Basel, 21.08.2008, akte/ UNESCO Welterbe – das verspricht Tourismus, wie wir in der Schweiz eben wieder aus dem Freudenjubel erfahren konnten, der die Auszeichnung der beiden jüngsten Stätten – der Glarner Hauptüberschiebung und der Rhätischen Bahn Albula/Bernina – mit dem begehrten UNESCO-Status begleitete. Doch birgt die UNESCO-Auszeichnung auch etliches Konfliktpotenzial, geht doch die touristische Nutzung und Förderung keineswegs immer mit der Bewahrung der bedeutenden Kultur- und Naturschätze einher. Und die ansässige Bevölkerung erfährt zwar Anerkennung und vielleicht sogar eine Stärkung ihrer Identität, wenn ihr Lebensraum, ihre Geschichte und Kultur von internationaler Seite zum Erbe der Menschheit erklärt wird, hat aber auch ein eigenes Verständnis ihrer Geschichte und Kultur und verfolgt eigene Pläne zur Raumnutzung und Entwicklung, die nicht unbedingt den mit dem UNESCO-Label einhergehenden offiziellen Schutz- und Nutzungsbestimmungen entsprechen. Zum Beispiel auf den Galapagos, wo die einzigartige Flora und Fauna unter dem Ansturm der Reisenden und der vom Tourismusboom angelockten Zuwanderer so leidet, dass der Archipel auf die "Rote Liste" der gefährdeten Welterbestätten gesetzt wurde und dadurch – falls sich nichts ändert – riskiert, den vor gut dreissig Jahren erhaltenen UNESCO-Status zu verlieren. Ein ähnliches Schicksal droht Machu Picchu in den peruanischen Anden: Die berühmte Inka-Ruinenstadt wird vom wachsenden Besucherstrom und der damit verbundenen unkontrollierten Urbanisierung in ihrer Substanz bedroht. Die Aufnahme in die "Rote Liste" könnte ein wirksames Signal setzen für die dringend notwendige Neuorientierung der Tourismuspolitik. Diese müsste aber auch dem wachsenden Groll der Einheimischen Rechnung tragen, welche wegen der Privatisierung der Tourismus- und Transportanlagen kaum vom Fremdenverkehr profitieren, vor allem unter der Teuerung leiden und sich den Besuch ihres eigenen Kulturerbes nicht mehr leisten können.

Wie die Interessen der Einheimischen im Rahmen von UNESCO-Welterbe-Projekten gewahrt und die lokale Entwicklung gefördert werden können, zeigt das gelungene Vorgehen etwa im Kathmandu Tal in Nepal. Nicht selten jedoch sitzt die Lokalbevölkerung bei solchen Vorhaben von internationaler Bedeutung am kürzeren Hebel. So etwa in Hampi, der im 16. Jahrhundert zerstörten Ruinenstadt des Vijayanagara-Reiches im indischen Bundesstaat Karnataka: Mit seinen Tempelanlagen zieht Hampi zahlreiche Pilger aus ganz Indien an. Diese wiederum erhöhen die Attraktivität der historischen Stätten für fremde Reisende, die vornehmlich als Backpacker-TouristInnen den Einheimischen ganz direkt neue Einkommensmöglichkeiten verschaffen. Deshalb widersetzte sich die Lokalbevölkerung energisch den Plänen der UNESCO zum Schutz der Ruinen, die den Bau von neuen Zufahrtswegen unterband und Geschäftstreibende aus dem geschützten Bereich auszusiedeln drohte. 1999 setzte die UNESCO Hampi auf die "Rote Liste" der gefährdeten Welterbestätten und damit die ansässige Bevölkerung stark unter Druck; erst vor zwei Jahren strich die UNESCO Hampi wieder von der "Roten Liste", was auf eine Annäherung zwischen internationalen und nationalen Gremien sowie der lokalen InteressenvertreterInnen hindeutet.

Gefährdet sind Welterbestätten indessen vor allem auch durch den globalen Klimawandel und die Luftverschmutzung, wie alarmierende Presseschlagzeilen regelmässig bezeugen: Dramatische Schneeschmelze am Kilimanjaro, Blaualgen zerstören Angkor Wat, Korallensterben im Great Barrier Reef, Mikroben aus der Dreckluft zerfressen Parthenon und Niketempel in Athen, Flechten und Feuchtigkeit zehren an der Substanz der Maya-Ruinen in Mexiko, Gletscherrückgang im Aletschgebiet, Hochwasser in Venedig, heftige Regenfälle bringen die Jahrhunderte alten Lehmmoscheen von Timbuktu zum Einsturz – die UNESCO muss sich dringend überlegen, wie die mehr als 830 Stätten, die sie seit Inkrafttreten der Welterbekonvention 1972 zum Erbe der Menschheit erkoren hat, auch künftigen Generationen erhalten bleiben.

Dazu bildet der von Kurt Luger und Karlheinz Wöhler herausgegebene Sammelband eine exzellente Grundlage. Er gibt erstmals im deutschsprachigen Raum Einblick in das Wissen über die vielseitigen und anspruchsvollen Herausforderungen zur Erhaltung der für die Menschheit bedeutenden kulturellen und natürlichen Stätten und beleuchtet das Spannungsfeld zwischen Welterbe und Tourismus aus verschiedensten Perspektiven. Das Werk entstand aus dem 8. Tourismusforum, das 2005 in der Welterbestätte "Altstadt Salzburg" abgehalten wurde. Darauf aufbauend nehmen Denkmalschützer, Touristiker und Tourismusplaner, Entwicklungsfachleute sowie Manager und Verwalter des Welterbes aus Wissenschaft und Praxis Stellung anhand theoretischer Abhandlungen und Fallstudien aus der ganzen Welt – von Salzburg und Schönbrunn oder der Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn Gletscherzone in den Alpen über Hampi in Südindien, Kathmandu Valley in Nepal, Thailand, Laos, Kambodscha und dem Yangtze Delta in China bis zur Altstadt von Havanna in Kuba.
Ihr Fazit zu Chancen und Grenzen der Bewahrung des Welterbes mit der touristischen Nutzung im Schlepptau, die das UNESCO-Label unweigerlich mit sich bringt, fällt – je nach Fallbeispiel und Standpunkt der AutorInnen – sehr unterschiedlich aus; die Auseinandersetzungen und kontroversen Haltungen bleiben im Buch stehen und erhöhen seinen Wert. Denn die interessierte Leserschaft kann sich so eine eigene Meinung bilden und Anregungen für verantwortliches Reisen gewinnen, während die Touristiker und Entwicklungsfachleute differenzierte Interessenabwägungen und eine Fülle von handfesten Tipps für ein verantwortliches Tourismusmanagement und nachhaltige Entwicklungsperspektiven erhalten.

Kurt Luger, Karlheinz Wöhler (Hg.): Welterbe und Tourismus. Schützen und Nützen aus einer Perspektive der Nachhaltigkeit. StudienVerlag Innsbruck, Wien, Bozen, 2008, 455 Seiten, SFr. 77.90, Euro 49.90, ISBN 978-3-7065-4518-1