Faire Flusskreuzfahrt: Was Reisende wissen sollten

Ein Interview mit Piet Dörflinger von der Gewerkschaft Nautilus über arbeitsrechtliche Herausforderungen, Missstände und Ansätze für faire Flusskreuzfahrt.
Matteo Baldi: Kreibich beschreibt in einem zentralplus-Artikel Missstände an Bord einer Viking-Flusskreuzfahrt, bei welcher chinesisches Personal zu wahnsinnig schlechten Bedingungen arbeiten musste. Das Schiff hatte eine chinesische Kundschaft. Sind derartige Reisen anfälliger für die beobachteten Missstände?
Piet Dörflinger: Auf jeden Fall sind sie anfälliger. Weil die Arbeitnehmenden von weit weg kommen und kultur- und sprachfremd sind. Die Angestellten haben oft keine Ahnung, was ihnen arbeitsrechtlich zustehen könnte. Das hängt unter anderem damit zusammen, wie stark die Gewerkschaftskultur in den Herkunftsländern der Arbeitenden ausgeprägt ist. Ausserdem spielt der Standort eine Rolle, wo die Arbeitsverträge abgeschlossen wurden – und wo sich das Schiff gerade befindet.
Faire Flusskreuzfahrten: hohe Anfälligkeit für schlechte Arbeitsbedingungen?
MB: Können Sie das etwas ausführen?
PD: Gewisse Gesetze oder auch gewisse Normen und Gepflogenheiten, die in der Schweiz existieren, gelten nicht unbedingt an Bord. Vor allem wenn sich das Schiff gerade nicht in der Schweiz befindet. Das Schweizer Arbeitsgesetz ist also nur auf die Zeit anwendbar, in der das Schiff sich im Land befindet. Wenn es die Schweiz verlässt, gilt das Schweizer Obligationenrecht als Minimum – natürlich nur, wenn es sich um Schweizer Arbeitsverträge handelt. Wenn es kein Schweizer Arbeitsvertrag ist, dann wird’s ohnehin schwieirig für die Angestellten. Bspw. müsste man bei einem zypriotischen Vertrag [Anm. der Redaktion: Zypriotische Verträge sind häufig in dem Sektor], in Zypern einklagen. Und da ist der Arbeiternehmerschutz nur schwach ausgeprägt.
MB: Schweizer Arbeitsverträge sind in der Branche häufig. Das hat aber nicht immer nur mit Bewusstsein für faire Flusskreuzfahrt und vermeintlicher Swissness der Reiseunternehmen zu tun, oder?
PD: Schweizer Arbeitsverträge bieten den Unternehmen, welche das Personal den Reiseveranstaltern wie Phoenix oder TUI vermitteln, einiges an Vorteilen. Beispielsweise ist der Kündigungsschutz verglichen zu den benachbarten EU-Staaten wenig ausgeprägt. Ausserdem sind die Sozialabgaben etwa in Deutschland viel höher als hier. Die Leute haben in unseren Nachbarstaaten Anspruch auf mehr, wenn ihnen etwas passiert: beispielsweise bei Unfällen und Lohnfortzahlungen.
MB: Ich fasse zusammen: Noch viel stärker als bei der Hochseekreuzfahrt ist es streitbar, welches Recht an Bord zu welchem Zeitpunkt gilt. Das öffnet die Tür für schlechte Arbeitsbedingungen, da sie kaum anklagbar sind. Welche Mittel haben Sie als Gewerkschaft?
PD: Gewerkschaften oder Behörden können Kontrollen durchführen. Wenn diese bspw. zu Beginn einer Reise stattfinden, ist das den Reiseveranstaltern natürlich unangenehm, da es störend und abschreckend auf die Gäste wirkt. Aber die Behörden und Gewerkschaften riskieren dabei, selbst verklagt zu werden, falls nicht alles bei der Kontrolle korrekt ablaufen sollte. Ein weiteres Problem ist, dass die Hafenbehörden, welche Kontrollen durchführen sollten, häufig den Wirtschaftsdepartementen unterstellt sind. Und da gibt es natürlich Interessenkonflikte, da diese ja auch darum bemüht sind, Unternehmen wie die grossen Reiseunternehmen für die Region zu gewinnen. Ein weiterer gangbarer Weg sind auch Gesamtarbeitsverträge mit Firmen.
Instrumente der Gewerkschaften im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen
MB: Was sind denn Anreize für eine Firma auf einen GAV einzugehen, wenn die Kontrollen selten zu Strafen führen?
PD: Es kann ihnen natürlich einen Wettbewerbsvorteil liefern. Das geschieht aber nur, wenn die Kundschaft auf diese Themen sensibilisiert ist.
MB: Was beinhaltet so ein GAV?
PD: Die sind momentan noch niederschwellig. Es geht um die Festlegung geregelter Arbeitszeiten und faire Lohnzahlungen und Einsicht unsererseits in wichtige Dokumentationen – wie etwa der Arbeitszeiterfassung. Was auch für unsere Arbeit wichtig ist: Im Rahmen eines GAV müssen die Firmen ihre Belegschaft auf uns als Gewerkschaft hinweisen. Somit wissen die Angestellten bereits darüber Bescheid, dass es gewisse Standards gibt. Ausserdem zeigen sich die Firmen bereit, mit uns bei Problemen in Dialog zu treten, was bei allfälligen Streitfällen häufig zu zufriedenstellenden und schnellen Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber führt.
MB: Die Reiseveranstalter müssen also zuerst einen gewissen Druck der Kundschaft wahrnehmen.
PD: Es ist wesentlich, dass Konsument*innen mehr mitbekommen und mitdenken. Wir möchten die Firmen dazu bringen, öffentlich zu ihren GAVs zu stehen. Dann gibt es einen Vorteil für beide Seiten: Einerseits für die Arbeitnehmenden, da die Öffentlichkeit hilft, die Arbeitnehmenden auf gewerkschaftliche Arbeit aufmerksam zu machen. Und andererseits können die Unternehmen damit werben, dass auf ihren Schiffen bessere Arbeitsbedingungen herrschen.
Entwicklung eines Labels für faire Flusskreuzfahrt
MB: Das klingt nach einem Zertifikat.
PD: Tatsächlich streben wir ein Label an, das die Arbeitsbedingungen einer Firma prüft und dafür sorgt, dass die entsprechenden Richtlinien im Arbeitsrecht berücksichtigt werden. Wenn eine Firma dieses Label bekommt, würden wir sie natürlich auch empfehlen.
MB: Können wir bei fairunterwegs also bald gelabelte Flusskreuzfahrten zumindest in Bezug auf Arbeitsbedingungen empfehlen?
PD: Flusskreuzfahrten pauschal zu empfehlen, bleibt sehr anspruchsvoll. Auf einem Flusskreuzfahrtschiff kommen immer mehrere Firmen zusammen unter einem Brand. Was macht man beispielsweise, wenn drei Firmen von uns gelabelt sind, aber eine vierte nicht? Dann könnte man die Reise eigentlich nicht empfehlen. Beispielsweise können alle Nautiker unter fairen Bedingungen auf dem Schiff unterwegs sein und die Hotellerie nicht.

Piet Dörflinger
Piet Dörflinger, geboren und aufgewachsen in Südafrika, lebt seit Jahren in Basel und Umgebung und schätzt die weltoffene Kultur sehr. Seit über zehn Jahren in der Gewerkschaftsarbeit tätig. Ausgebildet u.a. in Betriebswirtschaft und Rechtsfragen. Hauptsächlich in der Flusskreuzfahrtbranche bei Nautilus International unterwegs.