Nach dem Fliegen sind Kreuzfahrten die dreckigste Art des Reisens. Sie gefährden nicht nur Klima und Umwelt, sondern auch die Gesundheit der Anwohner*innen der angesteuerten Destinationen. Zudem belasten sie die lokale Infrastruktur und Süsswasserreserven. Dabei ist der wirtschaftliche Mehrwert für die Lokalbevölkerung höchst umstritten – auch an Orten, die von Schweizer Kreuzfahrtschiffen angefahren werden. 

Gesundheitliche Probleme für die Lokalbevölkerung

Schadstoffe in den Abgasen von Kreuzfahrtschiffen wirken sich schädlich auf die Gesundheit aus: Besonders Schwefeloxide (SOx) und Stickoxide (NOx) und die Feinstaubbelastung können mit Lungenkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang gebracht werden. Laut einem Forbes-Bericht wird die Zahl frühzeitiger Tode in Europa durch schiffsverursachte Luftverschmutzung auf 50’000 geschätzt (diese Schätzung inkludiert auch die Containerschiffe).

Die Schweizer MSC Cruise erhält im Ranking der Friends of the Earth die zweitschlechteste Note D- für ihre Massnahmen, um Luftverschmutzung zu reduzieren. Die Viking Cruises gar die Schlechtestnote F. Entscheidend für die Bewertung war, ob saubere und schwefelarme Treibstoffe verwendet und die Schiffmotoren bei Hafenaufenthalten abgeschaltet und ans Stromnetz angeschlossen werden. Dass die Motoren mehrheitlich an den Landungsstellen weiterlaufen, ist ein Problem für die Nachbar*innen der Häfen. Weil die Schiffe auch im Hafen ihre Systeme wie Klima- und Kühlanlagen, Unterhaltungs- und Reinigungstechnik usw., im Betrieb halten müssen, verbrauchen sie Unmengen an Energie, welche viele Häfen noch nicht über Stromanschlüsse gewährleisten können.  Zwar wird in solchen Fällen häufig schwefelärmerer Treibstoff verwendet, doch dieser ist immer noch um Weiten schädlicher als jener aus dem Strassenverkehr.

Zahlreiche Häfen – wie beispielsweise jener in Marseille – bauen gerade ihr Stromnetz an den Peers aus (mehr zum Landstrom steht hier). Jedoch geht der Umbau nur schleppend voran, wie zivilgesellschaftliche Initiativen aus den betroffenen Destinationen monieren. Ausserdem sei es für die Kreuzfahrtschiffe billiger, den Strom selbst über den Motor zu erzeugen, stellt der Ingenieur Christophe Gauthier fest, der die Elektrifizierung des Hafens von Le Havre umsetzt.

In Hamburg Altona gibt es bereits Landstromanschlüsse, welche aber nur wenig benutzt werden: Die lokale Linke fordert daher eine Pflicht für den Anschluss der Kreuzer an den Landstrom.

Riesiger Frischwasserbedarf

Im Nachhaltigkeitsbericht 2022 gibt MSC Cruises an, dass für einen Gast an Bord ihrer Schiffe durchschnittlich 226 Liter Frischwasser pro Tag benötigt werden. Zwar haben Kreuzfahrtschiffe vermehrt effizientere Entsalzungsanlagen an Bord, welche Meerwasser zu Trinkwasser aufbereiten können. «Diese benötigen aber relativ viel Energie», sagt der Meeresbiologe Dr. Burkhard Watermann. Mitunter deshalb füllen die Kreuzfahrtschiffe ihre Frischwassertanks an den Häfen auf. Im Mittelmeerraum wird das problematisch. In Südeuropa herrschte im Sommer 2023 Wasserknappheit. Ein Phänomen, das in naher Zukunft wohl häufiger in der Region auftritt, warnt die Weltwetterorganisation.

Wenn man aber den Wachstumsprognosen der Branche Glauben schenkt, beispielweise jenen des Verbands Cruise Lines International Association (CLIA), so werden bis zum Jahr 2026 39 Millionen Menschen eine Kreuzfahrt buchen. Das entspricht einem Wachstum von ungefähr 30 Prozent in sieben Jahren. Bei diesen Wachstumsraten wird der Druck auf die Frischwasserversorgung an Häfen trotz effizienterer Aufbereitungsanlagen nicht wesentlich zurückgehen.

