel- und Stickoxidemissionen) und neigt dazu, die Klimavorteile aufzublähen, indem sie die Verringerung der CO2-Emissionen um 20-25 % hervorhebt, während sie die Auswirkungen der Methanemissionen (die aufgrund der Motorenkonfiguration direkt in die Luft gelangen) unter den Teppich kehrt und jegliche Klimavorteile zunichte macht. Besonders problematisch ist dies bei Kreuzfahrtschiffen, da diese Schiffe mit dem Motorentyp betrieben werden, der am meisten Methan in die Atmosphäre entweichen lässt.

VT: Wird nur das Marketing immer grüngefärbter, oder entwickelt sich die Industrie tatsächlich positiv?  

Nikolas von Wysiecki, stellv. Teamleiter für Verkehrspolitik bei NABU: Wie in unseren Begleittexten zum Kreuzfahrtranking ersichtlich, gibt es schon gute Projekte im Kreuzfahrtsektor, allerdings gehört MSC bei Weitem nicht zu den Vorreitern. Es ist also davon auszugehen, dass beides gleichzeitig zutrifft: Positive Entwicklung sind vereinzelt zu beobachten, aber der Umweltaspekt wird für Gäste immer wichtiger, sodass gleichzeitig auch das Marketing der Reedereien immer grüngefärbter wird.

VT: Im Jahr 2023 kündigten die MSC-Stiftung und die International Union for Conservation of Nature (IUCN) eine Partnerschaft zum Schutz und zur Wiederherstellung gefährdeter Korallenriffe an. Sind solche Kooperationen sinnvoll oder nur eine weitere Form des Greenwashings?  

CD: Ich denke, das hängt davon ab, in welchem Umfang sie für diese Art von Partnerschaft werben. An Bord des Kreuzfahrtschiffs MSC World Europa gibt es zum Beispiel einen MSC Foundation Shop, der für die Bemühungen der Organisation zum Schutz der Korallenriffe wirbt. Es ist etwas seltsam, an Bord eines grossen Kreuzfahrtschiffes, das eine erhebliche Menge an Treibhausgasemissionen, einschliesslich Methan, ausstösst, für die Bemühungen der Stiftung zum Schutz der Korallenriffe zu werben, die durch die Erwärmung der Ozeane infolge des Klimawandels beeinträchtigt werden.
Einige Elemente sind es jedoch wert. So hat MSC (auf Konzernebene) nach Gesprächen mit mehreren Nichtregierungsorganisationen beschlossen, seine Schiffe umzuleiten, um Kollisionen mit Walen in Griechenland zu vermeiden, und das ist zum Beispiel eine gute Sache.

Stefan Gössling: Das ist eine Form des Greenwashing. Die Forschung zeigt sehr eindeutig, dass viele Korallenriffe sterben werden, wenn sich die Weltmeere weiterhin so schnell erwärmen. Man kann diese Riffe nicht «wiederherstellen», das ist eine naive Vorstellung.

MSC: (Un)Sustainable from Ship to Shore

Die britische NGO Opportunity Green hat detailliert die Werbeclaims von Kreuzfahrtreedereien auf Greenwashing untersucht, mit Fokus auf das Marketing rund um fossiles LNG. «Wir waren erstaunt über das Ausmass und den systematischen Charakter der Werbung» von der Branche und von MSC Cruises.

In dem veröffentlichten Bericht mit dem Titel (Un)Sustainable from Ship to Shore wurde MSC ab Seite 30 ein eigenes Kapitel gewidmet:

«Wenn Kreuzfahrtunternehmen mit den Vorteilen der Nutzung von fossilem LNG werben, ohne sich mit dem Problem des Methans zu befassen, halten wir dies für höchst problematisch.»

Gleichzeitig mit der Veröffentlichung des Berichts reichte Opportunity Green eine Reihe von Beschwerden über Werbestandards bei der britischen Werbeaufsichtsbehörde ein und machte sie auf die Werbung auf den Websites der Unternehmen aufmerksam, darunter auch MSC Cruises. In einer ersten Runde wurde die Beschwerde von der Behörde zwar abgewiesen, sie zeigt sich aber interessiert daran, Beschwerden zu «bezahlten» Werbeanzeigen mit irreführenden Umweltaussagen von Kreuzfahrtunternehmen zu erhalten. Es wurde extra ein Monitoring in Auftrag gegeben, um proaktiv nach solchen Aussagen zu suchen.

Die fiktive 100% grüne Kreuzfahrt

Um auf die zunehmende Verbreitung von Greenwashing bei Kreuzfahrterlebnissen hinzuweisen, hat Transport & Environment – Europas führende NGO, die sich für einen saubereren Verkehr einsetzt – eine fiktive 100 % grüne Kreuzfahrterfahrung auf den Markt gebracht. Mit dem Slogan «sustain the ununstainable» – erhalte das Unnachhaltige werden Kreuzfahrtunternehmen – darunter auc MSC Cruises – angekreidet, die fossiles Gas als nachhaltigere Lösung anpreisen.

