Kulturelle Schätze schonend nutzen
Was verbindet die beschauliche Lausitz mit der Megastadt Kairo? Diese Frage mag man sich angesichts der 2012 etablierten Kooperation zwischen der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und der Universität Helwan, in einem Vorort der ägyptischen Hauptstadt, stellen. Was auf den ersten Blick verblüfft, fügt sich bei näherer Betrachtung zu einem sinnvollen Gesamtbild, in dem sich Interessen und Stärken zweier Hochschulpartner klug ergänzen.
Der neu geschaffene Master-Studiengang "Heritage Conservation and Site Management", der zum Wintersemester 2013/14 die ersten Studierenden aufgenommen hat, baut einerseits auf die Expertise der Tourismusfakultät an der Universität Helwan und bezieht andererseits die jahrelange Erfahrung der Cottbuser Kollegen im Bereich Weltkulturerbestudien ein. Er richtet sich vor allem an deutsche und ägyptische Studierende. Um die thematische Vernetzung in der Region voranzutreiben, sind jedoch auch Interessenten aus weiteren arabischen Ländern willkommen – denn der Erhalt von Kulturgütern ist eine Aufgabe, die alle betrifft: eine Verpflichtung für die gesamte Völkergemeinschaft.
Alle Studierenden verbringen ein Semester im Ausland an der Partneruniversität. So lassen sich beispielsweise die bedeutenden historischen Stätten Ägyptens, aber auch ihre Bedrohungen unmittelbar betrachten und erfahren; währenddessen führt der Aufenthalt in Cottbus in neue Techniken und Methoden ein und bietet zudem die Chance, sich mit dem vielfältigen Kulturerbe Deutschlands zu befassen und die zahlreichen Fundstücke aus dem Nahen Osten in den Berliner Museen zu besuchen.
Der Erhalt von Kulturgütern ist nicht nur eine nationale Aufgabe, sondern eine Verpflichtung für die Völkergemeinschaft.
Die archäologischen Stätten des Orients sind ein großer Schatz, bedeuten zugleich jedoch eine nationale Verpflichtung. Denn ihr Erhalt und eine verantwortliche Nutzung, die sowohl die Interessen der Besucher einbezieht als auch die der lokalen Bevölkerung – und dann auch noch die Anliegen der verantwortlichen Archäologen berücksichtigt -, sind nur möglich, wenn die beteiligten Gruppen sich eng abstimmen. "Die Einbeziehung der unterschiedlichen Interessengruppen wurde viel zu lange vernachlässigt", glaubt allerdings Nesma Ahmed, Studentin an der Universität Helwan.
Nur durch touristische Nutzung kann ein Teil der Ressourcen generiert werden, die für den Erhalt der Fundstätten notwendig sind. Gleichzeitig bedroht jedoch eine Übernutzung, also ein zu umfangreicher Besucherstrom, die Grundlagen ebendieser Stätten. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Bedeutung historischer Orte lässt sich wiederum nur dann durchsetzen, wenn die lokale Bevölkerung in Nutzungskonzepte eingebunden wird und aktiv mitarbeiten kann. Neben diesem Dreieck aus Nutzung, Bewahrung und wirtschaftlichem Denken sind weitere Faktoren in den Blick zu nehmen, die sich negativ auf das Kulturerbe auswirken: "Vor allem Umwelteinflüsse wie Sonne, Wind, Sand, Erdbeben und Überschwemmungen können fatale Folgen für die Stätten haben", so Professor Michael Schmidt, der in Cottbus-Senftenberg Umweltplanung lehrt.
Hinzu kommen vom Menschen hervorgerufene Gefahren, wie sie in vielen Ländern der Region aufgrund von Gewalt und kriegerischen Auseinandersetzungen traurige Realität sind. In Zeiten politischer Unruhen sind nicht nur historische Stätten gefährdet, sondern auch Artefakte, die sich in Museen befinden. So hat im Januar die Explosion einer Autobombe in Kairo nicht nur mehrere Menschenleben gefordert, sondern auch erhebliche Zerstörungen am Museum für Islamische Kunst angerichtet. Raub und Plünderung haben in den letzten Jahren unwiederbringlich jahrtausendealte Schätze zerstört und großen Schaden für das kulturelle Erbe angerichtet.