 

Geringer ökonomischer Mehrwert für die Lokalbevölkerung

Portrait: Svein Larsen

«Diese Art von Tourismus hat keinen oder zumindest nur einen sehr geringen wirtschaftlichen Mehrwert für lokale Gemeinschaften.»

Professor emeritus, dr.philos. Svein Larsen hat mehrere Jahre lang das Verhalten von Touristen untersucht. Die Fakultät für Sozialpsychologie der Universität Bergen verfügt über eine der weltweit besten Datenbanken für psychologische Verhaltensforschung.

Ganzes Gespräch mit Svein Larsen:

Der Verhaltensforscher Professor emeritus, dr.philos. Svein Larsen von der Universität Bergen hat das Konsumverhalten von Kreuzfahrttourist*innen in Bergen untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass diese an Land viel weniger ausgeben, als sie selbst glauben, und viel weniger als Reedereien angeben. 20 bis 30 Prozent der Kreuzfahrttourist*innen verlassen laut der Studie nicht einmal das Schiff. Durchschnittlich geben jene, die doch an Land geben rund 300 norwegische Kronen (ca. 25 CHF) aus. Familienurlauber*innen an Land hingegen geben durchschnittlich 1000 Kronen (ca. 85 CHF) aus – und da ist das lokale Hotel noch nicht eingerechnet. Gleich mehrere Reedereien mit Sitz ind er Schweiz steuern den Hafen von Bergen an – darunter MSC Cruises und Viking Ocean Cruises.

Matteo Baldi: Sie und ihre Kollegen haben herausgefunden, dass die Kreuzfahrttourist*innen, welche in Bergen von Bord gehen, viel weniger ausgeben, als erwartet. Auf welche Zahlen zum Konsumverhalten stützte man sich, bevor Sie Ihre Studie durchführten?

Svein Larsen: Die Fehlinformationen über die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen des Kreuzfahrttourismus kamen (und kommen noch immer) hauptsächlich von der Branche selbst, wie zahlreiche Zeitungsartikel im Laufe der Jahre, Marketingkampagnen, Reiseprogramme im Fernsehen usw. belegen.

MB: Was weckte die Skepsis in Ihnen und Ihrem Team, um diesen Zahlen nachzugehen?

SL: Ursprünglich waren wir nicht so skeptisch, wir fanden es einfach interessant, die Angaben der Industrie zu untersuchen. Schliesslich machten wir  jährlich eine Umfrage unter den Touristen in unserer Region. So haben wir einige Angaben zu den Ausgaben in den Jahren 2010 bis 2012  im Jahr 2013 und 2016 veröffentlicht . Wir haben festgestellt, dass Kreuzfahrttouristen deutlich weniger ausgeben als andere Touristen und dass sie ihre Ausgaben deutlich stärker überschätzen als andere Touristen.

MB: Wie steht es nach Ihren Erkenntnissen um den Kreuzfahrttourismus?

SL: Der Kreuzfahrttourismus ist eine wenig rentable Form des Tourismus für die örtlichen Gemeinden: Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kreuzfahrttourismus sind vernachlässigbar – einige Studien zeigen sogar, dass die Auswirkungen auf die lokalen Gemeinschaften negativ sind. Dies gilt natürlich für alle Häfen auf der ganzen Welt, nicht nur für Bergen.

MB: Hat sich nach Ihrer Studie etwas geändert, wie die Locals den Kreuzfahrttourismus in Bergen wahrnehmen?

SL: Systematische Daten dazu habe ich keine. Jedoch hat die Veröffentlichung der Studie zu einer grossen öffentlichen Debatte geführt – in Norwegen, Dänemark, Schweden, Deutschland, Frankreich und an vielen anderen Orten weltweit. Und auf persönlicher Ebene hat die Industrie ihr Bestes getan, um mich zu diffamieren. Viele branchenfremde Beobachter*innen haben aber unsere Erkenntnisse bestätigt.  Die Tatsache, dass Kreuzfahrttourist*innen nicht sehr profitabel sind, scheint inzwischen allgemein bekannt zu sein.