Mehr Informationen zu 100% Green Cruise findest du unter: www.transportenvironment.org

Greenwashing auf staatlicher Ebene

Greenwashing kann auch ausserhalb der Unternehmenssphäre auf staatlicher Ebene auftreten. Aus diesem Grund hat sich Opportunity Green Anfang 2024 mit vier anderen NGOs zusammengetan, um eine Klage gegen die neuen Investitionsregeln der Europäischen Kommission (die EU-Taxonomie) einzureichen, die im Wesentlichen Investitionen in fossile LNG-betriebene Schiffe als «grün» bezeichnen.

Die Finanzströme sind für eine wirksame Dekarbonisierung von entscheidender Bedeutung. Wenn die derzeitigen «grünen» Regeln der EU-Taxonomie unangefochten bleiben, könnten tatsächlich Millionen von Euros in klimaschädliche Investitionen gelenkt werden. Darüber hinaus bergen die Regeln das Risiko, dass diese Investitionen für die gesamte Lebensdauer des Schiffes festgeschrieben werden – was 30 Jahre oder mehr sein kann. Das ist Greenwashing auf höchstem Niveau.

Forderung an die Schweizer Politik

fairunterwegs fordert, dass in der Schweiz ähnlich wie in der EU, Richtlinien erstellt werden, welche die Verwendung von Begriffen wie «umweltfreundlich» , «klimaneutral»  oder «öko» regeln. Die Wirkung der damit beworbenen Aktivitäten muss wissenschaftlich stichhaltig nachgewiesen werden.

«In der Schweiz gibt es bisher keine Anti-Greenwashing-Gesetzgebung im engeren Sinne. Es gibt aber Bestimmungen, die sich mit irreführender Werbung im Gesetz über den unlauteren Wettbewerb befassen», stellt Laurent Matile, Experte für Unternehmen und Entwicklung bei der Alliance Sud, zur Rechtslage fest.

Für Vertreterinnen von Konsument*innenschutzorganisationen reichen diese Bestimmungen nicht aus. Vielmehr fordern sie einen Kriterienkatalog, der festlegt, was als Greenwashing gilt und unter welche Bedingungen Begriffe wie «grün», «klimaneutral», «umweltfreundlich» in der Werbung verwendet werden dürfen.

Die EU hat Richtlinien gegen Greenwashing

In der EU hat das Parlament Anfang 2024 mit 593 zu 21 Stimmen bei 14 Enthaltungen eine neue Richtlinie verabschiedet, die sich mit Greenwashing befasst und die Verbraucher*innen vor irreführenden Bezeichnungen schützen soll. Der Rat muss sie noch genehmigen, danach haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, um sie umzusetzen. Zudem wird an einem zweiten Gesetzesvorschlag gearbeitet, dieser regelt Mindestanforderungen an die Kommunikation freiwilliger umweltbezogener Aktivitäten und an die Umweltkennzeichnung. Dabei sollte die positive Bewertung auf anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und dem aktuellen Stand der Technik entsprechen.

«Ich würde mir wünschen, dass hier eine stärkere Kontrolle stattfände, damit nicht weiterhin diese Mythen verbreitet werden.» –  Stefan Gössling 

Für Reisende heisst das:

Wer echte Nachhaltigkeit in den Ferien will, vermeidet am besten Kreuzfahrtreisen. Ansonsten gilt: Hinschauen, was sich hinter den Versprechen in der Werbung verbirgt. Doch dieses Hinterfragen ist anstrengend bis sehr schwierig. So erkennst du Greenwashing bei Kreuzfahrten:

  • Unternehmen, die nur vage und allgemeine Werbereizwörter wie «nachhaltig» oder «klimaneutral» verwenden, ohne konkrete Massnahmen oder Messwerte offenzulegen, oder die nur einzelne Aspekte aufgreifen.
  • Werbeversprechen bezüglich LNG (die Klimabilanz von LNG ist eher schlechter als jene von Marinediesel oder Schweröl),
  • Massnahmen wie «weniger Plastikverbrauch an Bord» o.ä. Das ist zwar prinzipiell löblich, aber im Gesamtvergleich eines Kreuzfahrtschiffes nur ein Tropfen auf dem heissen Stein.

Autorin: Vera Thaler

Vera Thaler, Fachverantwortliche Tourismus und Entwicklung bei fairunterwegs, arbeitete zwischen 2017-2019 als Natur-Guide für verschiedene Expeditions-Kreuzfahrtunternehmen in der Arktis und Antarktis. Auf Reisen nach Spitzbergen, Grönland und dem Südpolarmeer hat sie viele der komplexen sozialen und ökologischen Probleme im Zusammenhang mit der rasant wachsenden Industrie mit eigenen Augen gesehen. Die Arbeit auf Expeditionskreuzfahrtschiffen in ökologisch sensiblen Gebieten hat ihr Verständnis für diesen boomenden Tourismussektor weiter vertieft, ebenso wie die Dringlichkeit, umweltfreundliches, sicheres und verantwortungsvolles Reisen in fragiler Natur zu gewährleisten.