Angesichts all dessen muss es überraschen, dass es in Ägypten bislang kein Ausbildungsangebot zum Erhalt des kulturellen Erbes gegeben hat. Wenige Länder können eine höhere Dichte an kulturgeschichtlich bedeutsamen Stätten aufweisen als das Land am Nil. Die ägyptischen Studierenden wissen um diese Reichtümer, von denen manche auf den Routen der großen Reiseveranstalter nur selten verzeichnet sind, etwa Madinet Luxor in der Oase Fayoum, ein Lieblingsort und Geheimtipp von Mohamed Abdallah, Student an der Universität Helwan.
Die lokale Bevölkerung einbinden: Nur wer den Wert einer Fundstätte erkennt, wird auch bereit sein, sich für sie einzusetzen.
Der neue Master-Studiengang zielt auf die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten für die Verwaltung und das Management archäologischer Stätten ab. Hierzu gehören die Präsentation und Interpretation der Stätten, Erhaltungsstrategien und -methoden, strategisches Kulturerbe- und Besuchermanagement sowie soft skills, die die Studierenden auf Führungspositionen vorbereiten sollen. Ebenso geht es um Möglichkeiten, die lokale Bevölkerung einzubinden, um einen Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung zu geben und gleichzeitig die Akzeptanz für den Schutz der Stätten zu stärken. Nur wer den Wert einer Fundstätte erkennt, wird auch dazu bereit sein, sie zu schützen und sich für sie einzusetzen.
So leistet der neue Studiengang auch einen Beitrag zur Entwicklung des Tourismussektors in Ägypten, der eine der wichtigsten Einkommensquellen des Landes darstellt: Vor der Revolution erwirtschaftete dieser Zweig mehr als elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit erfüllt der Master-Studiengang ein wichtiges Kriterium der Transformationspartnerschaft: mehr ägyptische Hochschulabsolventen in Lohn und Brot zu bringen. Zu viele ägyptische Akademiker bleiben nach dem Abschluss arbeitslos und sind enttäuscht, weil ihnen zentrale Schlüsselqualifikationen, oft aber auch praktisches Know-how fehlen. Eine tiefe politische Unzufriedenheit, die sich zur ökonomischen Notlage gesellte, war starker Motor der Proteste, die 2011 Staatschef Mubarak aus dem Amt fegten.
Auf dem ägyptischen Weg zur Demokratie sind wirtschaftlicher Erfolg und politische Stabilisierung also eng verzahnt. Umso wichtiger ist es, hier anzusetzen und die Hochschulausbildung – in diesem Fall an der Schnittstelle von Tourismus und Archäologie – stärker auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes auszurichten: "Berufschancen ergeben sich etwa bei der Antikenbehörde, bei internationalen und Nichtregierungsorganisationen, in Museen und Kunstgalerien und in vielen Bereichen des Tourismussektors", betont Professor Hosam Refai von der Universität Helwan. Der Studiengang sei dabei nicht nur für Ägypten attraktiv – interessante Jobmöglichkeiten gebe es etwa auch in den Golfstaaten: Dort stecke das Management archäologischer Stätten noch in den Kinderschuhen.
Die ägyptische Studentin Israa al-Hadad hat schon Vorstellungen von der beruflichen Zukunft: "Ich möchte später in einer internationalen Organisation wie UNESCO, ICCROM oder ICOMOS tätig sein." Die Studierenden jedenfalls sind begeistert vom neuen Studienangebot: "Das ist genau das, was Ägypten jetzt braucht", sagt Mayssa Mostafa, "viel zu lange haben wir uns nicht um den Erhalt der Kulturstätten gekümmert, sondern sie nur wirtschaftlich genutzt." Das soll mit dem neuen Studiengang nun anders werden.
Über die AutorInnen:
Die Islamwissenschaftlerin Dr. Renate Dieterich leitet das Referat "Deutsch-Arabische Transformationspartnerschaften – Kulturdialog" beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Der Linguist und Historiker Dr. Michael Harms leitet seit 2010 die DAAD-Außenstelle Kairo.
Der Studiengang "Heritage Conservation and Site Management" wird vom DAAD im Rahmen der vom Auswärtigen Amt finanzierten Deutsch-Arabischen Transformationspartnerschaft für die Dauer von vier Jahren gefördert.