MB: Gibt es Möglichkeiten, den ökonomischen Mehrwert, den Kreuzfahrttourist*innen Destinationen wie Bergen bringen, in ein Verhältnis zu den öffentlichen Kosten und langfristigen Folgen der Kreuzfahrt zu setzen?

SL: Diese Art von Tourismus hat keinen oder zumindest nur einen sehr geringen wirtschaftlichen Mehrwert für die lokalen Gemeinschaften. Sie kaufen keine Lebensmittel, besuchen keine Bars und Restaurants, geben nichts für Konzerte und Theater (einschliesslich Museen) aus, übernachten nicht in örtlichen Hotels. Und die Kreuzfahrtgesellschaften tun alles, um ihre Kunden an Bord des Schiffes zu halten, damit sie dort ihr Geld ausgeben. Das Ergebnis – zumindest in Bergen – sind sehr wenige Arbeitsplätze und fast keine Steuereinnahmen.

MB: Die Reedereien machen aber noch andere Vorteile als die monetären geltend.

SL: Der Kreuzfahrttourismus, so heisst es aus der Branche, führe dazu, dass die Kreuzfahrttouristen später als Landtouristen in die angelaufenen Häfen zurückkehren wollen. Dies sei, so die Branche, ein nicht-monetärer Mehrwert. Das einzige Problem ist, dass das nicht stimmt. Kreuzfahrttouristen sind eher der Kreuzfahrt treu, nicht den Reisezielen. Ausserdem «stehlen» sie Landtouristen: Das heisst viele Landtouristen wollen als Kreuzfahrttouristen wiederkommen, aber nur sehr wenige Kreuzfahrttouristen wollen als Landtouristen zurückkehren.

MB: Die Kreuzfahrt scheint also ein zweifelhaftes Tourismus-Modell für angefahrene Destinationen zu sein.

SL: Die Konstrukte der Kreuzfahrtgesellschaften streichen den Gewinn ein und oft zahlen sie kaum Steuern. Hinzu kommt, dass Kreuzfahrtschiffe (und Kreuzfahrtpassagiere) eine nicht nachhaltige Form des Tourismus sind, sowohl aus ökologischer Sicht (die am wenigsten umweltfreundliche aller Tourismusformen und die umweltschädlichste) als auch aus sozialer Sicht. Sie tragen zur “People Pollution” – also der Überbelastung durch Menschenmassen – bei.

MB: Gibt es Ihrer Meinung nach Möglichkeiten, den Kreuzfahrttourismus für die Destinationen vorteilhafter zu gestalten?

SL: Ich bin kein Politiker oder politischer Wissenschaftler. Jedoch wären strengere Regulationen notwendig: Steuern für Passagiere, die in Norwegen an Land gehen oder etwa Steuern fürs Befahren der Fjorde. Somit könnte man die Umweltverschmutzung und die Probleme grosser Menschenaufkommen kompensieren, die diese Form des Tourismus für diese äußerst empfindlichen Orte mit sich bringen.

Autor: Matteo Baldi

Matteo Emilio Baldi hat Journalismus in Winterthur studiert. Seine journalistischen Texte wurden bei der WOZ, Watson, der ehemaligen TagesWoche und der Aargauer Zeitung publiziert. Ausserdem schreibt er Prosa und Bühnentexte und übersetzte zuletzt ein Hörspiel des SRF vom Italienischen ins Deutsche. Bei fairunterwegs ist er Junior Content Manager und kümmert um die Inhalte des fairunterwegs-Magazin.

Autorin: Vera Thaler

Vera Thaler, Fachverantwortliche Tourismus und Entwicklung bei fairunterwegs, arbeitete zwischen 2017-2019 als Natur-Guide für verschiedene Expeditions-Kreuzfahrtunternehmen in der Arktis und Antarktis. Auf Reisen nach Spitzbergen, Grönland und dem Südpolarmeer hat sie viele der komplexen sozialen und ökologischen Probleme im Zusammenhang mit der rasant wachsenden Industrie mit eigenen Augen gesehen. Die Arbeit auf Expeditionskreuzfahrtschiffen in ökologisch sensiblen Gebieten hat ihr Verständnis für diesen boomenden Tourismussektor weiter vertieft, ebenso wie die Dringlichkeit, umweltfreundliches, sicheres und verantwortungsvolles Reisen in fragiler Natur zu gewährleisten.